Jobbik:Die Partei, die Orbán vor sich her treibt

Supporters of extreme right party Jobbik protest against the immigration in central Budapest 2015 1

Jobbik-Anhänger protestieren in Budapest gegen Zuwanderer. Die ungarischen Nationalisten werben verstärkt im bürgerlichen Lager um Stimmen.

(Foto: imago)

Rechtsradikal? Wir doch nicht. Jobbik, die "Bewegung für ein besseres Ungarn", gibt sich als moderne Variante der regierenden Fidesz-Partei. Das ist absurd. Aber es funktioniert.

Von Cathrin Kahlweit, Budapest

Márton Gyöngyösi spricht makelloses Englisch, er hat am Trinity College in Dublin studiert. Er trägt auch einen makellos eleganten Anzug und dazu eine randlose Brille. Nur das kleine, dünne Stück Seil, das um sein Handgelenk gebunden ist, stört den Eindruck von Seriosität. Ein Geschenk? Ein Fetisch?

Gyöngyösi spricht für die "Bewegung für ein besseres Ungarn", eher bekannt unter ihrem Parteinamen Jobbik - und stellt eilig fest, dass Jobbik völlig zu Unrecht als "rechtsradikal" oder "rechtsextrem" bezeichnet oder als antisemitische, rassistische, europafeindliche Macho-Partei betrachtet werde. Das könne, findet der führende Jobbik-Außenpolitiker, schon deshalb nicht stimmen, weil mittlerweile ganz Ungarn so denke wie seine Partei.

Ganz Ungarn? Ach was: In Polen hätten zuletzt mehr als die Hälfte der Bevölkerung stramm rechte Parteien gewählt, in Österreich zeige die Popularitätskurve der FPÖ steil nach oben, und wie die französischen Regionalwahlen ausgingen, die jetzt, nach dem Terror, anstehen, das könne sich jedermann ausrechnen. Folgt man dem Parlamentarier, dann ist die Sache - nicht nur mit Blick auf die Einzäunung Ungarns und seine Flüchtlingspolitik - in Wahrheit so: "Alle sagen, wir seien Geisterfahrer. Aber tatsächlich sind alle anderen in der falschen Richtung unterwegs."

Jobbik sei rechtsradikal? Nein, doziert Gyöngyösi genüsslich

Jobbik hat nach Budapest geladen und empfängt nicht im überladen-altmodischen, aber unbedingt eindrucksvollen neogotischen Parlament, sondern im Bürogebäude der Fraktionen, wo immer noch sozialistischer Realismus in gigantisch hohen Wandbildern überwiegt. Cappuccino wird serviert, und Gyöngyösi referiert, seine Partei habe sich gewandelt, sei "erwachsen" geworden. Die Regierungspartei Fidesz wiederum habe sich gewandelt und von Jobbik gelernt. "Wir haben den Grenzzaun seit Jahren gefordert. Und wir sagen schon seit Jahren, dass nicht individuelle Rechte und die liberale Demokratie Ungarn und Europa retten werden. Sondern wahre Werte und Tradition und die Abkehr vom Multikulti-Traum."

Jobbik sei rechtsradikal? Nein, doziert Gyöngyösi genüsslich: Ministerpräsident Viktor Orbán und seine Regierungspartei seien nach rechts gerückt, Ungarn sei nach rechts gerückt - "und wir sind jetzt im Zentrum. Das Zentrum ist da, wo wir immer waren."

Bei der letzten Parlamentswahl in Ungarn, 2014, war die rechtsextreme Partei auf knapp 20 Prozent gekommen, Fidesz hatte - mit einem maßgeschneiderten Wahlrecht - knapp die Zweidrittelmehrheit errungen. Aber dann erodierte die Übermacht von Fidesz im Parlament durch mehrere Nachwahlen, in denen Jobbik-Kandidaten überraschend gut abschnitten, Korruptionsskandale und interne Querelen beschädigten das Image der Regierungspartei und des allmächtigen Premiers zusätzlich.

Die Flüchtlingskrise nutzte Orbán dann, um sein Image als harter Mann und entschiedener Macher zurückzuerobern. Grenzen: zu, Flüchtlinge: raus, verbindliche Quote: niemals. Heute sind die Umfragewerte wieder fast so hoch wie zu Orbáns besten Zeiten, die linke Opposition ist zersplittert und komplett marginalisiert. Bleibt, als Konkurrenz und Herausforderer, nur noch Jobbik, die sich, absurd genug, neuerdings als moderne, zukunftsorientierte Variante von Fidesz inszeniert, quasi als Fidesz 2.0.

"Die nächsten Wahlen werden zwischen Fidesz und Jobbik entschieden"

Ihre Wählerklientel gibt der Partei recht: Jobbik ist bei Wählern unter 35 Jahren am populärsten, die Rechtsextremen sind an den Universitäten extrem stark, und die neue Linie, die parteiintern - frei übersetzt - "süße Kampagne" heißt, zielt darauf ab, Fidesz nicht rechts, sondern im bürgerlichen Lager zu überholen. Der Politikwissenschaftler Philipp Karl, der an der Andrássy-Universität über Jobbik promoviert, hat festgestellt, dass die Gruppe die Medien und insbesondere die sozialen Netzwerke strategisch nutzt, um an die junge Generation heranzukommen: Jobbik hat einen eigenen Fernsehender und eine feste Basis auf Facebook. Botschaften würden über kurze Videos verbreitet. Mittlerweile erreiche Jobbik nicht nur die armen und Roma-feindlichen Wählerschichten, sondern eine viel breitere Klientel. Der so elegante wie selbstbewusste Márton Gyöngyösi sagt daher nicht ganz zu Unrecht: "Die nächsten Wahlen in Ungarn werden eindeutig zwischen Fidesz und Jobbik entschieden."

Orbán hatte nach den Terroranschlägen von Paris im Parlament eine programmatische Rede gehalten, die Jobbik inhaltlich voll unterstützt, wie die Partei ohnehin jedem seiner Schritte in der Flüchtlingspolitik zustimmte. Was menschlicher sei, fragte der Premier: die Grenzen zu schließen, um illegale Migration zu verhindern, oder die Leben unschuldiger Europäer zu riskieren? Flüchtlinge brächten Terror und Kriminalität mit sich, dabei hätten die EU-Bürger niemals gewollt, dass Hunderttausende Invasoren in ihre Länder eindringen.

Jobbik ist dezidiert antiamerikanisch und russlandfreundlich

Wenn der Ministerpräsident schon so spricht, wo bleibt dann noch Raum für die extreme Rechte? Márton Gyöngyösi, der früher mit Zweifeln an den Opferzahlen im Holocaust auffiel und 2012 mit seiner Forderung nach einer Registrierung jüdischer Abgeordneter mit ungarisch-israelischem Doppelpass traurigen Ruhm erlangte, setzt gern ein paar eigene Akzente: Sobald Jobbik an der Macht sei, werde es ein Referendum über den Austritt aus der EU geben. Die EU habe den Amerikanern aktiv bei der Destabilisierung einer ganzen Region geholfen. Die Flüchtlingstrecks seien daher Folge der verantwortungslosen Politik des Westens, wenn nicht sogar gezielt herbeigeführt.

Überhaupt die Amerikaner: Wie in der Ukraine, wo sie den Maidan initiiert und finanziert hätten und die aktuelle Regierungspolitik steuerten, mischten sich die USA, entgegen aller diplomatischen Regeln, auch in die aktuelle Budapester Politik aktiv ein. Die USA zielten auf eine Destabilisierung Ungarns, wenn sich dieses nicht US-Interessen beuge.

Jobbik ist dezidiert antiamerikanisch und russlandfreundlich. Gyöngyösi findet außerdem, die Nato habe keine Legitimation mehr im 21. Jahrhundert, zumal sie Russland in die Ecke dränge. Zu den Referenden auf der Krim und im Donbass schickte die Partei "Wahlbeobachter"; Gyöngyösi selbst war in Donezk. Ob man den Menschen dort, fragt er, etwa angesichts der amerikanischen Manipulationen und Interventionen verweigern dürfe zu entscheiden, unter wem sie leben wollen?

Jobbik-Spezialist Philipp Karl sagt, es gebe Hinweise, wenn auch keine handfesten Beweise, darauf, dass der Kreml die Partei zumindest co-finanziere. Gyöngyösi formuliert die Sache vager: Es könne nicht sein, dass die USA ihren Lebensstil per Zwang weltweit verbreiteten. Dagegen müsse man sich an der Seite Russlands wehren. "Russland", sagt der Ungar treuherzig, "hat sich diesen Kampf nicht ausgesucht".

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