Umstrittenes Mediengesetz:Unrecht in Ungarn

Der jüngste Anschlag auf Ungarns innere Verfassung schreckt die europäische Völkerfamilie auf. Doch die EU hat zu lange nur zugeschaut. Dabei hätte Druck einiges verhindern können.

Michael Frank

Ein Kernstaat Europas schickt sich an, die Grundfesten der Demokratie einzureißen - und in der EU scheint dies lange Zeit niemanden zu stören. In Ungarn arbeitet die verfassungsändernde Mehrheit des Bundes Junger Demokraten (Fidesz) konsequent daran, den Staat so umzubauen, dass die Alleinherrschaft dieser Partei und ihres Ministerpräsidenten Viktor Orbán zur Dauereinrichtung werden kann. Die Institutionen der EU und die Regierungen der anderen Mitgliedsländer aber tun erst einmal so, als würden sie dies nicht bemerken - obwohl Ungarn am 1. Januar die Präsidentschaft der EU übernehmen wird.

Erst der jüngste Anschlag auf Ungarns innere Verfassung schreckt die europäische Völkerfamilie nun auf: Das von Fidesz beherrschte Parlament hat der Regierung Orbán die gesetzliche Möglichkeit eröffnet, die Medien des Landes, öffentlich-rechtliche wie private, samt und sonders ihren Vorstellungen zu unterwerfen.

Nun plötzlich ertönt lauter Tadel, der aber heuchlerisch anmutet. Warum haben die Mitbewohner des europäischen Hauses abgewartet, bis das Gesetz verabschiedet ist? Die Medienbeauftragte der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, hatte längst Alarm geschlagen: Derlei kenne man nur aus "diktatorischen" Staaten.

Die EU rüffelt gern Unrecht in aller Welt. Sich selbst als Hüter von Recht und Gerechtigkeit dünkend, übersieht sie zu Hause die offene oder schleichende Zerstörung politischer Strukturen. Das ist besonders augenfällig bei den Medien, den Trägern der Meinungsfreiheit. Silvio Berlusconis weiträumige Kontrolle der Massenmedien Italiens wurde von den Kollegen des Regierungschefs nie in der gebotenen Schärfe kommentiert.

In Ungarn war die Abstimmung zum Mediengesetz jetzt nur Schlusspunkt eines konsequenten Prozesses. Auch hier mochte niemand rechtzeitig brandmarken, dass die Medien gefügig gemacht werden sollten. Dabei hätte Druck auf die um ihr ehrsames Bild im Ausland so besorgte magyarische Regierung noch einiges verhindern können.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer lobte vor kurzem noch in Budapest mit offenem Neid Premier Orbán für die tatkräftige Art, das Land umzukrempeln. Ob dem Lobredner klar war, dass er da dem gesetzlichen Ende der Pressefreiheit huldigte? Der dramatischen Beschränkung der Kompetenzen des Verfassungsgerichts? Einem Notstandsermächtigungsgesetz über die gesamte Wirtschaft? Einem Staatsbürgerschaftsrecht, das Millionen Bewohner anderer Länder zu Bürgern Ungarns macht und damit die Nachbarn zutiefst verstört?

Verbissenes Schweigen

Ungarn übernimmt im nächsten Halbjahr die Präsidentschaft der EU. Das Europa der Menschenrechte wird damit repräsentiert von einer Regierung, die diesen gemeinsamen Postulaten keineswegs entsprechen will. Orbáns Konzept ist aufgegangen. Er wollte mit rasanten Umbauten im Rechtssystem die trägen Europäer übertölpeln. Er profitiert heute von der dilettantischen Art und Weise, in der die EU vor zehn Jahren gegen die rechtsradikale Haider-FPÖ in Österreichs Regierung agierte. Damals hatte man sich ohne definiertes Ziel und ohne Ausstiegsszenario kläglich davonstehlen müssen. Die Strafaktion war fehlgeschlagen.

Davon traumatisiert wollen die Europäer eine ähnliche, selbst gestellte Falle seitdem vermeiden. Verbissen schwiegen wohl deshalb zuletzt Regierungen und Institutionen der Europäischen Union zu weit schlimmeren Verstößen gegen die gemeinsamen Grundwerte. Zwar haben die Österreicher damals die Rechtsradikalen in Europa salonfähig gemacht. Die Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates haben sie jedoch nicht angerührt, so wie das Ungarn jetzt tut.

Deutschland, dem die Magyaren und ihre Regierungen mit einiger Zuneigung und Vertrauen begegnen, verhält sich besonders leise. Weil Ungarn beim Fall der Mauer eine herausragende Rolle spielte, will niemand offen Kritik üben; auch deshalb nicht, weil Budapest bis heute seine großen Verdienste um die deutsche Einheit nicht ausreichend gewürdigt sieht. Bonner Politiker hatten damals vollmundig mehr versprochen.

Wie in anderen einst sowjetisch beherrschten Ländern hat sich nach der Wende 1989/90 in Ungarn keine breite Basis der Demokraten herausgebildet. Konservative und Postkommunisten haben mit grellen Hass-Kampagnen die kritische Zivilgesellschaft zerrieben und die parlamentarische Demokratie diskreditiert. Entnervt von Korruption, Gezänk und Obstruktion in der Politik sehnen sich allzu viele Ungarn nach dem starken Mann. Orbán spielt ihn für sie, und die Mehrheit applaudiert ihm (noch?) nahezu kritiklos.

Aus Ungarn selbst also ist nennenswerter Widerstand gegen die Ermächtigungspolitik nicht zu erwarten. Die öffentlich-rechtlichen Medien sind längst gleichgeschaltet, die meisten Print-Medien waren schon vor der letzten Wahl dem Kult des starken Mannes verfallen. Ein schriller Nationalismus, die Instrumentalisierung einer fernen, historischen Ungerechtigkeit ("das Trauma von Trianon"), vermag die meisten Magyaren zusätzlich zu einen. Auch auf dieser Orgel spielt Orbán meisterlich.

Und die Europäische Union schaute viel zu lange zu.

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