Umwelt:Am Anschlag

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Die Jäger werden der Wildschweine kaum mehr Herr.

Von Thomas Hahn

Kein Jäger lässt sich in diesen Zeiten nachsagen, er schone die Wildschweine. Manche Waidmänner in Mecklenburg-Vorpommern fanden es deshalb unpassend, als Landesagrarminister Till Backhaus (SPD) ein zwei Millionen Euro teures Sofortprogramm zur "drastischen Reduzierung der Schwarzwildbestände" auf den Weg brachte. Als müssten sie zur Wildschweinjagd getragen werden - unter anderem mit 25 Euro für jedes erlegte Tier.

Aber so ist dieses Programm, das seit 1. Dezember läuft, nicht gemeint. Es soll dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest vorbeugen, die sich vom Osten her ausbreitet. Der Landesjagdverband unterstützte Backhaus. "Wer jetzt die verstärkte Jagd kritisiert, hat den Schuss nicht gehört", sagte Präsident Volker Böhning in der Schweriner Volkszeitung.

Verständlich ist es trotzdem, dass Jäger genervt sind, wenn der Eindruck entsteht, man kümmere sich nicht richtig um das Schwarzwild. Denn das Wildschwein hat sich zu ihrem hartnäckigsten Widersacher entwickelt. Seit Jahren verbreitet es sich im Bundesgebiet, durchwühlt Felder und dringt ins Stadtgebiet vor. Laut Deutschem Jagdverband (DJV) haben die Jäger 610 631 Wildschweine erlegt in der Saison 2015/16, 90 008 mehr als im Jahr zuvor, drei Mal so viele wie vor 20 Jahren. "Die Jäger machen ihre Hausaufgaben", sagt DJV-Sprecher Torsten Reinwald.

Trotzdem brechen die Nachrichten von unliebsamen Begegnungen nicht ab. Vor wenigen Tagen spazierte ein 100 Kilo schwerer Keiler durch Ebersberg in Oberbayern. Anfang November suchte eine ganze Rotte mehrere Gärten in Hamburg-Duvenstedt heim. Ende Oktober versetzten zwei Wildschweine die Stadt Heide in Holstein in den Ausnahmezustand, weil sie Geschäfte stürmten und Menschen verletzten. In Teilen von Berlin gehören Wildschweine fast schon zum Stadtbild. Am vorvergangenen Wochenende ereignete sich sogar ein tödlicher Unfall: Ein angeschossenes Wildschwein verletzte einen Jäger in Mecklenburg-Vorpommern so schwer, dass dieser verblutete.

Wildschweine sind scheue Tiere und nicht die neuen Monster des 21. Jahrhunderts. Aggressiv werden sie erst, wenn sie verwundet sind oder sich bedroht fühlen. Allerdings hat der Mensch eine Umwelt geschaffen, die Wildschweine einerseits prächtig gedeihen lässt, sie andererseits aber auch einengt. Die produktive Landwirtschaft mit ihren gedüngten Feldern und mildere Winter haben das Nahrungsangebot so erweitert, dass die Wildschweine schneller geschlechtsreif werden als früher. Wegen des Klimawandels leben sie mittlerweile in Höhenlagen, in denen es ihnen früher zu kalt war. Gleichzeitig sind Wohngebiete in Stammgebiete der Wildschweine hineingewachsen. Offene Kompostanlagen locken die anpassungsfähigen Allesfresser. Viele Menschen machen außerdem den Fehler, sie zu füttern.

Die Folgen haben die Jäger zu bekämpfen. Reinwald schätzt, dass vor der Jagdsaison im Herbst etwa 900 000 Wildschweine durch Deutschland streifen - nach der Saison im Frühjahr noch 250 000. Gut möglich, dass manche Jäger in Mecklenburg-Vorpommern trotz Abschussprämie gar nicht mehr Wildschweine schießen können. Weil sie nicht mehr schaffen.

© SZ vom 11.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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