Unbekanntes China (2):Herz sucht Herz an der Wäscheleine

Auf dem Heiratsmarkt in Schanghai suchen Eltern den Traumpartner für ihren Nachwuchs. Die Hilfe ist nötig, weil die Jungen zu viel arbeiten und keine Zeit fürs Flirten haben.

Jakob Tanner, Schanghai

Die Marktleute vom Renmin Park in Schanghai sind Spätaufsteher verglichen mit den Händlern auf anderen Märkten. Doch das ist nicht der einzige Unterschied zwischen ihnen.

Unbekanntes China (2): Die Leinen hängen meterlang voll mit den Lebensläufen der heiratsfähigen Töchter und Söhne. Im Renmin Park zu Schanghai kümmern sich Eltern um das Glück ihrer erwachsenen, aber noch ledigen Kinder.

Die Leinen hängen meterlang voll mit den Lebensläufen der heiratsfähigen Töchter und Söhne. Im Renmin Park zu Schanghai kümmern sich Eltern um das Glück ihrer erwachsenen, aber noch ledigen Kinder.

(Foto: Foto: Jakob Tanner)

Kurz vor neun Uhr treffen sie erst ein im Park im Herzen der Stadt, unweit des von Touristen bevölkerten People's Square. Sie haben keine Stände, sondern nur ein sorgfältig beschriftetes Papier, das sie bedächtig an eine Wäscheleine klammern. Nichts zu spüren von der üblichen Geschäftigkeit auf chinesischen Märkten. Auf diesem Schanghaier Markt geht es auch nicht um Gewinn, sondern um Glück - das der noch unverheirateten Kinder.

Der Heiratsmarkt im Renmin Park zu Schanghai: Eltern suchen an Wochenenden den Kontakt zu anderen Vätern und Müttern, um für ihren Nachwuchs eine gute Partie zu finden. Die Leinen hängen meterlang voll mit den Lebensläufen der heiratsfähigen Töchter und Söhne. Sämtliche relevante Informationen sind aufgelistet: Alter, Gewicht, Größe, Ausbildung, Einkommen, Auto, Wohnung.

Im Notizheft viele durchgestrichene Telefonnummern einsamer Herzen

Manche fügen gleich Bilder der Kinder bei. Ein Mann hat neben zwei Fotos seines Sohnes auch eins von dem Hotel geklebt, in dem der Spross arbeitet. Eine Frau findet gerade noch Platz an der Leine und hängt den Lebenslauf ihrer Tochter auf. Sie dreht sich zu den Passanten um und hält einen Stift und ein Notizheft bereit, als ob sie auf Angebote wartet. In ihrem Heft stehen viele durchgestrichene Telefonnummern einsamer Herzen. Der Richtige war noch nicht dabei.

Auch der Sohn von Herrn Xia ist noch Single - trotz der Hilfe seines Vaters, der zum dritten Mal die Kontaktbörse besucht. "Er hat einfach keine Zeit, um selbst nette Mädchen kennenzulernen", sagt Xia lächelnd über seinen 29-jährigen Sohn. "Seine ganze Generation muss so viel arbeiten, die jungen Leute lernen sich schlichtweg nicht kennen." Sein Sohn sei dankbar für die Hilfe, sagt der Ingenieur. Tatsächlich scheinen sich die jungen Chinesen mit der elterlichen Schützenhilfe arrangiert zu haben. Einige wiederum suchen im Internet nach netten Partnern.

Nach einer Studie des chinesischen Marktforschungsinstituts iResearch erlebt das Online-Dating einen regelrechten Boom in China. Waren es 2004 nur 33 Millionen Chinesen, die das Netz zur Partnersuche genutzt haben, sollen es Ende dieses Jahres mehr als 110 Millionen sein. Regelmäßig kommen neue Webseiten hinzu; allein auf der Seite www.jiayuan.com, wo explizit Ehepartner vermittelt werden, suchen nach Angaben der Betreiber mehr als zwölf Millionen ihr Glück.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie die Jungen das Angebot der Alten schätzen ...

Herz sucht Herz an der Wäscheleine

Dem Treiben auf dem Heiratsmarkt im Schanghaier Renmin Park können Internettrends nichts anhaben. In weniger als einer Stunde ist der Platz belebt wie ein richtiger chinesischer Markt. Die Trauben um die Leinen werden größer. Zuspätkommer verteilen die Lebensläufe ihrer Söhne und Töchter mittlerweile auf freie Flächen am Boden.

Unbekanntes China (2): Herr Xia ist jedes Wochenende auf der Suche nach einer Braut für seinen 29-jährigen Sohn.

Herr Xia ist jedes Wochenende auf der Suche nach einer Braut für seinen 29-jährigen Sohn.

(Foto: Foto: Jakob Tanner)

Kein Glück? - "Macht nichts, ich komme nächsten Samstag wieder"

Gut und gerne 200 Leute sind nach etwa einer Stunde an der Kontaktbörse. Eine Mutter verteilt die Visitenkarten ihres Sohnes. Mittlerweile mischen sich auch immer mehr junge Leute unter die Menge. Scheinbar zufällig kommen sie in diese Ecke des Parks, bleiben betont beiläufig vor den aufgehängten Lebensläufen stehen und studieren sie dann konzentriert wie ein Vorlesungsverzeichnis.

Einer von ihnen ist Richard. Er arbeitet für eine Kunstagentur. So hart, dass ihm nur das Wochenende zur Erholung diene. "Es ist schwer, selbst auf die Suche nach einem Partner zu gehen. Die Konkurrenz um die Arbeitsplätze ist sehr hart. Deshalb muss man sich sehr anstrengen, um seine Arbeit auch zu behalten. Da bleibt keine Zeit fürs Flirten." Er selbst sei "nur zufällig" im Park, fände es aber toll von den Eltern, wie sie sich um ihre Kinder kümmerten. "Meine Eltern sind in meiner Heimatprovinz Hunan geblieben", sagt Richard. "Sonst wären sie wohl auch hier und würden mir helfen."

Der Sohn von Herrn Xia muss noch ein wenig länger darauf warten, bis die Hilfe seines Vaters ihm ein vielversprechendes Date einbringt. Während viele andere Eltern Telefonnummern getauscht haben, ist Xia diesmal leer ausgegangen. "Macht nichts, ich komme nächsten Samstag wieder", sagt er fröhlich. Es scheint für ihn ein großartiger Zeitvertreib zu sein.

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