Umstrittenes Wahlkampfvideo:Wie ein trauriger Stahlarbeiter Obama schadet

Es ist ein ungeheuerlicher Vorwurf: Mitt Romney soll als Chef des Investmentunternehmens Bain Capital zum Tod der Ehefrau eines Stahlarbeiters beigetragen haben. Zumindest legt das ein TV-Spot im US-Wahlkampf nahe. Doch jetzt bringt die dünne Faktenlage Obamas Kampagnen-Managerin in Erklärungsnot.

Johannes Kuhn

Unterlegt von traurigen Ambient-Klängen erzählt Joe Soptic in einem Video, wie sein Leben auseinanderfiel: "Als Mitt Romney und Bain die Fabrik schlossen, verloren meine Familie und ich die Krankenversicherung", berichtet der ehemalige Stahlarbeiter in einem Video.

Kurz darauf, sagt er, sei seine Frau an Krebs erkrankt. "Sie starb innerhalb von 22 Tagen. Ich glaube nicht, dass Mitt Romney klar ist, was er den Menschen angetan hat. Vielmehr glaube ich nicht, dass es ihn kümmert." In den Augen des Mannes, dessen Gesicht grau und von Falten durchfurcht ist, schimmern Tränen.

Immer wieder hat Obamas Kampagnenteam versucht, seinen Herausforderer Mitt Romney als rücksichtslosen Hyperkapitalisten darzustellen, der während seiner Zeit bei der Investmentfirma Bain Capital Geld mit der Verlagerung amerikanischer Jobs ins Ausland verdiente.

Der Wahlkampf-Spot des liberalen Super-Pacs "Priorities USA Action" scheint für diese These nun den lebenden Beweis zu präsentieren: Einen hart schuftenden, gewerkschaftlich engagierten Stahlarbeiter aus Kansas City, dessen Leben und Familie durch die Gier von Romneys Heuschrecken-Firma zerstört wird. Ein Durchschnittsamerikaner, der zum Symbol wird, ähnlich wie 2008 Joe "der Klempner" Wurzelbacher. Der lieferte den Republikanern Argumente, Obama als sozialistisch angehauchten Umverteiler darzustellen.

Zweifel an Soptics Geschichte

Das Problem: Joe Soptic taugt offenbar nicht zur Symbolfigur, der Videoclip erntet inzwischen heftige Kritik. So starb Soptics Ehefrau Ranae nach Recherchen von Politico.com erst 2006, fast fünf Jahre, nachdem Bain Capital die Stahlfirma in die Insolvenz geschickt und die Fabrik in Kansas City geschlossen hatte. Zudem, so fand CNN heraus, war sie offenbar nicht bei ihrem Ehemann mitversichert, sondern verlor ihre Gesundheitsversicherung erst, als sie zwischen 2002 und 2003 selber arbeitslos wurde. In einem TV-Interview musste Soptic auch eingestehen, dass Bain Capital den Mitarbeitern seiner Abteilung bereits vor Schließung der Fabrik eine Abfindung angeboten habe.

Ein Vertreter des Super-Pacs "Priorities USA Action" erklärte inzwischen, man habe keine Verbindung zwischen der Unternehmenspolitik von Bain Capital und dem Tod der Frau ziehen wollen. Das Romney-Lager bezeichnete das Video als "infam", auf YouTube finden sich zahlreiche Videos konservativer Aktivisten, in denen die Widersprüche thematisiert werden.

Volle Punktzahl auf der Wahllügen-Skala

Obamas eigenes Team hat sich von dem Wahlwerbespot distanziert. Es argumentiert damit, dass die Kampagnenbüros der Kandidaten mit den umstrittenen Super-Pacs keine inhaltichen Absprachen träfen. Dies wäre auch verboten, allerdings agieren die Super-Pacs in der Regel im Sinne des unterstützten Kandidaten. "Priorities USA Action" wurde sogar von zwei ehemaligen Wahlkampf-Mitarbeitern des Präsidenten gegründet.

Umstrittenes Wahlkampfvideo: Ehemaliger Stahlarbeiter Joe Soptic: "Ich glaube nicht, dass Mitt Romney klar ist, was er den Menschen angetan hat."

Ehemaliger Stahlarbeiter Joe Soptic: "Ich glaube nicht, dass Mitt Romney klar ist, was er den Menschen angetan hat."

Obamas stellvertretende Kampagnen-Managerin Stephanie Cutter erklärte, sie sei mit den Fakten "nicht vertraut". Dabei war Soptic laut Politico auch in einem offiziellen Wahlkampfvideo des Präsidenten zu sehen. Außerdem war er zu Gast in einer telefonischen Pressekonferenz der Obama-Kampagne. Die Moderatorin der Telefonrunde: Stephanie Cutter.

Ob Mitt Romney überhaupt an der Schließung der Stahlfabrik beteiligt war, ist unklar. Es ist umstritten, ob der republikanische Präsidentschaftsbewerber zwischen 1999 und 2001 noch aktiv in die Entscheidungen des Unternehmens eingebunden war.

Bain Capital hatte unter seiner Führung die Stahlfirma GS Technologies, in der Soptic arbeitete, 1993 gekauft. 2001 ging die Firma im Zuge des Niedergangs der Stahlbranche in die Insolvenz, 750 Mitarbeiter der Stahlhütte in Kansas City verloren ihre Arbeitsstelle. Bain Capital konnte nach Angaben der Los Angeles Times allerdings in den acht Jahren einen Nettogewinn von etwa 25 Millionen Dollar aus dem Unternehmen ziehen, wohingegen die Schulden von CS Technologies zwischen 1995 und 2002 von 378 Millionen auf 554 Millionen Dollar wuchsen.

"Attack Ads" verschärfen den Wahlkampf

Dass der Tod von Ranae Soptic als Folge dieses Geschäfts dargestellt wird, passt in den sich verschärfenden Wahlkampf. Dort nehmen inzwischen sogenannte Attack Ads zur Diskreditierung des Gegners immer größeren Raum ein. "Dieser Wahlwerbespot dehnt auf jeder Ebene die Grenzen des gesunden Menschenverstands und des Anstands", lautet deshalb das Urteil im Fact-Check-Blog der Washington Post, das mit vier "Pinocchios" die volle Wahllügen-Punktzahl vergibt.

Joe Soptic fand nach seiner Entlassung übrigens wieder einen Job als Wächter an einer Schule, der allerdings deutlich schlechter bezahlt ist. Inzwischen hat er ein zweites Mal geheiratet. "Es ist alles glücklich ausgegangen", sagte Soptic der Washington Post.

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