UN-Bericht:Zuflucht bei den Armen

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So viele Menschen wie nie zuvor müssen derzeit weltweit ihre Heimat verlassen - allerdings sucht nur ein Bruchteil von ihnen Schutz in Europa.

Von Wolfgang Janisch und Matthias Kolb, München/Karlsruhe

Die Zahl der Flüchtlinge weltweit steigt weiter, doch die Ankunftszahlen in Europa gehen zurück. Zwei Drittel aller Hilfesuchenden stammen aus nur fünf Ländern: Syrien, Afghanistan, Südsudan, Myanmar und Somalia. Und: 85 Prozent aller Flüchtlinge werden in armen Ländern aufgenommen - und nicht in den reichen Ländern Europas, wie es Populisten und auch diverse Regierungen immer wieder behaupten. Das sind die Ergebnisse, die das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Dienstag in seinem "Global Trends"-Bericht vorgelegt hat.

Zum fünften Mal in Folge ist die Zahl der Flüchtlinge in aller Welt auf ein Rekordniveau gestiegen. Wegen Krieg, Gewalt und Verfolgungen befanden sich 2017 insgesamt 68,5 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. 25,4 Millionen Menschen haben ihre Heimat verlassen, fast drei Millionen mehr als 2016. Einen kleinen Rückgang gab es bei den Binnenvertriebenen: 40 Millionen Menschen waren 2017 im eigenen Land auf der Flucht, 300 000 weniger als im Jahr zuvor. Migranten, die aus ökonomischen Gründen ihre Heimat verlassen, werden in diesem Report nicht berücksichtigt.

Das Rückführen von Flüchtlingen darf durchaus effizient gestaltet werden, urteilt der EuGH

Dementsprechend dankt Dominik Bartsch, der Repräsentant des UNHCR-Hochkommissars in Berlin, dem "wichtigen Aufnahmeland" Deutschland für die Unterstützung - und auch für die finanzielle Hilfe des UNHCR. Gleichzeitig mahnt er im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung dringend an, die politische Debatte wieder sachlicher zu führen. Denn für Deutschland deutet der Trend eindeutig auf Stabilisierung hin: "Im ersten Quartal 2018 sank die Zahl der Asylsuchenden erneut um fast 16 Prozent." Bartsch beklagt, dass Begriffe wie "Asyltourismus", den CSU-Politiker Markus Söder zuletzt häufig verwendete, dazu führen könnten, dass die Bevölkerung die Integrationsbereitschaft von Geflüchteten nicht weiter unterstütze. "Die aktuelle, erhitzte Debatte passt nicht zu den Zahlen, die uns vorliegen", sagt der UNHCR-Repräsentant. Die Zahl der Personen, die vom Vorschlag von Innenminister Horst Seehofer betroffen wären, sei nämlich "verschwindend klein".

Bartsch wirbt hingegen dafür, mehr über "Chancen und Potenzial der Flüchtlinge" zu sprechen. Er bezeichnet die aktuelle Debatte als "paradox" und vermutet, dass einige öffentliche Äußerungen wohl dazu dienen sollten, "Ängste zu schüren". Entscheidend sei es, dass Flüchtlinge nicht als anonyme Bewohner eines Heimes wahrgenommen würden, sondern als konkrete Personen aus der Nachbarschaft. Dabei komme dem Arbeitsleben eine entscheidende Bedeutung zu: "Richtige Integration beginnt mit Jobs, damit es auch Kollegenkontakt mit Flüchtlingen gibt."

Die aktuelle "Null Toleranz"-Politik der US-Regierung von Donald Trump sieht Bartsch mit Sorge. Es sei bedenklich, dass "weltweit immer mehr Signale der Abschreckung" gesendet würden. Das UN-Flüchtlingshilfswerk dringe darauf, dass jeder und jede "das Recht bekommen, seinen Fall darzustellen und ein Schutzgesuch zu stellen". Auch das Ansinnen der ungarischen Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán, Anwälte und Aktivisten zu kriminalisieren, wenn diese Flüchtlingen helfen oder ihnen Rechtsbeistand geben, kritisiert Bartsch scharf.

Derweil hat der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass Verfahren zur Rückführung von Flüchtlingen durchaus effizient gestaltet sein dürfen - vorausgesetzt, rechtsstaatliche Standards sind gewahrt. In dem aus Belgien stammenden Fall ging es um die Frage, ob eine Entscheidung über die Rückführung sofort mit der Ablehnung des Antrags auf Flüchtlingsschutz verbunden werden darf. So wird das auch in Deutschland gehandhabt.

Im EuGH-Verfahren hatte jedoch der Generalanwalt des Gerichts die Ansicht vertreten, die Rückkehr des Flüchtlings dürfe erst nach Ende einer gerichtlichen Prüfung angeordnet werden. Dem ist der EuGH nicht gefolgt. Wenn die Rückführentscheidung bis zum Abschluss der ersten gerichtlichen Instanz ausgesetzt wird, darf sie bereits bei der Ablehnung des Schutzantrags ausgesprochen werden, so dass nicht zwei, sondern nur ein Verfahren erforderlich ist. In dieser Phase darf der Flüchtling allerdings weder in Abschiebehaft genommen werden, noch darf die Frist für eine freiwillige Ausreise zu laufen beginnen - das gebiete der Grundsatz der Waffengleichheit, argumentiert der EuGH. Das Hauptziel der Rückführungsrichtlinie sei eine wirksame Rückkehrpolitik "unter vollständiger Achtung der Grundrechte und der Würde des Betroffenen".

© SZ vom 20.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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