Umstrittenes Bahn-Projekt Stuttgart 21:Aus 4,9 Milliarden Mark wurden sechs Milliarden Euro

Stuttgart 21 Baustelle

Baustelle am Stuttgarter Hauptbahnhof: Würde das Projekt abgeblasen, müssten Gruben zugeschüttet und beauftragte Firmen entschädigt werden.

(Foto: dpa)

Schon wieder 1,5 Milliarden Euro mehr: Immer wieder sprengt Stuttgart 21 die geplanten Kostenrahmen. Bahnchef Rüdiger Grube geht in die Offensive, obwohl die Kosten mit großer Wahrscheinlichkeit noch steigen werden. Der Aufsichtsrat der Bahn muss sich zwischen drei Optionen entscheiden.

Von Max Hägler und Daniela Kuhr

Als die Grünen Bahnchef Rüdiger Grube für diese Woche zu ihrem parlamentarischen Abend eingeladen haben, konnten sie noch nicht wissen, wie brisant der Zeitpunkt des Treffens sein würde. Doch als Grube am Montagabend zum Podium geht, weiß er genau, was jetzt alle von ihm hören wollen: wie es weitergeht mit Stuttgart 21 - jetzt, wo die Katze aus dem Sack ist. Ganze 1,5 Milliarden Euro teurer droht das Projekt zu werden. Statt 4,5 soll es auf einmal sechs Milliarden Euro kosten. Das haben neue Berechnungen der Bahn ergeben, die vergangene Woche bekannt wurden.

Grube, das ist am Montagabend nicht zu übersehen, würde dazu sehr gern eine Menge erzählen. Es brodelt geradezu in ihm. Doch er kann nicht. Zwei Tage später, an diesem Mittwoch nämlich, tagt der Aufsichtsrat der Bahn. Und der müsse vor der Öffentlichkeit informiert werden. Das verlange "eine gute Corporate Governance", sagt der Bahnchef. Eines aber wolle er dann doch jetzt bereits klarstellen, und seine Stimme wird mit jedem Wort lauter: Die Bahn habe immer alle neuen Berechnungen offen kommuniziert und transparent gemacht. "Was ich nicht zulassen werde, ist, dass man uns nachsagt, wir hätten bewusst etwas verschwiegen."

"Wir stehen zu Stuttgart 21"

Grube gibt sich selbstbewusst, geht in die Offensive. Dazu passt, dass etwa zur gleichen Zeit eine Vorabmeldung über die Nachrichtenagenturen läuft: "Wir stehen zu Stuttgart 21, wir werden diesen Bahnhof bauen", hatte er der FAZ gesagt. Ein Ausstieg sei schon rechtlich nicht möglich, da die Bahn "eine Ausführungsverpflichtung" habe. Ausführungsverpflichtung, das klingt absolut, aber so ganz genau kann keiner sagen, was damit gemeint ist. Wenn ein Projekt teurer wird, womöglich viel teurer, als ursprünglich geplant, kann natürlich ein Projektleiter die Notbremse ziehen, in dem Fall Grube. Und fest steht: Stuttgart 21 sprengt von Anbeginn immer wieder die geplanten Kostenrahmen.

Im November 1995 unterzeichnet der damalige CDU-Ministerpräsident Erwin Teufel mit Bund, Stadt und Bahn eine "Rahmenvereinbarung zur Finanzierung". 4,893 Milliarden sind darin genannt - Deutsche Mark wohlgemerkt. Im April 2008 ist bereits von drei Milliarden Euro die Rede. Als Grube kurz darauf Bahnchef wurde und eine Neukalkulation anordnete, wurde das Projekt um eine weitere Milliarde Euro teurer. Auf diese gut vier Milliarden Euro haben sich Grube und der im September 2009 berufene Infrastrukturvorstand Volker Kefer seither verlassen. Diesen Betrag haben sie immer wieder kommuniziert und betont, dass er doch noch deutlich unter dem "Kostendeckel" von 4,5 Milliarden Euro liege, den die Projektpartner vereinbart hätten.

Wer ist schuld an der Kostenexplosion?

Dass mit diesem Betrag jedoch etwas nicht stimmte, will Kefer erst gemerkt haben, als sich zeigte, dass es bei der Vergabe der Bauaufträge nur unter allergrößten Mühen gelang, im Rahmen der geplanten Kosten zu bleiben. Daraufhin ordnete Kefer Anfang dieses Jahres eine komplette Neukalkulation an, bei der externe Berater halfen. Heraus kamen die sechs Milliarden Euro, über die der Aufsichtsrat an diesem Mittwoch beraten soll. Dabei wird es auch um die Frage gehen, wer schuld an der Kostenexplosion ist. Denn nur etwa 500 Millionen Euro davon lassen sich mit den in der Schlichtung zugesagten Nachbesserungen erklären. Hatte die Bahn unter Kefers Vorgänger das Projekt also doch "schöngerechnet"? War es leichtfertig von Kefer, sich auf die Zahlen zu verlassen? Aber vor allem: Wie geht es nun weiter?

Keiner, der mit Bauprojekten zu tun hat, glaubt, dass mit den sechs Milliarden die Kostenspirale zu Ende ist. Die Bahningenieure des Büros Vieregg & Rössler etwa glauben, dass das Projekt 8,5 Milliarden Euro kosten wird. Doch was kann daraus folgen?

Ein Baustopp erscheint unwahrscheinlich. Schon vor über einem Jahr sprach selbst Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) davon, dass nur "ein Wunder", den neuen Bahnhof noch stoppen könnte. Wer ankommt am Stuttgarter Bahnhof, kann links und rechts der Halle Baustellen besichtigen: Zwei Bagger fahren herum, Baucontainer sind aufgestellt, eine Grube ist ausgehoben und überall sind Rohre verlegt. Doch sind nach Angaben der Bahn auch viele weitere Maßnahmen bereits vergeben. Würde das wieder abgeblasen, müsste nicht nur die Grube zugeschüttet, sondern auch die beauftragten Firmen entschädigt werden. Von Regresskosten in Milliardenhöhe ist die Rede, Stuttgart-21-Gegner dagegen sehen die Kosten höchstens bei 400 Millionen Euro.

Die Bahn will weiterbauen, koste es was es wolle

Auch deshalb kommt nun wieder die Option Kombibahnhof ins Spiel. Schlichter Heiner Geißler hatte sie präsentiert: vier unterirdische Gleise, statt acht, für die Fernzüge. Und oben soll für den Regionalverkehr der bisherige Bahnhof seine Funktion behalten. Das grün-geführte Landesverkehrsministerium hält das für eine spannende Option, doch die Bahn hat auf ein halbes Stuttgart 21 keine Lust: Es fehlten Genehmigungen und Planungen. Das ganze Projekt würde um Jahre zurückgeworfen. Eher würde der gesamte Vorstand zurücktreten, als dass es dazu kommt.

Also sieht es momentan ganz nach der dritten Option aus, jedenfalls dann, wenn der Aufsichtsrat zustimmt: Weiterbauen, koste es was es wolle. Bund und Land haben bereits deutlich gemacht, dass sie nichts mehr zuschießen werden. Und selbst im Bahntower ist zu hören, dass die Bahn zumindest die Mehrkosten, die sich durch die Fehlkalkulation ergeben haben, selbst tragen muss - was immerhin gut eine Milliarde Euro wären. Irgendwie würde ihr das vermutlich sogar gelingen. Schließlich plant sie gerade, ihren Gewinn bis 2017 auf vier Milliarden Euro zu erhöhen. Dann würde es wohl eine Milliarde weniger.

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