Umbruch in der Ukraine:Opposition sichert sich die Macht

Umbruch in der Ukraine: Der neue Übergangspräsident Alexander Turtschinow (rechts) diskutiert mit Abgeordneten im Parlament von Kiew.

Der neue Übergangspräsident Alexander Turtschinow (rechts) diskutiert mit Abgeordneten im Parlament von Kiew.

(Foto: AFP)

+++ Ukrainische Parlamentarier sollen sich bis Dienstag auf Kabinett einigen +++ Janukowitsch untergetaucht +++ Alexander Turtschinow zum Übergangspräsidenten bestimmt +++ Partei der Regionen distanziert sich von Janukowitsch +++ Sorge um Stabilität der Ukraine

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In der Ukraine stehen große Entscheidungen bevor: Das Parlament will bis Dienstag einen neuen Regierungschef wählen, Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko will für das Präsidentenamt kandidieren. Zuvor hatte das ukrainische Parlament Präsident Viktor Janukowitsch für abgesetzt erklärt und Neuwahlen für den 25. Mai angeordnet. Der gestürzte Präsident ist untergetaucht.

Timoschenko-Partei sichert sich die Macht: Das ukrainische Parlament hat seinen neuen Chef Alexander Turtschinow zum Übergangspräsidenten bestimmt. Die Abgeordneten votierten am Sonntag dafür, die Vollmachten des Staatsoberhaupts vorübergehend auf ihn zu übertragen. Erst am Samstag war der Vertraute von Julia Timoschenko an die Spitze des Parlaments gewählt worden - der 49-Jährige hatte einst gemeinsam mit Timoschenko die Vaterlandspartei (Batkiwschtschina) gegründet. Turtschinow setzte dem Parlament die Frist, sich bis Dienstag auf eine Regierung der nationalen Einheit zu einigen. Julia Timoschenko kündigte am Samstag an, bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 25. Mai - dem Tag der Europawahl - antreten zu wollen. Schon vor Monaten hatte der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko ebenfalls seine Bewerbung um das Amt bekanntgegeben.

Janukowitsch untergetaucht: Unklar ist, wo sich der vom Parlament abgesetzte Präsident Viktor Janukowitsch aufhält. Nach Angaben der Opposition wollte er sich wie andere Mitglieder seiner Regierung am Wochenende ins Ausland absetzen. Janukowitsch habe auf dem Flughafen von Donezk, seiner Heimatstadt im überwiegend russischsprachigen Teil der Ukraine, versucht, ein Flugzeug nach Russland zu besteigen, sagte der Sprecher des Grenzschutzes, Serguii Astachow, der Nachrichtenagentur AFP. Bewaffnete Männer hätten Geld geboten, um eine Starterlaubnis für die Privatmaschine zu bekommen. Das sei von den Beamten aber abgelehnt worden. Wenig später seien zwei gepanzerte Fahrzeuge zum Flugzeug gerollt, sagte Astachow weiter. Janukowitsch sei in eines von ihnen gestiegen und habe den Flughafen verlassen. Janukowitschs Partei der Regionen warf dem abgesetzten Präsidenten unterdessen "kriminelle Handlungen" vor und sagte sich von ihm los. Janukowitsch habe die Ukraine "verraten" und das Land an den "Rand des Abgrunds" geführt.

Übergangspräsident hält Ansprache an die Nation: Alexander Turtschinow hat am Sonntagabend einen Westkurs der Ex-Sowjetrepublik angekündigt und zugleich die Wichtigkeit der Beziehungen zum Nachbarn Russland betont. "Vorrang hat für uns, zum Kurs der Annäherung an Europa zurückzukehren", sagte Turtschinow. "Wir müssen in den Kreis der europäischen Länder zurückkehren." Zugleich sagte der Vertraute Timoschenkos, die Ukraine sei zu einem "neuen, gleichberechtigten und nachbarschaftlichen" Verhältnis mit Russland bereit.

Internationale Sorge um Stabilität: Kanzlerin Angela Merkel appellierte in einem Telefongespräch an Timoschenko, sich für den Zusammenhalt des Landes und der bisherigen Opposition einzusetzen sowie auf die Menschen im Osten zuzugehen. Nach Angaben der Vaterlandspartei Timoschenkos hätten die beiden Politikerinnen zudem ein Treffen vereinbart, das "sehr bald" stattfinden solle. Merkel hat außerdem mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in einem Telefonat am Sonntag die Lage in der Ukraine erörtert. Beide stimmten nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert darin überein, dass die Ukraine rasch eine handlungsfähige Regierung erhalten und ihre territoriale Integrität gewahrt bleiben müsse. Sie hätten zudem ihr gemeinsames Interesse an der politischen und wirtschaftlichen Stabilität des Landes unterstrichen. Auch die USA haben vor einer Spaltung der Ukraine gewarnt. Niemand wolle, "dass die Gewalt zurückkehrt und die Situation eskaliert", sagte die Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice am Sonntag dem Fernsehsender NBC. Es gebe keinerlei Widerspruch zwischen "einer Ukraine, die seit langem historische und kulturelle Verbindungen mit Russland unterhält", und einer modernen Ukraine, die sich stärker in Europa integrieren wolle.

Internationale Unterstützung für Kiew: Die Europäische Union hat der Ukraine Finanzhilfen in Aussicht gestellt. Die EU stehe für eine finanzielle Unterstützung bereit, sobald es eine politische Lösung des Konflikts und eine neue Regierung gebe, sagte Wirtschaftskommissar Olli Rehn am Sonntag am Rande des G20-Finanzministertreffens in Sydney. Die neue Regierung in Kiew müsse aber institutionelle und wirtschaftliche Reformen ernsthaft angehen. Am Abend stellte auch Außenminister Steinmeier wirtschaftliche Unterstützung in Aussicht. "Eine Ukraine, die bankrottgeht, die zahlungsunfähig wird, wird eine zu große Belastung sowohl für den großen Nachbarn im Osten wie für die Europäische Union", sagte der SPD-Politiker in der ZDF-Sendung Berlin direkt. Auch die USA stünden zur Unterstützung bereit, "um die wirtschaftliche Stabilität wieder herzustellen", sagte ein US-Regierungsbeamter in Sydney. Zuvor hatten dort US-Finanzminister Jacob Lew und sein russischer Kollege Anton Siluanow über die Folgen des Umbruchs in Kiew beraten. Beide Minister seien sich einig, dass bei der finanziellen Unterstützung für Kiew auch der Internationale Währungsfonds (IWF) einbezogen werden könne, sagte der amerikanische Regierungsbeamte. IWF-Chefin Christine Lagarde zeigte sich demgegenüber offen: "Wenn die ukrainischen Behörden sich an den IWF wenden, sei es mit der Bitte um Beratung, sei es wegen Diskussionen über finanzielle Hilfen, gekoppelt an Wirtschaftsreformen, stehen wir selbstverständlich bereit", sagte sie.

Russland friert Finanzhilfen ein: Nach den monatelangen Massenprotesten ist die Ukraine in akuter finanzieller Not. Russland hatte Kiew zwar Notkredite von 15 Milliarden Dollar (11 Milliarden Euro) zugesagt. Doch nach einer ersten Auszahlung legte Moskau die weiteren Tranchen auf Eis - zunächst müsse es eine neue Regierung geben, hieß es. Die Ratingagentur Standard & Poor's hatte am Freitag bereits vorausgesagt, das Land werde in die Pleite stürzen, sollte Russland seine Hilfen stoppen. Kiew muss in diesem Jahr noch 13 Milliarden Dollar an seine Gläubiger zurückzahlen.

EU begrüßt Freilassung Timoschenkos: Es sei ein wichtiger Schritt, um das Problem der "selektiven Justiz" anzugehen, teilte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in Brüssel mit. Die EU sieht Timoschenko als Opfer einer solchen politisch motivierten Justiz. Am Montag will Ashton in die Ukraine reisen und dort mit Entscheidungsträgern über die "Unterstützung der Europäischen Union" bei der Suche nach einer "dauerhaften Lösung für die politische Krise" in dem Land sprechen. In der Ukraine sei nun verantwortungsvolles Handeln nötig - Brüssel sei weiter bereit, dem Land bei Reformen zu helfen, hieß es. Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erklärte, Timoschenko trage nun "große Verantwortung für die Zukunft ihres Landes".

Linktipps:

  • Lesen Sie hier eine Zusammenfassung der Ereignisse vom Samstag.
  • Stefan Kornelius, Ressortleiter der SZ-Außenpolitik, erklärt in diesem Kommentar, warum Putin den Einfluss auf den Nachbarn nicht einfach aufgeben wird.
  • Einen Livestream aus Kiew gibt es hier.
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