Ungarn:Ein Fall für Brüssel

Neues Hochschulgesetz und der Umgang mit Flüchtlingen: Die Regierung Orbán nährt zunehmend Zweifel daran, ob sie die Werte der Europäischen Union teilt.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Ungarn: Proeuropäische Demonstranten in Budapest.

Proeuropäische Demonstranten in Budapest.

(Foto: Attila Kisbenedek/AFP)

Frans Timmermans war es ernst und so wurde er an diesem Mittwoch persönlich. Der Vizepräsident der EU-Kommission erzählte von den frühen 1980er Jahren, als sein Vater für die niederländische Botschaft in Budapest arbeitete. Er selbst habe damals erlebt, was mit dem Fall der Berliner Mauer Vergangenheit wurde. "Das ist vorbei", rief Timmermans im Pressesaal der Kommission. Und deshalb werde er seinen Kampf für europäische Werte nicht aufgeben und weiter den Dialog mit Ungarn suchen. Er wolle Ministerpräsident Viktor Orbán fragen, in welche Richtung er das Land führen möchte. Er wolle ihn fragen, wo er Ungarn innerhalb Europas verorte. Und dann stellte Timmermans die für ihn entscheidende Frage: "Teilt Ihr unsere Werte?"

Die Regierung in Budapest lieferte zuletzt gleich mehrere Gründe, die nicht nur die EU-Kommission daran zweifeln lassen. "Die Gesamtsituation in Ungarn bietet Anlass zu Sorge", sagte Timmermans. Die Kommission werde alles genau analysieren und gegebenenfalls rechtliche Schritte einleiten. Bis Ende des Monats würden Entscheidungen getroffen, versprach der Kommissionsvizepräsident. Eine "systematische Bedrohung des Rechtsstaats" sehe die Behörde - anders als in Polen - in Ungarn aber nicht. Die Regierung in Warschau wolle gar keinen Dialog mit der Kommission führen, Orbán sei hingegen dazu bereit, erklärte Timmermans.

Einer der vielen Anlässe für die Reaktion aus Brüssel war das ungarische Hochschulgesetz, das die angesehene Central European University (CEU) zur Schließung zwingen könnte. Timmermans rief Ungarn dazu auf, von dem neuen Hochschulgesetz Abstand zu nehmen. Die vom US-Milliardär George Soros finanzierte Einrichtung sei eine Perle, die es zu schützen gelte, sagte er. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) ersuchte ihren ungarischen Amtskollegen in einem Brief, "dringlich, den Erhalt und weiteren Betrieb der CEU über 2018 hinaus zu gewährleisten". Das Schreiben liegt der SZ vor. Dem neuen Hochschulgesetz zufolge müssen ausländische Universitäten nicht nur in Ungarn, sondern auch in ihrem Heimatland einen Sitz haben. Darüber verfügt die CEU aber nicht. Ein Sprecher des US-Außenministeriums sagte in Washington, man rufe die ungarische Regierung dazu auf, diese Regel nicht umzusetzen. Ungarns Bildungsstaatssekretär László Palkovics teilte mit, die CEU könne weiter Abschlusszeugnisse ausstellen, wenn sie eine Lizenzvereinbarung mit ihrer ungarischen Partnerhochschule ausweite. Einem Sprecher der ungarischen Regierung zufolge ist es für die CEU nicht unmöglich, die neuen Regeln einzuhalten. Im Visier der EU-Kommission ist außerdem eine Anti-EU-Kampagne Orbáns, die unter dem Schlagwort "Stoppt Brüssel" bekannt wurde. Auch ein geplantes Gesetz mit möglichen Einschränkungen für Nichtregierungsorganisationen sorgte, so Timmermans, für "Missverständnisse, um es mal freundlich auszudrücken". Mehr als 10 000 Menschen demonstrierten am Mittwochabend auf dem Budapester Heldenplatz gegen das geplante Gesetz. Hinzu kommt Ungarns Umgang mit Flüchtlingen, die während des Asylverfahrens in Transitlagern an der Grenze zu Serbien interniert werden. Die Kommission beklagte zudem, dass sich nur noch Ungarn und Polen weigerten, den EU-Beschluss zur Umverteilung und Umsiedlung von Flüchtlingen umzusetzen.

Kommissionsvizepräsident Timmermans sagte, das Hochschulgesetz werde auf mögliche Verstöße gegen EU-Recht geprüft. Auch das neue Asylgesetz wecke "ernste Zweifel an der Vereinbarkeit mit EU-Recht". Zudem habe die Kommission ein Auge auf die Situation der Roma in Ungarn und den Schutz schwangerer Frauen. Die Themen würden geprüft und bei der Entscheidung über Vertragsverletzungsverfahren berücksichtigt, so Timmermans. Er werde für Vielfalt eintreten, es gehe um "Entwicklungen, die für gemeinsame Werte wie Menschenrechte, Freiheit und Gleichheit von Belang sind und für Gesellschaften, die durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit und Solidarität definiert werden."

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