Umweltminister Altmaier:Merkels Geheimwaffe

Seit 100 Tagen ist Peter Altmaier Bundesumweltminister. Viel bewegen kann er nicht mehr, das vereiteln die politischen Konstellationen. Stattdessen suggeriert er unermüdlich Tatendrang - und hat es so binnen kurzer Zeit zum Gesicht der deutschen Energiewende gebracht.

Michael Bauchmüller, Berlin

Was deutsche und europäische Geschichte angeht, macht Peter Altmaier so schnell keiner was vor. Nicht selten hockt der Bundesumweltminister nachts noch am Computer und surft auf den Seiten irgendwelcher Online-Antiquariate, immer auf der Suche nach einem alten Schinken. Das Kaiserreich und die Weimarer Republik haben es ihm besonders angetan.

In einem der angestaubten Werke fand der CDU-Politiker kürzlich unverhofft den Prototypen seiner eigenen Vorstellungen von Politik: die italienische Diplomatie des frühen 20. Jahrhunderts. Wie niemand sonst, so las er da, hätten es die Italiener verstanden, una combinazione zu finden. Also herauszufinden, was die Gegenseite so umtreibt, um schließlich ein Geschäft zum beidseitigen Nutzen zu schließen. Als Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion hatte das bis zum Frühjahr trefflich geklappt. In der Umweltpolitik aber, das hat Altmaier in 100 Tagen als Minister mittlerweile gelernt, ist das weit schwieriger als einst im Königreich Italien.

Denn wohin Altmaier auch blickt, von combinazioni fehlt jede Spur. Da wäre etwa Thema Nummer eins, die Energiewende. Ein Sturm zieht auf, jetzt, wo die vielen Windräder und Solarparks zunehmend auf die Strompreise durchschlagen. Erstmals gerät die Energiewende so richtig unter Feuer, und das nicht nur von denen, die nie viel von dem Projekt gehalten haben. Was tun? Eine Reform der Ökostrom-Gesetze wäre gut, ein sachteres Tempo beim Ausbau. Nur: Im Januar wählt das Windkraft-Paradies Niedersachsen, im Herbst das Biogas- und Solar-Dorado Bayern. Nicht die Zeit für eine Reform, denn der müssen auch diese Länder zustimmen.

Endlager-Frage ungeklärt

Nicht anders beim Thema 2: die Suche nach einem Endlager. Altmaiers Vorgänger Norbert Röttgen stand schon Zentimeter vor einem Durchbruch zu einem neuen Gesetz. Bund und Länder hätten damit noch einmal ganz von vorn anfangen können, mit einem völlig neuen Suchverfahren. Dann vereitelte just jene Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen eine Einigung, die den CDU-Spitzenkandidaten Röttgen das Amt kostete. Neue Gespräche hat Altmaier schon angekündigt, doch die Sache wird zusehends schwierig. Bei den Grünen, die Teil des großen Konsenses sein sollten, regt sich Widerstand: Dort wollen einige, anders als Altmaier, Gorleben ein für allemal abhaken. Und ausgerechnet jetzt müssen sich Grünen-Spitzenpolitiker wie Jürgen Trittin einer Urwahl stellen. Ein schlechter Zeitpunkt für ein parteienübergreifendes Gesetz.

Altmaier suggeriert Tatendrang

Ebenso beim Thema 3, dem Klimaschutz. Altmaier würde gern, wie viele seiner europäischen Amtskollegen, die EU auf strengere Klimaziele einschwören. Nur das Kohleland Polen sperrt sich. Altmaier würde am liebsten mit dem dortigen Umweltminister Marcin Korolec Chancen für eine combinazione ausloten. Doch ein Treffen am Montag scheiterte, weil Altmaier mit einer Erkältung kämpfte. Ob sich Polen auf Deals einließe, ist ohnehin fraglich. Korolec wirkt ziemlich entschlossen.

Peter Altmaier besucht Windpark Alpha Ventus

Wo immer in Deutschland Energiewende stattfindet, Umweltminister Altmaier war schon da. Hier posiert er am Windpark Alpha Ventus in der Nordsee vor Borkum.

(Foto: dpa)

Was aber tut ein Umweltminister, der nur noch ein Jahr Zeit hat, Dinge umzusetzen, aber faktisch nichts mehr für jene Geschichtsbücher leisten kann, die er so liebt? Genau: Er suggeriert Tatendrang. In gespenstischer Omnipräsenz tingelt Altmaier derzeit durch die Republik. Er klappert Ministerpräsidenten ab, empfängt die Bosse der Stromkonzerne, gibt Interviews, lässt sich überall fotografieren. Wo in Deutschland Energiewende stattfindet, war Altmaier schon da. Binnen kurzer Zeit hat er es so zum Gesicht des Gigawatt-Projekts geschafft. Immer lächelnd.

Es ist ein Geschenk des Schicksals. Als Altmaier Ende Mai zu seiner eigenen Überraschung zum neuen Umweltminister berufen wurde, da landete er in der Energiewende wie ein Astronaut auf einem fernen Planeten. Seit 100 Tagen ist er dort - aber immer noch wirkt es so, als wolle er ihn erkunden. Für einen Umweltminister eine sensationelle Position: Mal ist er mittendrin, mal interessierter Beobachter. Im Zweifel rühren die Probleme ja noch aus der Zeit seines Vorgängers her. Geht Altmaiers Strategie auf, dann wird er in den verbleibenden 400 Tagen im Amt so etwas wie ein gefühlter Troubleshooter der Energiewende. Einer, der erkennbar bis zur Erschöpfung rackert, jederzeit mit jedem jedes Problem erörtern würde - aber de facto nicht allzu viel ändern kann, schon aus politischen Zwängen heraus.

Mission für die nächsten Monate

Montagnacht, von seiner Erkältung hatte er sich offenbar wieder etwas erholt, da griff Altmaier zu seinem elektronischen Lieblingsmedium, dem Kurznachrichtendienst Twitter. "Das Hauptproblem der Energiewende ist, dass jeder sie nur aus dem Blickwinkel seines eigenen Interesses sieht", analysierte Altmaier. Sie werde aber nur gelingen, "wenn die Einzelinteressen zu einem Ganzen verbunden werden". Eine wunderbare Mission für die nächsten Monate. Denn damit kann Altmaier sich auf das konzentrieren, was er am besten kann: auf Menschen zugehen, mit ihnen reden, sie einbinden. Und ganz nebenbei gewinnt er wertvolle Zeit. Wer nämlich die Einzelinteressen zu einem Ganzen verbinden will, läuft nicht Gefahr, Partikularinteressen voreilig nachzugeben. Und im Zweifel läuft es so, wie Altmaier das schon für das Ökostrom-Gesetz vorgeschlagen hat: Erst reden, dann entscheiden - und zwar in der nächsten Legislaturperiode. Was kann daran schon falsch sein?

Für Angela Merkel könnte Altmaier so zu einer Geheimwaffe für den Bundestagswahlkampf 2013 werden. Denn durch seine Offenheit in alle Richtungen macht er sich schwer angreifbar, selbst die Grünen zollen Respekt. Und nach dem schwarz-gelben Ausstieg aus der Atomenergie könnte Altmaier nun sogar die Wähler abholen, die vom früheren Atomkurs der Union nie viel gehalten haben, deshalb die Grünen vorzogen. Nicht mal die Industrie muss klagen: Denn keine Rede vergeht, ohne dass Altmaier deren Stellenwert preist. Nichts Konkretes zwar, aber davon für alle ein bisschen. Auch eine feine combinazione.

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