UN-Sicherheitsrat:Diskreter Kuhhandel

Deutschland bemüht sich um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Bei der Bewerbung wird kräftig gemauschelt - nicht immer geht es dabei fein zu.

Cathrin Kahlweit

Am Dienstagmorgen New Yorker Zeit ist es so weit: Der Sitzungspräsident der UN-Generalversammlung wird zur Wahl von fünf der zehn nicht-ständigen Sitze des UN-Sicherheitsrats aufrufen, die Diplomaten aus aller Welt, die bis dahin schwatzend oder telefonierend zwischen den Stuhlreihen herumstanden, werden zu ihren Sitzen eilen - und bei den Botschaftern Kanadas, Portugals und Deutschlands dürfte starkes Bauchgrimmen einsetzen.

Keine UN-reform bei 60. Generalversammlung der Vereinten Nationen, 2005

In der UN-Generalversammlung entscheidet sich, wer als nicht-ständiger Vertreter in den UN-Sicherheitsrat einzieht. Deuschland, Portugal und Kanada rechnen sich Chancen aus.

(Foto: AFP)

Denn ihre drei Länder kandidieren gegeneinander um die beiden freien Sitze, welche die sogenannte WEOG, die Gruppe der Westeuropäer samt Kanada, 2011 und 2012 besetzen darf.

Jedes Jahr rotieren fünf neue Mitglieder für zwei Jahre in das mächtige UN-Gremium, fünf alte verlassen es; die Sitze sind traditionell nach Weltregionen aufgeteilt. Die Afrikaner haben sich im Vorfeld des 12. Oktober auf Südafrika geeinigt, die Asiaten auf Indien und die Gruppe der Lateinamerikaner sowie der Karibik-Staaten schickt Kolumbien ins Rennen.

Eine Hand wäscht die andere

Eine Kampfkandidatur gibt es also nur um die zwei Sitze des Westens. Und die kann hart werden: Ein Land, das nicht im ersten Anlauf die Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen erhält - stimmen alle 192 UN-Mitglieder ab, wären das 128 Stimmen -, muss in weiteren Wahlgängen Stimmen sammeln. 2006 schlugen sich Guatemala und Venezuela in 48Wahlgängen erfolglos um den Sitz für Lateinamerika - zum Schluss gaben beide Kandidaten auf.

Die Sitze im Sicherheitsrat sind heiß umkämpft: Der nationale Einfluss auf die internationale Politik steigt, weil das Gremium Entscheidungen treffen darf, die für andere Staaten bindend sind. Nur die Vetomächte Russland, China, USA, Frankreich und Großbritannien sind seit Gründung der UN ständig im Rat.

Seit Berlin 2006 seine Kandidatur für 2011 angemeldet hat, sondieren deutsche Minister und Botschafter in aller Welt, um die Chancen für einen deutschen Sitz zu erhöhen. Im Auswärtigen Amt ist man vorsichtig optimistisch, was die Erfolgschancen angeht. Zwar es gibt eine Liste mit Zusagen - aber wer weiß, ob bei den geheimen Abstimmungen alle Freunde Berlins auch tatsächlich für die Deutschen stimmen?

Man darf sich die Wahl durchaus wie einen Kuhhandel vorstellen. Eine Insiderin, die vor einigen Jahren für ihr Land in New York am Schaulaufen um Stimmen teilnahm, erzählt anschaulich von ihren Erfahrungen: So eine Kampagne, sagt sie, laufe in der Regel sehr lang; ein zehnjähriger Wahlkampf sei keine Seltenheit. Dass Deutschland diesmal erst vier Jahre vor der Abstimmung sein Interesse angemeldet hat - nachdem es zuletzt in den Jahren 2003 und 2004 im Sicherheitsrat gesessen hatte -, könnte Berlins Chancen verringern. Denn neben internationalem Einfluss, guten bilateralen Beziehungen und finanzieller Potenz zähle beim Kampf um die zwei Sitze auch eine gute Vorbereitung, sagt die Kennerin.

Und da wäscht eine Hand die andere: Ihr wählt uns dieses Mal, wir wählen euch in der nächsten Runde. Oder: Ihr wählt uns dieses Mal, wir stimmen dafür, dass eine große Konferenz in eurem Land stattfindet. Oder: Ihr stimmt für uns, wir wählen euch in den UN-Menschenrechtsrat. Wer zu spät in diesen Quid-pro-quo-Reigen einsteigt, findet das Fell des Bären eventuell schon verteilt.

Die Chancen der Deutschen sind wackelig

Colin Keating, Chef des Security Council Report, eines unabhängigen Forschungsinstituts in New York, hält die Chancen der Deutschen deshalb für wackelig. "Die Zahl der Länder, die sich noch keinem Konkurrenten verpflichtet hatten, war zu klein, als Deutschland seinen Hut in den Ring warf. Also musste Berlin versuchen, Länder zu einer heimlichen Aufkündigung ihrer Zusagen an andere zu bringen", sagt er. "Das ist immer schwer, aber selbst wenn ein Staat dazu bereit wäre, hätte er riesige Angst, dass so etwas publik wird. Das macht Vorhersagen über den Wahlausgang so schwer."

Selbst ein Land, das sich gut im Rennen wähnt, hat also noch nicht gewonnen. Denn die bilateralen Zusagen können sich bei der Abstimmung als wertlos herausstellen: Da hat ein Land durchaus mal 170 Versprechen, bekommt dann aber nur 130 Stimmen. Bei der Wahl müsse man "mit 20 Prozent Schwund rechnen", sagt die UN-Insiderin mit Erfahrung aus den Vorjahren.

In den Statuten der UN ist festgehalten, dass die Bewerber um einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat einen wesentlichen Beitrag zu Schaffung und Erhalt von Frieden und Sicherheit weltweit leisten müssen, außerdem sollte ein Regionalproporz gesichert sein. Deutschland wirbt damit, dass es 7000 Soldaten für UN-Friedensmissionen stellt und zudem drittgrößter Beitragszahler der Weltorganisation ist.

Kanada verweist ebenfalls auf seine umfangreiche Teilnahme an Blauhelm-Einsätzen und seine Rolle als eine der größten Wirtschaftsmächte. Portugal wiederum argumentiert, auch die kleinen Länder müssten im Sicherheitsrat vertreten sein. Außerdem repräsentiere es die Meeresanrainer und die portugiesischsprachigen Länder.

Zwar haben kleine Staaten gelegentlich durchaus eine Chance auf Aufnahme in den Rat, aber das ändert sich zunehmend. Der kanadische Ex-Botschafter David Malone verweist darauf, dass immer häufiger wichtige Schwellenländer wie Mexiko, Brasilien, Südafrika oder Indien in den Sicherheitsrat drängten, weil das Gremium seit dem Ende des Kalten Krieges wieder mehr Bedeutung habe.

Schwellenländer drängen in den Sicherheitsrat

Da eine grundlegende Reform des Sicherheitsrats seit Jahrzehnten diskutiert, aber nicht umgesetzt werde, spiegele dessen Zusammensetzung zunehmend andere Formationen wie die G8 oder die G20 wieder, in denen diese Länder mit am Tisch sitzen - nach dem Motto: Wenn wir kein dauerhaftes Mitspracherecht im Sicherheitsrat bekommen, müssen wir uns es eben immer wieder erneut auf zwei Jahre verschaffen.

Groß- und Vetomächte wiederum wissen die Mitgliedschaft kleinerer Staaten im UN-Sicherheitsrat auf ihre Weise zu nutzen. In einer Studie untersuchen zwei Wissenschaftler der Harvard-Universität den Zusammenhang zwischen Sitz und Geld und kommen am Beispiel der USA zu eindeutigen Ergebnissen: "Die Hilfe, die ein Land von den USA bekommt, steigt um 59 Prozent, wenn es in den Sicherheitsrat einzieht", schreiben die Autoren.

Die finanzielle Unterstützung für kleine Länder steige zudem in Jahren, in denen im Sicherheitsrat wichtige internationale Probleme wie etwa der Irak-Krieg behandelt würden, besonders stark an; umgekehrt wurde etwa dem Jemen ein Großteil der US-Hilfsgelder gestrichen, als sich das arabische Land 1991 weigerte, dem ersten Irak-Krieg zuzustimmen.

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