Umfrage:Vorteil Europa

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So groß wie heute war das Vertrauen der Bürger in die Europäische Union zuletzt vor sieben Jahren. (Foto: Thomas Lohnes/Getty Images)

Der befürchtete Domino-Effekt nach dem Brexit bleibt aus: Die Stimmung dreht sich zugunsten der EU, das Vertrauen der Bürger steigt. Das dürfte auch an Donald Trump liegen.

Von Daniel Brössler, Berlin

Als die Briten für den Austritt aus der Europäischen Union stimmten, hielten das nicht wenige für den Anfang vom Ende. Marine Le Pen, die Chefin des französischen Front National, feierte das Brexit-Votum als "Sieg der Freiheit" und forderte Volksabstimmungen über den Austritt aus der Union auch für ihr und andere Länder der EU. Ein gutes Jahr danach zeigt sich: Den von Le Pen ersehnten und von Anhängern der europäischen Integration befürchteten Dominoeffekt gibt es nicht. Nirgendwo ist ein weiteres Austrittsreferendum angesetzt worden. Mehr noch: Die Stimmung hat sich vielfach zugunsten der EU gedreht. Das zeigt nun auch eine im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung in acht EU-Ländern durchgeführte Umfrage.

61 Prozent der Befragten sprechen sich demnach für eine verstärkte Zusammenarbeit der EU-Staaten aus. Am höchsten ist der Wert in Deutschland mit 79 Prozent, am niedrigsten in Tschechien mit 41 Prozent. "Der Brexit löst keine Erosionserscheinungen aus", schlussfolgert Richard Hilmer, Leiter des Instituts Policy Matters, das die Erhebung durchgeführt hat. Dabei verweist er auf den Vergleich zu einer 2015 mit zum Teil wortgleichen Fragen durchgeführten Umfrage. Überwiegen die Vor- oder die Nachteile der EU-Mitgliedschaft, hatte eine dieser Frage gelautet. Nur 34 Prozent der Deutschen sahen 2015 überwiegend Vorteile, 2017 sind es 64 Prozent. Ein Meinungsumschwung in selten festzustellendem Ausmaß, wie Hilmer betont. Zwar hat sich das Urteil der Deutschen über den Nutzen der EU besonders markant verbessert, zu beobachten ist der Trend aber europaweit. In Spanien gaben 59 Prozent der Befragten an, mehr Vor- als Nachteile zu sehen (plus 15 Prozent), in der Slowakei 52 Prozent (plus 26). Im besonders EU-skeptischen Tschechien verbesserte sich der Wert immerhin von 13 auf 25 Prozent.

Auch Donald Trump als abschreckendes Beispiel dürfte der EU zugute kommen

Der Befund deckt sich mit den Ergebnissen des in allen EU-Staaten im Auftrag der EU-Kommission seit Jahren durchgeführten Eurobarometers. Das Vertrauen in die Europäische Union hat laut der im Mai durchgeführten jüngsten Befragung in 25 der 28 EU-Staaten zugenommen. Seit Herbst 2015 stieg der Wert EU-weit um zehn Prozentpunkte auf 42 Prozent. Einen ähnlich hohen Wert gab es zuletzt im Herbst 2010.

Eine Rolle dürften die Entschärfung der Flüchtlingskrise und die wirtschaftliche Erholung in großen Teilen der EU spielen, nach Einschätzung von Meinungsforscher Hilmer aber auch die abschreckende Wirkung der Präsidentschaft von Donald Trump in den USA und der Brexit. Dieser werde von den Menschen durchaus mit Sorge, aber nicht mit Panik gesehen. In den acht im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung untersuchten Ländern erwarten 40 Prozent der Bürger durch das Ausscheiden der Briten eine Schwächung der EU. 34 Prozent rechnen mit keinerlei Auswirkungen. 16 Prozent vermuten sogar eine Stärkung.

Aufzugehen scheint die Strategie, auf die sich die Staats- und Regierungschefs der 27 in der EU verbleibenden Staaten nach dem Brexit-Votum verständigt haben. Keinesfalls sollte der Brexit nun auf Jahre hinaus die Agenda bestimmen. "Obgleich ein Land seinen Austritt beschlossen hat, ist die EU für die übrigen Mitgliedstaaten nach wie vor unerlässlich", verkündeten sie bei einem Gipfeltreffen in Bratislava. In vier Bereichen gelobten sie mehr Engagement: Migration und Außengrenzen, innere und äußere Sicherheit, externe Sicherheit und Verteidigung sowie wirtschaftliche und soziale Entwicklung. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker legte ein Weißbuch mit fünf Szenarien für die Zukunft der EU vor.

"Wenn wir über die EU ernsthaft diskutieren, dann kann man diese Diskussion gewinnen", schließt der Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung, Kurt Beck, nun aus den Ergebnissen der Acht-Länder-Erhebung. Im Großen und Ganzen jedenfalls decken sich die von den Befragten als wichtigste Aufgaben der EU genannten Bereiche mit der Themenliste der Staats- und Regierungschefs. 54 Prozent nennen als wichtigste oder zweitwichtigste Aufgabe die Flüchtlingspolitik, 28 Prozent den Abbau der Arbeitslosigkeit, 24 Prozent den Kampf gegen den Terrorismus, 22 Prozent die Stärkung der Wirtschaftskraft sowie zwölf Prozent die Sicherung des Friedens. Die Frage aber bleibt, was mehr Zusammenarbeit heißt. Zwar hat für 85 Prozent der Tschechen die Flüchtlingspolitik Priorität. Nur 19 Prozent aber befürworten eine europäische Zuständigkeit bei Aufnahme und Verteilung.

© SZ vom 19.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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