Umstrittenes Projekt: Stuttgart 21:Die Argumente der Gegner

Erhalt des denkmalgeschützten Bahnhofs, aus dem Ruder laufende Kosten und die Arroganz der Macht.

Von Dagmar Deckstein

Kaum ein Projekt erregt die Stuttgarter derzeit so sehr wie der Neubau ihres Hauptbahnhofs, dessen Nordflügel seit Mittwochmittag abgerissen wird. Am Abend versuchten Hunderte Gegner, die Bauarbeiten zu stoppen. Doch was spricht nun tatsächlich gegen "Stuttgart 21"? Und welche Gründe gibt es für das Projekt? Wie bei jedem Urteil, so muss auch eine Entscheidung in dieser Sache alle Argumente würdigen und gewichten. Hier die Argumente contra "Stuttgart 21".

Stuttgart 21 - Protest

Die Gegner von Stuttgart 21 demonstrieren seit Monaten gegen das Projekt.

(Foto: dpa)

Erhalt des alten, denkmalgeschützten Bahnhofs

Jetzt, da es tatsächlich ernst wird mit dem Baubeginn und die ersten Bagger vor dem Nordflügel des Hauptbahnhofs anrückten, haben Tausende Stuttgarter ihre Liebe zum alten Bau des Architekten Paul Bonatz entdeckt.

Zwar bleibt das 1928 fertiggestellte Hauptgebäude erhalten, aber der nördliche und südliche Seitenflügel mit ihren tiefen Fundamenten müssen für den geplanten unterirdischen Durchgangsbahnhof weichen. Das wollen die Gegner als Erstes verhindern. Sie warten mit dem Gegenkonzept "Kopfbahnhof 21" auf, das die Renovierung des denkmalgeschützten Bauwerks vorsieht und den Erhalt der bestehenden 16 Bahnhofgleise.

Die Anbindung an die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm soll über einen rund neun Kilometer langen Tunnel vom Neckartal aus entlang der Autobahn A8 erfolgen. Dadurch könne der Stuttgarter Bahnhof zu einem modernen, taktoptimierten Verkehrsknoten ausgebaut werden, wodurch sich obendrein deutlich kürzere Umsteigezeiten zwischen den Zügen ermöglichen ließen als bei "Stuttgart 21". Außerdem sei diese Lösung erheblich billiger.

Die Kosten laufen aus dem Ruder

Die bisher schon errechneten und mit großer Wahrscheinlichkeit bis 2019 weiter steigenden Kosten für Europas derzeit größtes Bauprojekt sind den Gegnern ein besonderer Dorn im Auge.

Bei der Vorstellung von "Stuttgart 21" im Jahr 1995 waren Baukosten von insgesamt 2,5 Milliarden Euro veranschlagt worden. Die haben sich bis heute auf knapp sieben Milliarden erhöht: 4,1 Milliarden sind für den neuen Hauptbahnhof, weitere 2,9 Milliarden für die Neubautrasse über die Schwäbische Alb veranschlagt. Die Zeit, so meinen die Kritiker, gebe ihnen recht, weil die Projektbetreiber wiederholt gezwungen wurden, weitere Kostensteigerungen einzuräumen.

Die lange Bauzeit, Unwägbarkeiten und Überraschungen beim Durchbohren schwieriger Gesteinsschichten - allein 63 Kilometer Tunnel sind neu anzulegen - verschlängen mindestens zehn bis elf Milliarden Euro, eher mehr. Große Verkehrsinfrastrukturprojekte würden stets den prognostizierten Kostenrahmen sprengen. So bliebe wegen "S21" kein Geld mehr für andere, dringende Bahnprojekte wie etwa den Ausbau der Rheintalbahn.

Güterzüge schaffen den Albaufstieg nicht

Zwar ist der Erhalt des Stuttgarter Hauptbahnhofs das Kernanliegen der Gegner, aber auch an der Anbindung der Fernzüge an den Stuttgarter Flughafen sowie an der geplanten Neubaustrecke Wendlingen-Ulm reiben sie sich wegen einer Reihe angeblicher Planungsmängel.

So sollen nach den Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Bahn täglich 40 schnelle, leichte Güterzüge auf der Neubaustrecke dazu beitragen, dass sich die Investition rechnet. Diese Züge, so monieren die Gegner, gebe es aber noch nicht, und es wolle sie auch niemand einführen. Für herkömmliche Güterzüge sei der Albaufstieg zu steil.

Also rechne sich das ganze Projekt nicht und müsse aus dem Bundesverkehrswegeplan gestrichen werden. Bedenken hegen die Gegner auch gegen die Nutzung eines S-Bahntunnels am Stuttgarter Flughafen, durch den künftig die Fernzüge fahren sollen.

Die Nutzung habe das Eisenbahnbundesamt (EBA) untersagt, weil gravierende Sicherheitsprobleme im Tunnelverkehr drohten. Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) erteilte aber eine Ausnahmegenehmigung.

Die sogenannte Arroganz der Macht

Was die "Stuttgart-21"-Gegner derzeit am meisten in Wallung bringt, sind die stereotypen Entgegnungen der Projektträger Bahn und Politik, die das Vorhaben als "unumkehrbar" bezeichnen, da es in den vergangenen vielen Jahren sämtliche parlamentarischen und juristischen Hürden genommen habe.

Das sei die "Arroganz der Macht", welche die Gegner mit einem Baustopp, einer Bürgerbefragung und einem Moratorium herausfordern, um die Alternativen zu diskutieren. Die Bürger seien von Anfang an nicht ausreichend informiert worden über "Stuttgart 21", die Befürworter hätten getäuscht und getrickst, um das Prestigeprojekt durchbringen zu können.

Vor allem die Grünen, die sich an die Spitze der Protestbewegung gesetzt haben, suggerieren, ein Plebiszit könne "S21" noch verhindern. Schon 2007 hatten 67.000 Bürger per Unterschrift einen Volksentscheid gefordert, den der Stuttgarter Gemeinderat aufgrund eines juristischen Gutachtens ablehnte: Der Entscheid sei unzulässig, weil er gegen bereits getroffene vertragliche Vereinbarungen verstoßen würde.

Um 13 Uhr lesen Sie auf sueddeutsche.de in einem Text der SZ-Redakteurin Dagmar Deckstein, welche Argumente gegen den Bau von Stuttgart 21 sprechen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: