Umgang mit Kritikern:"Agenten des Auslands"

Meinungsforscher und Wahlbeobachter werden drangsaliert. Kein Wunder, dass die Bürger wenig wissen über die Einstellungen ihrer Landsleute.

Von Julian Hans

Während der Ausgang der nächsten Präsidentschaftswahl in Russland praktisch feststeht, wissen die Bürger weniger als früher über die Lage im Land, die Einstellungen ihrer Landsleute und den Ablauf der Wahl. Seit Putin im Mai 2012 seine dritte Amtszeit angetreten hat, wurde der Zugang zu Informationen Zug um Zug beschnitten.

Neben der Drangsalierung der verbliebenen freien Medien war das Gesetz über "Agenten des Auslands" ein zentrales Werkzeug auf diesem Weg. Das Gesetz verlangt, dass sich Organisationen, die politisch tätig sind, beim Justizministerium als "ausländische Agenten" registrieren. Gegen Kritik wehrte sich der Kreml mit dem Argument, wer als ausländischer Agent registriert sei, könne weiter arbeiten wie zuvor. Welche Auswirkungen das tatsächlich hat, zeigt sich jetzt vor der Wahl.

Anfang des Jahres erklärte Lew Gudkow, der Leiter des Lewada-Zetrums, sein Meinungsforschungsinstitut werde bis zur Wahl keine Umfragen mehr veröffentlichen. Das Lewada-Zentrum ist das angesehenste Meinungsforschungsinstitut des Landes. Und das einzige, das nicht vom Staat kontrolliert wird. Seine Geschichte reicht in die Wendezeit zurück, seitdem gab es Kooperationen mit vielen der angesehensten Forschungseinrichtungen weltweit. Einen Auftrag der Universität Wisconsin nahm das russische Justizministerium 2016 als Vorwand, um das Lewada-Zentrum als ausländischen Agenten einzustufen. Da die Veröffentlichung von Umfragen vor Wahlen als Einmischung in die Politik gewertet wird, drohen Gudkow und seinen Mitarbeitern Strafen bis zu zwei Millionen Rubel (etwa 28 000 Euro).

"Wir führen weiter Umfragen durch, aber wir können die Ergebnisse vorerst nicht veröffentlichen", sagt Gudkow. Bei wiederholtem Verstoß gegen das Gesetz kann sein Institut geschlossen werden.

Mehr als 70 Prozent der Sendezeit in staatlichen Nachrichten gelten Putin

Das wichtigste Merkmal der kommenden Wahlen sei das hohe Maß an Vorhersagbarkeit, sagt Gudkow: "Es ist klar, wer gewinnen wird." Streng genommen seien das gar keine Wahlen, man müsse andere Begriffe finden: "Plebiszit oder Akklamation treffen es eher. Es ist ein Bestätigungsritual für einen, der bereits an der Macht ist."

Das gehe schon bei der strengen Auswahl der Kandidaten los, also derjenigen, die überhaupt antreten dürfen. "Die Mitbewerber starten unter sehr ungleichen Bedingungen", sagt Gudkow. Für Putin arbeite der gesamte Hofstaat, er beherrsche die Öffentlichkeit, mehr als 70 Prozent der Sendezeit in den staatlichen Nachrichtensendungen seien ihm gewidmet. Deswegen sei das Interesse an den Wahlen nicht besonders groß: "Die Mehrheit ist der Ansicht, ganz egal, wie die Wahl ausgeht, das wird nichts an ihrem Leben ändern". Noch im Dezember hätte Gudkow die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte vorausgesagt. Seit nach den Neujahrsfeiertagen die Propaganda-Maschine eingesetzt habe, seien die Werte stark gestiegen.

Das Agenten-Gesetz hat auch die Wahlbeobachter-Organisation Golos getroffen. Nachdem Wladimir Putin und Dmitrij Medwedjew 2011 verkündet hatten, erneut die Ämter zu tauschen, fühlten sich viele Bürger übergangen. Etwa 27 Prozent ärgerten sich laut einer Lewada-Umfrage über die einsam getroffene Entscheidung der Staatsführung.

Viele meldeten sich daraufhin als Wahlbeobachter. Wahlbeobachtung sei damals regelrecht Mode geworden, erinnert sich Grigorij Melkonjanz, der Ko-Vorsitzende von Golos. Im Staatsfernsehen wurde er als Handlanger der Amerikaner angeprangert. "Die Propaganda hat uns damals sehr geholfen", sagt Melkonjanz. "Unsere Bekanntheit stieg, wir bekamen mehr Spenden, es meldeten sich mehr Freiwillige". Die Bürger hatten selbst Erfahrungen mit Wahlfälschungen gemacht und glaubten der Propaganda nicht. Als Golos 2013 zum ausländischen Agenten gestempelt wurde, hätten sie die Arbeit fast einstellen müssen. Denn gleichzeitig schloss die Staatsduma in einer Novelle des Wahlgesetzes Organisationen mit Agenten-Status als Wahlbeobachter aus.

Für Melkonjanz und seine Kollegen blieb nur ein Weg: Sie lösten die Organisation auf und gründeten Golos neu als Bewegung. Als Vorbild diente dabei ausgerechnet die Putin-Unterstützer-Bewegung "Allrussische Volksfront". Bewegungen sind keine juristischen Personen, müssen sich nicht beim Justizministerium registrieren und können daher auch nicht als Agenten eingestuft werden.

Golos verfüge heute zwar über weniger Mittel, arbeite aber professioneller, sagt Melkonjanz. Unter anderem mit ausgefeilten mathematischen Modellen könnten Unregelmäßigkeiten schnell erkannt werden. Derweil habe man den Fokus vom Wahltag selbst auf die Langzeitbeobachtung verlagert. Nur bleiben die Experten mit ihren Ergebnissen heute weitgehend unter sich. Die Bereitschaft der Bürger, sich als Beobachter am Wahltag zu engagieren, sei stark zurückgegangen, räumt Melkonjanz ein: "Wenn die Bürger das Gefühl haben, es geht um nichts, gibt es auch keinen Grund, den korrekten Ablauf zu überwachen".

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