UN-Hilfswerk:Warnung vor neuer Flüchtlingswelle

UN-Hilfswerk: Pierre Krähenbühl leitet seit 2014 das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten. Zuvor war der Schweizer für das Internationale Kommittee des Roten Kreuzes tätig.

Pierre Krähenbühl leitet seit 2014 das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten. Zuvor war der Schweizer für das Internationale Kommittee des Roten Kreuzes tätig.

(Foto: Thomas Coex/AFP)

Um Palästinenser nach US-Kürzungen weiter versorgen zu können, sollen Deutschland und andere Europäer einspringen.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Jerusalem

Für Pierre Krähenbühl ist es "die dramatischste finanzielle Krise in der Geschichte der UNRWA". Nach der Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, Hilfen für Palästinenser zu streichen, hat die Regierung vergangene Woche 65 Millionen US-Dollar (53 Millionen Euro) für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für die Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, UNRWA genannt, nicht freigegeben. Es ist rund die Hälfte der ersten Tranche der für 2018 vorgesehenen US-Hilfen an UNRWA.

Die UN-Organisation unterstützt etwa fünf Millionen Palästinenser, die teilweise in Flüchtlingslagern in Jordanien, Syrien, Libanon, im Westjordanland und im Gazastreifen leben. Der Schweizer Diplomat, der das Hilfswerk seit 2014 leitet, sieht durch die US-Kürzungen wesentliche Kernaktivitäten bedroht. In Einrichtungen der UN-Organisation werden seinen Angaben zufolge 525 000 Schüler unterrichtet, rund drei Millionen Patienten in 140 Kliniken pro Jahr betreut und Nahrungsmittellieferungen bezahlt. Alleine im Gazastreifen beziehen rund zwei Drittel der zwei Millionen Einwohner UN-Unterstützungsleistungen. "Wir wissen nicht, ob wir alles aufrecht erhalten können", sagt Krähenbühl.

Er hat schon Kontakt mit den bisherigen Geldgebern aufgenommen. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung bestätigt Krähenbühl, dass er am Freitag Gespräche mit dem Auswärtigen Amt in Berlin geführt hat. "Es ging in einem ersten Schritt darum, Informationen zu teilen und zu analysieren: Besteht die Möglichkeit, sehr schnell Unterstützung zu leisten und die Gelder früher zu überweisen?" Auf die Frage, welche Antworten er bekommen habe, meint der UNRWA-Generaldirektor: "Ich weiß, dass sich Deutschland sehr bemühen wird und sich für uns sehr einsetzt."

Deutschland steht auf der Liste der Unterstützer nach den USA, der EU und Saudi-Arabien an vierter Stelle. 2016 wurden rund 60 Millionen Euro überwiesen. Die Partnerschaft mit Deutschland sei in den vergangenen Jahren gewachsen. "Der Wiederaufbau im Gazastreifen und unsere Bemühungen dort gehen zu einem wesentlichen Teil auf die deutsche Unterstützung zurück", sagt Krähenbühl. Beim Gazakrieg 2014 wurden viele Häuser beschädigt.

Der UNRWA-Chef setzt insbesondere auf weitere Hilfe der Europäer, obwohl diese bereits 55 Prozent der Gelder bereitstellen. Sein Argument: Damit könne eine neue Flüchtlingskrise wie 2015 verhindert werden, als sich sehr viele Menschen aus Syrien auf den Weg Richtung Europa machten. "Wir haben durch unsere Arbeit langfristig einen Beitrag dazu geleistet, dass palästinensische Flüchtlinge weiterhin die Wahl haben, in der Region zu bleiben. Man muss sich nicht vorstellen, dass das immer so sein wird. Man muss sich auch nicht vorstellen, dass fünf Millionen Menschen, die in der Region keine Zukunftsperspektive hätten, dann einfach hierbleiben werden oder sich den Süden als Migrationsziel vorstellen würden", warnt er. Deshalb müsse man zu Lösungen in der Region beitragen, und UNRWA sei ein Teil davon.

Man müsse persönliche Zukunftsperspektiven schaffen, gerade weil keine politischen Lösungen in Sicht seien. "Es geht um die Zukunft der Kinder und um die Stabilität in der Region, wo man eine mögliche Radikalisierung mit großer Sorge betrachtet." Die UN-Organisation hat 30 000 Mitarbeiter, davon 98 Prozent Palästinenser, die vor allem als Lehrer und im Krankenhaus arbeiten. Damit ist UNRWA einer der größten Arbeitgeber in der Region und auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

In den nächsten Tagen werde man eine globale Kampagne starten, kündigte Krähenbühl an. Man hoffe auch auf Geldgeber im Bereich der Unternehmen und auf Privatpersonen, darunter beruflich erfolgreiche Palästinenser. "Wir brauchen eine viel größere Vielfalt der Geldgeber. Das haben wir in der Vergangenheit versucht, aber wir waren nicht sehr erfolgreich dabei."

Am 31. Januar findet in Brüssel eine Geberkonferenz statt. Die EU und USA könnten auch gemeinsam auf die Golfstaaten einwirken, mehr und vor allem regelmäßige Unterstützung zu leisten.

UNRWA wurde 1949 von den UN-Mitgliedsstaaten gegründet, das Programm wird regelmäßig um drei Jahre verlängert. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kritisiert, dass UNRWA eigens für die Palästinenser geschaffen worden sei, während sich das UN-Hilfswerk UNHCR um andere Flüchtlinge weltweit kümmere. "Was wir im Gegensatz zum UNHCR leisten ist das Engagement im Bildungssystem. Das gibt es bei keiner anderen UN-Organisation und ist ein Beitrag für eine Zukunftsperspektive", kontert Krähenbühl und verweist darauf, dass bisher zwei Millionen Palästinenser UNRWA-Schulen besucht haben.

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