UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit:"Manches Blasphemiegesetz ist selbst eine Karikatur"

UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit: Angehörige der Minderheit protestieren: Christliche Pakistaner gehen im Jahr 2012 gegen die strikten Blasphemiegesetze ihres Landes auf die Straße.

Angehörige der Minderheit protestieren: Christliche Pakistaner gehen im Jahr 2012 gegen die strikten Blasphemiegesetze ihres Landes auf die Straße.

(Foto: AFP)

Brauchen Götter Polizeischutz? Heiner Bielefeldt, UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, über Karikaturen, die Verfolgung von Christen und die Frage, ob Deutschland noch einen Blasphemieparagrafen braucht.

Von Jannis Brühl

Mit dem Strafgesetz gegen Religionskritiker: Fast ein Viertel aller Staaten hatte einer Zählung des Forschungszentrums Pew Research Institute zufolge im Jahr 2012 Blasphemiegesetze. Seit den Morden an den Satirikern von Charlie Hebdo in Paris wird auch in Deutschland wieder über den "Gotteslästerungsparagrafen" diskutiert.

Heiner Bielefeldt ist Theologe, Philosoph und Professor für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg. Als UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit plädiert der 56-Jährige dafür, Religionsfreiheit als Menschenrecht zu sehen - und nicht als Sonderrecht der Religionen.

SZ.de: Herr Bielefeldt, in Paris wurden neun Satiriker ermordet, weil ihr Magazin den Propheten Mohammed karikiert hatte. In Kopenhagen gab es einen Anschlag auf eine Veranstaltung mit einem schwedischen Mohammed-Zeichner. Schließen Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit einander aus?

Heiner Bielefeldt: Gewiss nicht, beides ist sogar eng verwandt. Leider ist der Eindruck verbreitet, hier gebe es einen Gegensatz: die Meinungsfreiheit sei ein urliberales Recht, die Religionsfreiheit eher ein Recht der Schonung. Da wird missverstanden, dass Religionsfreiheit im Kern derselben freiheitsrechtlichen Logik folgt wie Meinungsfreiheit. Es geht eben nicht um den Schutz religiöser Gefühle oder gar um die Ehre der Religion, sondern um Menschen und ihre gleichberechtigte Freiheit, in Religionsfragen so zu leben, wie es ihren Überzeugungen entspricht.

Die Attentate haben auch eine Debatte über Blasphemieparagrafen ausgelöst. Aber haben Religionen überhaupt Ehre?

Selbst wenn man davon ausgeht, dass Religionen eine zu verteidigende Ehre haben, bleibt unklar, was das Strafgesetz diesbezüglich leisten kann und soll. Manche Gemeinschaften fühlen sich ja schon durch die bloße Existenz einer anderen Religionsgemeinschaft gekränkt oder durch Dissidenten bedroht. Mit rechtlichen Mitteln kann man Religionen und ihre Ehre deshalb nicht schützen.

Auch in Deutschland existiert noch ein Paragraf gegen die "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen".

Der Paragraf 166 des Strafgesetzbuches ist ein Nachfolger des alten Blasphemieparagrafen. Es geht dabei aber nicht um Blasphemie im traditionellen Sinne, sondern um den Schutz religiöser Gefühle und zugleich um den öffentlichen Frieden. Der Zweck ist nicht sonderlich klar formuliert, darin besteht eines der Probleme. Die EU hat sich wiederholt - auch innerhalb der UN - dafür ausgesprochen, Blasphemieparagrafen, die ja teils drakonische Sanktionen androhen, in aller Welt abzuschaffen. Es wäre eine sinnvolle "Flurbereinigung", den deutschen Paragrafen zurückzunehmen. Das würde auch dem öffentlichen Eintreten für die Abschaffung von Blasphemiegesetzen, wofür die Bundesregierung ja innerhalb der EU steht, zusätzliche Glaubwürdigkeit verleihen.

Heiner Bielefeldt Blasphemiegesetz Charlie Hedbo

Heiner Bielefeldt, UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit.

(Foto: Cornelius Wachinger/oh)

Wir sollten nicht allzu viel vom Strafrecht erwarten

Der Staatsrechtler Christian Hillgruber fordert, die Beleidigung religiöser Gefühle sogar stärker zu ahnden - weil sie den öffentlichen Frieden stören könne.

Wenn es um massive Hasspropanda gegen religiöse oder andere Minderheiten geht, ist das strafbewehrte Verbot der Volksverhetzung einschlägig. Daneben trägt der Paragraf 166 nicht viel bei. Außerdem sollten wir generell nicht allzu viel vom Strafrecht erwarten. Geschmacklose Karikaturen und Albernheiten auf Kosten religiöser Gefühle kann man auch so öffentlich zurückweisen. Interreligiöse Dialoge können dazu beitragen, Sensibilitäten zu entwickeln, Missverständnisse abzubauen. Besonders wichtig erscheint mir zivilgesellschaftliche Solidarität mit attackierten und bedrohten Gruppen. Die Anti-Pegida-Demonstrationen haben gezeigt, dass es gelingen kann, den Anspruch von Hassunternehmern, im Namen einer "schweigenden Mehrheit" zu sprechen, in seiner Lächerlichkeit zu entlarven. Das ist im Übrigen ganz im Sinne des "Rabat Plan of Action" des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte.

Was bezweckt dieser Plan?

Der "Rabat Plan of Action" enthält einen Katalog von Maßnahmen, die Staaten gegen Aufstachelung zu Hass - auch Religionshass - ergreifen sollen. Innerhalb dieses Kataloges spielt das Strafrecht interessanterweise nur eine begrenzte Rolle. Die wichtigste Aktionsform gegen "hate speech" ist, kurz gesagt: "positive speech" - nämlich präzise Berichterstattung, öffentliche Klarstellungen, zivilgesellschaftliche Solidarität, Entwicklung einer interreligiösen Gesprächskultur.

Inwiefern nutzen Staaten den Schutz von Religionen für ihre eigenen Interessen?

Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit hat bis vor einigen Jahren regelmäßig Resolutionen im UN-Menschenrechtsrat eingebracht, die meist unter dem Titel "Kampf gegen die Diffamierung von Religionen" standen. Pakistan hatte dabei die Sprecherrolle inne. Diese Resolutionen waren problematisch: Erstens ging es offiziell zwar um "Diffamierung von Religionen" (im Plural), aber tatsächlich vor allem um den Islam, ein bisschen auch ums Christentum. Um kleine Gruppen wie die Bahai (Anm. d. Red.: monotheistische Religion, die vor allem in Iran verbreitet ist und deren Anhänger dort verfolgt werden), Zeugen Jehovas oder Falun Gong ging es nie. Eine Doppelmoral, in der sich religiöse Machtverhältnisse manifestierten. Zweitens trugen diese Resolutionen autoritäre Züge, weil sie vor allem auf restriktive Maßnahmen abzielten.

Ist Pakistan überhaupt als Vorbild geeignet, wenn es um den Schutz von Religionen geht?

Sicher nicht. Das pakistanische Strafrecht kennt drakonische Sanktionen, darunter die Todesstrafe, für "Blasphemie"-Delikte, die vage definiert sind. Die Blasphemieparagrafen bedrohen vor allem religiöse Minderheiten, aber auch kritische Muslime.

Blasphemiegesetze sind kein islamisches Problem

Ist der Umgang mit Beleidigung der Religion ein spezielles Problem islamischer Staaten?

Nein, das ist kein exklusiv islamisches Thema. Es gibt in unterschiedlichen Weltregionen Blasphemiegesetze, nicht nur in islamisch geprägten Ländern, sondern auch in Staaten mit christlicher, hinduistischer oder buddhistischer Tradition. Beispielsweise kennt Griechenland noch eine recht klassische Blaphemiegesetzgebung. Außerdem verbietet die griechische Verfassung "Proselytismus", also aktive Missionierung, was mit der Religionsfreiheit nicht kompatibel ist. In den UN profiliert sich derzeit vor allem Russland als Schutzmacht für religiöse Gefühle gegen kritische Darstellungen. In allen religiösen Traditionen findet man aber auch Religionsgelehrte, darunter nicht zuletzt kritische Muslime, die dafür eintreten, solche restriktiven Gesetze abzuschaffen. Manches Blasphemiegesetz ist selbst eine Karikatur.

Unter religiöser Verfolgung leiden im Nahen Osten auch Christen. Im Irak sind im vergangenen Jahrzehnt wohl mehr als 600 000 geflohen oder getötet worden, auch durch den Islamischen Staat. Sollten sich deutsche Politiker mehr gegen die Verfolgung von Christen engagieren?

Solches Engagement ist wichtig. Es sollte aber im Bewusstsein geschehen, dass überall, wo Christen schikaniert werden, auch andere Gruppen betroffen sind. Im Irak etwa Jesiden, Mandäer und andere Minderheiten. Im Fadenkreuz des IS sind zudem Schiiten, aber auch kritische Sunniten, die mit den Grausamkeiten des IS nichts zu tun haben wollen. Bei Eintreten für bedrohte und verfolgte Gruppen wünsche ich mir mehr "cross overs", etwa Christen, die sich für inhaftierte Atheisten engagieren, oder Hindus, die die muslimische Minderheit in Indien unterstützen. Natürlich gibt es das. Besonders eindrucksvoll fand ich, als die Vertreterin der Bahais bei den UN in Genf sich zugunsten verfolgter Schiiten in Malaysia und Bahrain aussprach - und das, obwohl Bahais selbst in keinem Staat so massiv unterdrückt werden wie im schiitischen Iran. Das war großartig.

Den im Dezember erschienenen Jahresbericht des UN-Sonderberichterstatters Heiner Bielefeldt zur Religions- und Weltanschauungsfreiheit finden Sie hier als Doc-Datei.

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