Umstrittene US-Pläne:Raketenabwehr in Europa: Tschechien schert aus

"Nicht auf diese Weise": Prag steigt endgültig aus dem geplanten US-Raketenabwehrschirm in Europa aus - und macht keine Hehl aus seiner Enttäuschung über die Regierung Obama.

Klaus Brill, Prag

An dem geplanten Raketenschirm der USA in Europa wird Tschechien sich nicht mehr beteiligen. Verteidigungsminister Alexandr Vondra erklärte am Dienstag in Prag nach einem Treffen mit dem stellvertretenden US-Verteidigungsminister William Lynn, das bisher für den Standort Prag vorgesehene Frühwarnzentrum werde dort nicht errichtet, nachdem die Vorbedingungen hinfällig geworden seien.

US-RAKETENABWEHR

Archivfoto eines Raketenabwehrtests in der Wüste von New Mexico: Tschechien steigt aus den Plänen für ein US-Raketenabwehrsystem in Europa aus.

(Foto: DPA)

Vondra verhehlte nicht seine Enttäuschung über das Verhalten der US-Regierung von Präsident Barack Obama in dieser Frage. In deren Planungen spiele Tschechien eine zu geringe Rolle, sagte er der Nachrichtenagentur Associated Press. Man wolle eigentlich dabei sein, "aber definitiv nicht auf diese Weise".

Der Vorgang markiert einen dramatischen Wendepunkt in den Gesprächen über ein neues Raketenabwehrsystem, die Prag und Washington seit Jahren führen. Ursprünglich ging das System auf die Vorstellungen vom früheren US-Präsidenten Ronald Reagan über einen "Krieg der Sterne" zurück. Obamas Vorgänger George W. Bush hatte das Konzept abgewandelt und wollte einen Schutzschild für Europa und die USA gegen Angriffe mit Interkontinentalraketen aus den sogenannten Schurkenstaaten wie Iran oder Nordkorea errichten. Zu diesem Zweck sollte unter anderem in Polen eine Stellung mit zehn silogestützten Abfangraketen errichtet werden. Für die zugehörige Radarstation war als Standort ein Militärgelände im Wald bei Brdy unweit der tschechischen Stadt Pilsen und der bayerischen Landesgrenze vorgesehen.

Als im Januar 2009 der jetzige Präsident Barack Obama die Regierung übernahm, ließ er eine neue Bedrohungsanalyse anfertigen. Diese kam zu dem Ergebnis, die Gefahr gehe im Falle Irans nicht so sehr von Langstreckenwaffen aus, sondern eher von Mittel- und Kurzstreckenraketen. Er sagte deshalb die Projekte in Polen und Tschechien ab und plant jetzt, eine Raketenabwehrstellung in Rumänien zu errichten. Der Standort ist der Luftwaffenstützpunkt Deveselu. Er liegt unweit der Donau im Süden des Landes, rund 200 Kilometer südwestlich von Bukarest. Wo die zugehörige Radarstation unterkommen soll, beispielsweise im benachbarten Bulgarien, ist noch nicht geklärt.

In Tschechien war diese Kehrtwende zum Teil mit Erleichterung, zum Teil mit Skepsis aufgenommen worden. In mehreren Meinungsumfragen hatten sich etwa zwei Drittel der Bürger gegen die Radarstation in ihrem Land ausgesprochen, in der betroffenen Region hatten sich Bürger und Gemeinden zu einer breiten Initiative formiert. Ein Kreis von Politikern um den heutigen Verteidigungsminister Vondra, der der konservativ-liberalen Partei ODS angehört, trat hingegen dafür ein. Auch der frühere Staatspräsident Vaclav Havel sagte, Tschechien solle nun auf andere Weise an dem Raketenschild beteiligt werden.

Im Hintergrund stand dabei der Wunsch, das Land fest in die Verteidigungsstrategie der USA und der Nato eingebunden zu sehen, damit Prag im Krisenfalle von dieser Seite auch stets auf Unterstützung hoffen könne. Dies zielte insbesondere auf das Verhältnis zu Russland, dessen Regierung die Raketen-Pläne der USA scharf kritisiert und als Bedrohung der eigenen Sicherheit interpretiert hatte.

Auf der Grundlage dieser Überlegungen hatten sich die Regierungen der USA und Tschechiens im vorigen Sommer verständigt, in Prag solle die administrative Leitstelle eines Frühwarnsystems für die Raketenabwehr untergebracht werden. Sie sollte Informationen sammeln, analysieren und an die zuständigen Stellen weitergeben. Man wertete diese Übereinkunft als Entgegenkommen der Vereinigten Staaten gegenüber den Tschechen, und Vondra sprach im August 2010 von einem "ersten kleinen, symbolischen Schritt".

Wie er jetzt sagte, haben die USA allerdings nach dem Nato-Gipfel in Lissabon im vorigen November ihre Planungen neu bewertet und beschlossen, diese Leitstelle der Regie der Nato zu unterstellen. Daraufhin sei die tschechische Seite zu dem Schluss gekommen, das ursprüngliche Angebot der USA sei damit hinfällig geworden. "Wir werden jetzt andere Möglichkeiten suchen, wie sich die Tschechische Republik in Zukunft in das System der Allianz eingliedern kann", sagte Vondra.

Sein Gesprächspartner, der stellvertretende US-Verteidigungsminister Lynn, sagte dagegen, man könne nicht davon sprechen, dass die USA ihr Angebot an Tschechien für eine Leitstelle des Frühwarnsystems wieder zurückgezogen hätten. "Dies ist einfach eine Angelegenheit, die durch die weitere Entwicklung überholt worden ist", schilderte er die amerikanische Sichtweise. Es gebe aber eine Vielzahl anderer Bereiche, auf denen sich die strategische Zusammenarbeit zwischen den USA und Tschechien weiterentwickeln werde.

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