Umstrittenes NS-Überbleibsel:Gemeinderat in der Pfalz stimmt über NS-Glocke ab

Bronzeglocke mit Hakenkreuz

Noch hängt sie, die Herxheimer Hitler-Glocke

(Foto: dpa)
  • Eine Kirchenglocke im rheinland-pfälzischen Herxheim trägt eine Inschrift und ein Hakenkreuz aus der NS-Zeit.
  • Die ehemalige Organistin machte öffentlich, dass die Glocke aus dem Dritten Reich immer noch benutzt wird.
  • Dass sich nun manche Menschen darüber aufregen, kann nicht jeder in dem 700-Einwohner-Ort verstehen.
  • In einer Gemeinderatssitzung soll darüber abgestimmt werden, was mit der "Hitler-Glocke" geschehen soll.

Von Jana Anzlinger

Die Hitler-Glocke hat geläutet, als Ronald Becker getauft wurde, als er konfirmiert wurde, als er heiratete. Da hieß sie aber noch nicht Hitler-Glocke und Becker war noch nicht Bürgermeister von Herxheim am Berg. Jetzt hofft er, dass die Sache nicht an seinem Dorf kleben bleibt.

Der 700-Einwohner-Ort im Landkreis Bad Dürkheim hat es mittlerweile sogar bis in den britischen Hörfunk geschafft, wo sich Reporter über die Deutschen wundern, die Hakenkreuze in der Kirche hängen haben. Denn in der St. Jakobskirche, dem einzigen Gotteshaus im Ort, läutet eine Bronze-Glocke aus dem Dritten Reich. Auf ihrer Oberfläche ist ein Hakenkreuz zu sehen. Darunter steht "Alles fuer's Vaterland - Adolf Hitler".

Die Herxheimer sollen schon lange von der Inschrift gewusst haben

Das Gebäude ist rund tausend Jahre alt, aber die Glocken stammen aus dem 20. Jahrhundert. 1934 soll der Dorfschullehrer wegen eines Beziehungsdramas die protestantische Kirche angezündet haben, weswegen sie renoviert werden musste. So steht es auf der Homepage von Herxheim am Berg. Nach dem Krieg wurde die Glocke mit der Inschrift nicht ausgetauscht, aber durch zwei neuere ergänzt.

Die Herxheimer sind stolz auf ihre Kirche. "Viele wussten von der Inschrift und können die Aufregung jetzt nicht verstehen", sagt Bürgermeister Becker, "bislang hat das noch nie jemanden gestört." Spätestens seit dem Jubiläum der Kirche 2011 seien Infos über die Glocke auch online zu finden.

Mitte Mai hat eine ehemalige Organistin bei der Zeitung Rheinpfalz angerufen, weil im Ort niemand auf ihre Kritik reagierte. Die Herxheimer dürften nicht länger unter einem Hakenkreuz verheiratet werden. Die Rheinpfalz schrieb einen Artikel mit dem Titel "Hochzeit unter Hitler-Glocke", der das öffentliche Interesse weckte.

Weil die Kritik von außerhalb nicht abklingt, hat sich inzwischen der Gemeinderat eingeschaltet. Er habe sogar eine "Glocken-Expertin" hinzugezogen, sagt Becker, der eine Gruppe Parteiloser repräsentiert.

Der Gemeinderat will darüber abstimmen, was mit der Glocke geschehen soll. Diskutiert werden drei Möglichkeiten: Eine ist, die Inschrift mit einer Paste abzudecken, was aber den Klang verändern könnte. Die zweite Möglichkeit wäre dem Bürgermeister am liebsten: Die Gemeinde könnte unten an der Kirchenwand eine Hinweistafel anbringen.

Ein einheitliches Vorgehen gibt es bei NS-Spuren nicht

Und schließlich könnte die Glocke entfernt werden. Dagegen haben die 13 Gemeinderatsmitglieder aber Bedenken: Zum einen kostet eine neue Glocke rund 50 000 Euro.

Zum anderen ist die Glocke denkmalgeschützt, darf also nicht entsorgt werden. Würde sie aber im Ort ausgestellt, könnte das, so fürchten die Lokalpolitiker, Neo-Nazis anziehen. "Bis jetzt ist sie ja nicht weithin sichtbar und deswegen glaube ich nicht, dass wir zum Pilgerort für Rechte werden, solange sie im Turm bleibt", sagt Becker.

Die Furcht des Gemeinderats ist nicht unbegründet: Der Umgang mit NS-Spuren macht vielen Stadtverwaltungen Sorgen. Das bayerische Wunsiedel plagte ein jährlicher Nazi-Aufmarsch, weil dort Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß begraben war. 2011 wurde der Leichnam exhumiert. Hitlers Geburtsort Braunau in Österreich gilt ebenfalls als Pilgerort für Rechtsextreme.

Ein einheitliches Vorgehen in solchen Fällen gibt es in Deutschland nicht. Meistens geht es aber eher um ganze Bauten als um Details - oder um das Innere von Kirchtürmen.

"Die einzige Nazi-Glocke in der Pfalz"

Die Alliierten sprengten die beiden sogenannten Ehrentempel der NSDAP in München, ließen aber beispielsweise den Führerbau stehen, in dem heute die Hochschule für Musik und Theater München untergebracht ist. Auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände steht noch eine SS-Kaserne, in der heute das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge untergebracht ist. Aus dem riesigen geplanten Nazi-Seebad Prora soll ein normaler Urlaubsort werden.

Nazi-Symbole in und an Kirchen waren aber schon während des Dritten Reichs eher selten. Und heute ist die Herxheimer "die einzige Nazi-Glocke in der Pfalz", sagt Birgit Müller. Sie hat sich als Glockenbeauftragte der Evangelischen Kirche der Pfalz inzwischen in die Diskussion eingeschaltet, obwohl die Problem-Glocke der Gemeinde Herxheim und nicht der Kirche gehört.

Müller argumentiert, man könne die Geschichte nicht auslöschen und solle es auch nicht versuchen. Eine weitere Kirchenvertreterin, die Landeskonservatorin Roswitha Kaiser, will die Glocke weiter läuten lassen. Als mahnendes Andenken an etwas, "was man lieber vergessen möchte", wird sie von der dpa zitiert.

Der Bürgermeister findet, man könne "auch ein bisschen stolz sein, dass man so eine Rarität hier hängen hat". Er sei sicher, dass die 700 Herxheimer ihm zustimmen würden. Denn seine Wähler könnten die Glocke von den Gräueltaten des Dritten Reichs trennen.

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