Ungarn:Flüchtlings-Referendum: Orbán scheitert an 50-Prozent-Hürde

Ungarn: Erreicht die nötige Mehrheit nicht: Ungarns Premierminister Viktor Orbán

Erreicht die nötige Mehrheit nicht: Ungarns Premierminister Viktor Orbán

(Foto: AFP)
  • Der ungarische Ministerpräsident Orbán ist mit seinem Referendum zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU wegen zu geringer Beteiligung gescheitert.
  • Nach Auszählung von 99,78 Prozent der Stimmen teilte die Wahlbehörde mit, dass nur 39,9 Prozent der Wahlberechtigten einen gültigen Wahlzettel abgegeben haben.
  • Damit wurde das erforderliche Quorum von 50 Prozent verpasst.

Ungarns rechtskonservativer Premierminister Viktor Orbán hatte das Volk dazu aufgerufen, die Umverteilung von Flüchtlingen in Europa abzulehnen. Jetzt steht fest: Orbáns Referendum ist gescheitert.

Die ungarische Wahlbehörde stufte das umstrittene Referendum über die EU-Flüchtlingsquoten am Sonntagabend offiziell als ungültig ein. Nach Auszählung von 99,78 Prozent der Stimmen teilte das Büro mit, dass nur 39,9 Prozent der Wahlberechtigten einen gültigen Wahlzettel abgegeben haben. Für einen Erfolg notwendig wären aber mehr als 50 Prozent Wahlbeteiligung gewesen. Die Regierungspartei sprach trotzdem von einem großen Sieg, während ein Analyst das Resultat als "peinliche, aber nicht vollkommen katastrophale Niederlage" für Orbán bezeichnete.

Orbán hatte gehofft, dank des Referendums mehr politischen Druck auf andere europäische Länder ausüben zu können, vor allem auch auf Deutschland. Mit einem festen Verteilungsschlüssel sollten die Lasten der Flüchtlingskrise gerechter auf alle Mitgliedsstaaten verteilt werden - diese Idee lehnt Orbán ab. Die Slowakei hatte gegen die EU-Quote vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt, Ungarn hat sich der Klage angeschlossen. In Brüssel gilt die Verteilung ohnehin als nicht mehr umsetzbar, wegen des Widerstandes Ungarns und der anderen Visegrád-Staaten Polen, Tschechien und Slowakei.

Orbán will sich nicht vom Kurs abbringen lassen

Dass er sich von seinem Kurs auch bei einer zu geringen Beteiligung am Volksentscheid nicht abbringen lassen werde, hatte Orbán schon zuvor durchblicken lassen: "Ein gültiges Referendum ist immer besser als ein ungültiges, aber die rechtlichen Konsequenzen werden dieselben sein." Die "einzige Bedingung" dafür sei: "Dass es mehr Nein-Stimmen als Ja-Stimmen gibt", sagte er nach der Wahl am Sonntag und bekräftigte seine Ablehnung der EU-Flüchtlingspolitik.

"Brüssel kann Ungarn nicht seinen Willen aufzwingen", sagte Orban vor Anhängern in Budapest. "Brüssel oder Budapest, das war die Frage, und die Menschen haben Budapest gesagt." Er werde eine Verfassungsänderung vorschlagen, die "den Willen des Volkes widerspiegelt", kündigte er an. "Wir werden Brüssel zu verstehen geben, dass es den Willen der Ungarn nicht ignorieren kann."

Dass eine große Mehrheit beim dem Referendum für Nein stimmt, galt schon vor der Abstimmung als sicher. 98,3 Prozent oder umgerechnet 3,2 Millionen Wähler stimmten gegen die EU-Quoten, mit denen Asylbewerber gleichmäßiger auf die Mitgliedstaaten verteilt werden sollen. Auf dem Wahlzettel stand: "Möchten Sie, dass die Europäische Union den Ungarn auch ohne Zustimmung des nationalen Parlaments die Ansiedlung von nicht-ungarischen Bürgern aufzwingen kann?"

Luxemburgs Außenminister: "Kein so schlechter Tag für Ungarn und die EU"

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn nahm das ungültige Flüchtlings-Referendum mit Erleichterung auf. "Das ist kein guter Tag für Herrn Orbán und kein so schlechter Tag für Ungarn und die EU", sagte Asselborn. Er wertete das Wahlergebnis als "passiven Widerstand" einer Mehrheit. "Ich hoffe, dass wir uns in der EU konsequent auf die Seite der Mehrheit der Ungarn und gegen den Kurs der ungarischen Regierung stellen", sagte er.

Die Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament, Rebecca Harms, bezeichnete das Ergebnis als Niederlage Orbáns. "Der ungarische Ministerpräsident ist mit seiner Anti-Flüchtlingskampagne gescheitert (...) Das lässt hoffen, auch wenn nur wenige Stimmen für die Aufnahme von Flüchtlingen abgegeben wurden."

Die Linken-Politikerin Gabi Zimmer wertet den Ausgang des Ungarn-Referendums als "Eigentor" für Orbán. "Trotz seiner Hetz-Kampagne, die Halbwahrheiten und Lügen gegen Menschen auf der Flucht verbreitete, trotz einer landesweiten Roadshow seiner Parteifreunde haben weniger als die Hälfte der Ungarn Orbans Referendum unterstützt", sagte die Vorsitzende der Linksfraktion im Europaparlament.

Rechte Kampagne gegen Migranten

Die ungarische Regierung hatte eine ziemlich rechte Kampagne gefahren, um für die Volksabstimmung zu mobilisieren. "Migration ist Gift", hatte Orbán gesagt. Die Regierung hängte beispielsweise viele Plakate in Budapest auf, die Stimmung gegen Flüchtlinge machten. Jedes Poster begann mit der Formel "Wussten Sie?" und fügte dann hinzu, was man in Ungarn als objektive Informationspolitik ausgibt: "Brüssel will eine Masse von illegalen Einwanderern, die der Bevölkerungszahl einer Stadt gleichkommen, in Ungarn ansiedeln". Oder: "Seit Beginn der Migrationskrise stieg die Belästigung von Frauen in Europa sprunghaft an." Oder auch: "Die Anschläge von Paris wurden von Migranten verübt."

Bereits seit April wirbt die ungarische Regierung für ein Nein-Votum im Referendum. "Lasst uns ein Signal an Brüssel senden, damit sogar sie es verstehen", ist landesweit auf Plakaten zu lesen. Ungarn hätte nach der Regelung, die bislang ohnehin nicht umgesetzt wurde, etwa 2300 Flüchtlinge aufnehmen müssen.

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