Umgang mit Schwerverbrechern:Auf freiem Fuß - aber in Fesseln

Lesezeit: 2 min

Dutzende Schwerverbrecher werden in den nächsten Wochen aus Gefängnissen entlassen. Mit elektronischen Fußfesseln sollen sie unter Kontrolle bleiben. Worauf sich die Bundesregierung bereits geeinigt hat, müssen nun die Justizminister absegnen.

Susanne Höll

Wenn sich die Justizminister von Bund und Ländern diese Woche in Hamburg treffen, werden sie über eine große Herausforderung für Sicherheitsbehörden und Rechtspolitik beraten: den Umgang mit rückfallgefährdeten Gewalt- und Sexualverbrechern.

In Hessen wird die elektronische Fussfessel bereits eingesetzt - allerdings nur als Sanktion bei leichteren Vergehen. (Foto: ag.ap)

Dutzende von ihnen werden in den nächsten Wochen und Monaten aus Gefängnissen entlassen, in denen sie in sogenannter Sicherungsverwahrung untergebracht waren. Sie hatten ihre Strafen längst verbüßt, wurden aber nachträglich zu Gewahrsam verurteilt, weil sie als hochgefährliche potentielle Wiederholungstäter gelten. Doch der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hob im Dezember das seit 1998 geltende, von der rot-grünen Bundesregierung verabschiedete Gesetz auf, das der Justiz erlaubte, Straftäter nachträglich auf unbegrenzte Zeit, also auch lebenslang, einzusperren.

Das Strafrecht muss geändert werden, darauf hatten sich Union und FDP schon vor dem Gerichtsurteil im Koalitionsvertrag geeinigt. Noch dringender müssen Polizei und Sicherheitsbehörden Wege finden, wie sie die besonders gefährlichen Freizulassenden im Auge behalten. Zwar ist nicht jeder von ihnen ein Sexual- oder Gewaltverbrecher, manche sind auch notorische Diebe und Betrüger. Ihnen gilt nicht die erste Sorge der Sicherheitsbehörden. Sie fürchten die, die wieder töten könnten oder sich an Kindern vergehen. Schlimmstenfalls, so die Innenminister, müssten Polizisten zur Bewachung dieser Männer - Frauen sind kaum unter den Sicherheitsverwahrten - abgestellt werden.

Doch die Polizei ist vielerorts schon jetzt überlastet und die Kassen der Länder leer. Vier bis sechs Beamte täglich für Bewachungsaufgaben abzustellen, sei kaum möglich, heißt es. Deshalb richten sich manche Hoffnungen auf die elektronische Fußfessel. Diese wird etwa in Hessen schon jetzt zur Kontrolle von Straftätern eingesetzt, jedoch in ganz anderem Zusammenhang und nicht bei Schwerverbrechern.

In Hessen können Straftäter oder Tatverdächtige freiwillig eine Fußfessel tragen und sich so eine Haft ersparen. Sie dürfen keine schweren Straftaten begangenen haben, wer zu mehr als zwei Jahren verurteilt wurde oder als Mehrfachtäter auffiel, ist von dieser Art der Sanktion ausgeschlossen. Ein am Fußgelenk befestigter Sender, der mit einer Empfangsbox in der Wohnung des Trägers verbunden ist, signalisiert, wo dieser sozusagen seine Strafe verbüßt. Verlässt er unerlaubt sein Zuhause, wird das sofort bemerkt und geahndet.

Keine ausreichende Abschreckung für Wiederholungstäter

Ob sich das System auch zur Kontrolle früherer Zwangsverwahrter eignet, ist strittig. In Union und FDP plädieren viele dafür, die Grünen sind dagegen, auch aus praktischen Gründen. Denn anders als in Hessen, wo der Aufenthalt eines Arrestierten an einem bekannten Ort kontrolliert wird, werden sich zahlreiche der einst Zwangsverwahrten wohl in ganz Deutschland frei bewegen dürfen. Hamburgs grüner Justizsenator Till Steffen bezweifelt deshalb, dass die Technik ausreicht, um verurteilte Sexualstraftäter von Schulen oder Spielplätzen fernzuhalten. Denn um Alarm zu schlagen, müssten diese Einrichtungen mit einem korrespondierenden Signalgerät ausgestattet werden. Oder Polizisten müssten per Bildschirm die virtuelle Spur eines Fesselträgers durch ganze Städte verfolgen.

Zudem müsste das Strafgesetzbuch geändert werden, wenn die Fußfessel derart eingesetzt wird: Dies ist bisher nur auf freiwilliger Basis erlaubt. Im Gespräch ist nun, dass Richter als gefährlich geltende Kriminelle zu dieser Sanktion verpflichten können. Deshalb werden die Landesjustizminister mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger am Mittwoch und Donnerstag beraten, ob und wie das zu bewerkstelligen ist. Aus Justizkreisen verlautete, man werde sich wohl auf einen Prüfauftrag verständigen, der klären soll, ob Fußfesseln wirklich ein geeignetes Instrument sind und wo das Strafgesetzbuch erweitert werden sollte.

Aber selbst Befürworter der elektronischen Kontrolle räumen ein, dass die Fessel allein keine ausreichende Abschreckung für Wiederholungstäter ist, sondern allenfalls ein Puzzleteil in einer Serie von Auflagen und Hilfestellungen. Der Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz stellte bereits fest, dass alle Einschränkungen für Freigelassene keinen mit der Sicherungsverwahrung vergleichbaren Schutz vor neuen Straftaten bieten.

© SZ vom 21.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: