Umweltverschmutzung in China:Nein, der Körper gewöhnt sich nicht an Smog

*** BESTPIX *** China Daily Life - Pollution

Ein Mann mit obligatorischer Atemschutzmaske im vergangenen November in Peking

(Foto: Getty Images)

Jedes Jahr verspricht Chinas Führung, die Luft sauberer zu machen. Doch nichts ändert sich. Warum, das zeigt der Film einer mutigen Journalistin. 200 Millionen Chinesen sehen ihn - dann schreitet die Zensur ein.

Kommentar von Kai Strittmatter

Nicht wenige ausländische Besucher Chinas zeigten sich in den vergangenen Jahren beeindruckt von der vermeintlichen Weisheit der Regierenden in Peking. Meist verwiesen sie dabei auf die schonungslose Analyse der Probleme des Landes, die sie aus dem Mund von Chinas Funktionären selbst zu hören bekamen. "Die wissen genau, wo sie der Schuh drückt", ist ein vielgehörter Satz in Wirtschafts- und Diplomatenkreisen.

Und tatsächlich: Jedes Jahr einmal, Anfang März, könnte man glauben, es gebe keinen größeren Kritiker der chinesischen Regierung als die Regierung selbst. Misswirtschaft, wachsende soziale Ungleichheit, "schockierende Korruption" und "gravierende Umweltverschmutzung" - im Rechenschaftsbericht von Premier Li Keqiang am Donnerstag war mal wieder alles drin. So wie er auch voriges Jahr alle Missstände aufgezählt hatte. Und sein Vorgänger im Jahr davor. So wie überhaupt alle Premierminister das seit Jahrzehnten tun.

Die Probleme werden drückender - doch nichts ändert sich

An der Erkenntnis fehlt es also nicht. Die Sache ist nur: Von Jahr zu Jahr werden viele der Probleme drückender - doch es ändert sich nichts. Nichts Grundlegendes zumindest. Weil jede Tat, die wirklich an die Wurzeln ginge, eine Operation am offenen Herzen des Systems wäre. Weil fast jeder Schritt zu einem gesünderen, gerechteren China die Partei Macht kosten würde.

Es hat in jedem Jahr etwas Symbolisches, wenn der Premier seinen Rechenschaftsbericht vor dem Volkskongress ablegt, einem Scheinparlament, das nur dazu da ist, Vorlagen der Partei abzunicken. In diesem Jahr aber ist die Ironie noch etwas größer: Die Gelöbnisse des Premiers, sich ums Volkswohl und gerade auch um eine saubere Luft zu kümmern, kommen genau einen Tag nach dem Beschluss der Zensoren, die seit Jahren ernsthafteste Debatte über den Umweltschutz im Lande im Keim zu ersticken. Angestoßen wurde diese durch den von der Journalistin Chai Jing auf eigene Faust gedrehten und ins Internet gestellten Film "Unterm Firmament".

Ein Film erwischt die Zensoren kalt

Der Film ist ein kleines Wunder. Ein Wunder ist, dass ihn in nicht einmal einer Woche 200 Millionen Chinesen gesehen haben; und ein Wunder ist, dass die Zensur ihn anfangs duldete, die Staatsmedien ihn gar bewarben. Kein Wunder hingegen ist, dass die von der leidenschaftlichen Debatte über den Film kalt erwischten Zensoren am Ende zuschlugen.

Der Film zeigt ungeschminkt, was schiefläuft in einem System wie dem chinesischen. Wenn er den Zuschauern die Lügen erklärt, mit denen sie bislang gefüttert wurden (nein, der Körper gewöhnt sich nicht an Smog). Wenn er enthüllt, was passieren würde, wenn China einfach nur seine existierenden Gesetze einhalten würde: Die Kohleemissionen würden auf einen Schlag um 60 Prozent zurückgehen. Wenn er zeigt, warum Firmen und Ministerien sich nicht um diese Gesetze scheren, ohne dass sie irgendeiner dafür zur Verantwortung zöge. Wenn er die Rolle der Korruption aufzeigt. Wenn er zeigt, wie Städte wie Los Angeles ihr Smogproblem in den Griff bekamen, nämlich mit Bürgerbeteiligung und Innovation, vor allem aber: mit Transparenz.

Ganz kurz blitzt in China die Macht der Transparenz auf

"Der größte Verschmutzer in dieser Gesellschaft ist eine Regierung mit schrankenloser Macht", schrieb hernach der Autor Ran Yufei. Und tatsächlich ist der Film selbst ein Beispiel dafür, was eine Gesellschaft voranbringen kann: unabhängige Aufsicht durch Medien. Im Idealfall flankiert durch eine unabhängige Justiz, die die Bürger schützt und nicht den Staat. Für ein paar Tage ist in China etwas aufgeblitzt, was die Filmerin Chai Jing selbst "die Macht der Transparenz" nennt. In einem Zensuredikt heißt es, die von dem Film ausgelöste Debatte müsse unterdrückt werden, weil sie "geeignet sei, Zweifel an der Regierung zu säen". Vor dem Fortschritt aber kommt der Zweifel.

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