Umweltschutz:Droge Plastik

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Die Menschheit verhält sich wie ein Junkie, und ihre Designerdroge ist der Kunststoff. Die Schäden, die all das Plastik der Umwelt und insbesondere den Meeren, zufügt, sind gigantisch. Recycling reicht da als Lösung längst nicht aus. Es ist Zeit, dass die Politik mit Verboten eingreift.

Von Jan Heidtmann

Ein Merkmal von guten Drogen ist es, dass sie für den Moment ein Hochgefühl verschaffen. Langfristig eingenommen aber richten sie massiven Schaden an. So gesehen ist die Menschheit ein Junkie im fortgeschrittenen Stadium des Abusus. Die Droge, um die es geht, ist das Plastik. Die Folgen dieser Sucht sind weltweit bereits so deutlich erkennbar wie die angegriffenen Zähne eines Crystal-Meth-Abhängigen. "Ohne Plastik können wir nicht leben", sagte jetzt der Vizepräsident der EU-Kommission, "aber es kann uns töten, wenn wir unsere Politik nicht ändern."

Seit 1909 Bakelit, das erste vollsynthetische Material, eingeführt wurde, hat kein anderer Stoff den Alltag so durchdrungen. Plastik ist formbar, beständig gegen Regen und Sonne, es spart Gewicht und damit Kraftstoff beim Autofahren. Als Folie hält es das Gemüse frisch, und die Erfindung der Einwegspritze hat in der Medizin so manches Leben gerettet. Plastik ist so gut, dass die Menschen immer mehr davon wollen: In den vergangenen 50 Jahren ist die Produktion des Kunststoffes um das Zwanzigfache gestiegen. 240 Millionen Tonnen werden weltweit im Jahr produziert, 60 Millionen davon in den Ländern der EU. Allein 2014 wurden nach Schätzungen von Greenpeace 50 Milliarden Kleidungsstücke mit Polyester hergestellt. Plastik ist damit die erfolgreichste Designerdroge weltweit.

Denn so eingängig die Vorteile des Plastiks sind, so offensichtlich sind die unbehebbaren Schäden, die es anrichtet. Eine Plastiktüte wird im Durchschnitt 25 Minuten genutzt, bis sie im Müll landet. Die Natur aber braucht 400 Jahre, um sie wieder abzubauen. Und jede Minute wird irgendwo auf der Welt eine Lkw-Ladung Plastikabfall ins Meer gekippt; in den Ozeanen schwappen inzwischen mehrere Inseln aus Kunststoff, eine so groß wie Mitteleuropa. Dramatischer noch ist, was nicht zu sehen ist: Auf dem Meeresboden lagern Tausende Tonnen mikroskopisch kleiner Plastikteilchen. Geht es bis 2050 so weiter, so wird geschätzt, wiegt das Plastik in den Ozeanen mehr als alles Meeresgetier zusammen.

Wie die meisten Abhängigen versuchen sich die Menschen ihre Sucht schönzureden - allen voran die Deutschen. Das Zauberwort heißt hierbei Recycling. Deutschland, so wird immer wieder betont, sei Weltmeister im Weiterverwerten. Tatsächlich wird jedoch nicht einmal die Hälfte der sechs Millionen Tonnen an Kunststoffmüll im Jahr eingesetzt, um in der Bundesrepublik neue Produkte daraus zu formen. Der größere Teil wird entweder verbrannt oder ins Ausland exportiert. Dass China sich jetzt weigert, weiterhin den "yang laji", den "Ausländer-Müll", abzunehmen, ist gut. Abseits davon, dass es ein merkwürdiges Selbstverständnis ist, seinen Müll in anderen Ländern abzuladen, ist es auch ökologisch fragwürdig, Hunderttausende Tonnen davon jährlich um die Welt zu schicken.

Die "Plastikstrategie", die der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, in der vorigen Woche skizziert hat, könnte ein weiterer Schritt sein, um einen Ausweg aus dieser Misere zu finden. Bis 2030 sollen alle Plastikverpackungen in den Ländern der Gemeinschaft recyclingfähig sein. Auch das von kommendem Jahr an in Deutschland gültige Verpackungsgesetz geht in diese Richtung. Doch Recycling heißt ja nicht, dass das Plastik von der Erde verschwindet - es wird nur später weggeworfen. Vielleicht ist es einfach Zeit, dass die Politik so manchem Unsinn ein Ende setzt. Wie der Bio-Avocado, die in einer Plastikschale mitsamt Kunststofffolie verkauft wird.

© SZ vom 20.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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