Umbruch in der Ukraine:Albtraum Spaltung

Die EU hat der Ukraine viel versprochen. Nun muss sich zeigen, welche Perspektive Europa dem Land tatsächlich bietet. Die EU-Außenbeauftragte Ashton reist heute nach Kiew. Dabei geht es erst einmal ums Geld. Und um viel mehr.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Es ist kurz vor Mitternacht, als Catherine Ashton ihre Sprache wiederfindet. "Die Europäische Union verfolgt Minute für Minute die sich im Eiltempo verändernde Situation in der Ukraine", beginnt eine Erklärung der EU-Außenbeauftragten, die nicht mehr als zehn Sätze zählt. Aus jedem einzelnen dieser Sätze spricht größte Sorge. Vor allem aus diesem: "Die Europäische Union erwartet von jedermann in der Ukraine verantwortungsbewusstes Verhalten im Interesse der Einheit, der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit des Landes."

Eine mögliche Teilung oder Zersplitterung der Ukraine ist der Albtraum aller europäischen Politiker, die sich am Wochenende einschalten. "Richtschnur aller politischen Entscheidungen muss der Erhalt der territorialen Integrität und der nationalen Einheit der Ukraine sein", erklärt fast zeitgleich mit Ashton auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Ein von ihm mit Kollegen kaum 36 Stunden zuvor ausgehandeltes Abkommen ist da bereits Geschichte.

Eine Geschichte allerdings, die maßgeblich beigetragen hat zur revolutionären Wende, die das Geschehen in Kiew genommen hat. Zusammen mit den Außenministern aus Polen und Frankreich, Radosław Sikorski und Laurent Fabius, gelang Steinmeier in Kiew ein furioser diplomatischer Erfolg.

Steinmeier zauderte noch, Sikorski war schon entschlossen

In einem 22-stündigen Verhandlungsmarathon, der auch einem Sprecher des US-Außenministeriums Respekt abnötigte, rangen die Europäer den Kontrahenten schließlich ein Abkommen ab, das die Rückkehr zur parlamentarischen Verfassung von 2004 innerhalb von 48 Stunden vorsah. In Wahrheit brauchte das Parlament dann kaum mehr als 48 Minuten, was auch daran lag, dass Janukowitsch zu diesem Zeitpunkt selbst im eigenen Lager kaum noch Rückhalt genoss.

In jedem Fall aber stellt das Abkommen einen Wendepunkt dar. Deutsche Medien feierten insbesondere Steinmeier deshalb nicht zu Unrecht als "Marathon-Minister". Eine ebenso wichtige Rolle spielte allerdings der Pole Sikorski, der entgegen anderslautender Berichte nicht erst von Steinmeier überredet werden musste, seinen Skiurlaub zu unterbrechen. Als Steinmeier und Fabius wegen einer fehlenden Zusage von Janukowitsch noch zauderten, war Sikorski wohl schon fest zur Reise nach Kiew entschlossen.

So oder so trug die Mission dazu bei, das Ansehen der EU zu verbessern. Hinzu kam, dass sich die anderen EU-Außenminister auf einer Sondersitzung in Brüssel auf Sanktionen gegen die Verantwortlichen für Gewalt in der Ukraine verständigten. Endlich, so schien es, muss sich die EU keinen Spott mehr gefallen lassen, auch nicht aus den USA. In ihren Beschlüssen erinnerten die Außenminister noch einmal an das Assoziierungsabkommen, das Präsident Viktor Janukowitsch im November hatte platzen lassen.

"Unser Angebot der politischen Assoziierung und wirtschaftlichen Integration bleibt auf dem Tisch", versprachen sie. Keiner der Außenminister ahnte freilich am Freitag, wie schnell er an diesen Worten gemessen werden würde. Die EU hat in jüngster Zeit viele Zusagen für den Fall einer positiven Wendung in Kiew gemacht. Nun trägt sie Verantwortung.

Dabei geht es erst einmal ums Geld. Die Außenbeauftragte Ashton hatte in den vergangenen Wochen mehrfach vage Hilfe für den Fall versprochen, dass in Kiew ein Reformkurs eingeschlagen wird. Konkretisiert hat sie dieses Versprechen aber nicht.

Hilfzusagen aus der EU

Die EU stehe für eine substanzielle finanzielle Unterstützung bereit, sobald es eine politische Lösung des Konflikts, eine neue Regierung und Reformen gebe, sagte nun Wirtschaftskommissar Olli Rehn am Sonntag am Rande des G-20-Finanzministertreffens in Sydney zu. "Wir müssen den Herausforderungen dieses historischen Moments gerecht werden", sagte Rehn. Nicht ganz klar ist bislang, wie sich das für die Ukraine in Euro und Dollar umrechnet.

Schon während der Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen war ein Paket auf den Tisch gelegt worden - wo es immer noch liegt. Im Zentrum steht dabei ein Milliarden-Kredit des Internationalen Währungsfonds, der aber an Reformauflagen geknüpft ist, etwa die Erhöhung der Energiepreise für Endverbraucher. Vor solchen Reformen hatte Janukowitsch sich gefürchtet, sie werden auch einer neuen Regierung nicht leicht fallen.

Dem Geld freilich galt nicht die Hauptsorge. Sie galt jener Frau, für die sich nicht zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel immer wieder eingesetzt hatte: Julia Timoschenko. Nicht nur hat die freigelassene Ex-Ministerpräsidentin umgehend ihre Kandidatur bei den für den 25. Mai angesetzten Präsidentenwahlen angekündigt, sie versprach den Menschen auch einen baldigen EU-Beitritt.

Timoschenko soll sich "eingliedern"

Merkel telefonierte am Sonntag mit Timoschenko und begrüßte sie mit den Worten "Willkommen in der Freiheit". Sie bot ihr eine Behandlung ihres Rückenleidens in Deutschland an. Vor allem aber appellierte sie nach Angaben aus Regierungskreisen an Timoschenko, sich für den Zusammenhalt des Landes und der bisherigen Opposition einzusetzen und auch auf die Menschen im Osten zuzugehen.

"Frau Timoschenko muss sich in den Prozess jetzt eingliedern. Sie wäre gut beraten, andere einzubeziehen", sagt auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments, Elmar Brok (CDU), der sich besonders hartnäckig für eine Freilassung der Oppositionspolitikerin eingesetzt hatte.

Eine einheitliche westliche oder auch nur europäische Linie angesichts der dramatischen Umwälzungen in der Ukraine aber gibt es ansonsten nicht. Ungefähr zu der Zeit, als die Außenbeauftragte Ashton letzte Hand an ihre vorsichtige Erklärung legte, überbrachte der polnische Europaabgeordnete Jacek Saryusz-Wolski vor den Massen auf dem Maidan Grüße des Europaparlaments und der Europäischen Volkspartei, der auch die CDU angehört. "Mit eurem Mut und Eurer Stärke habt ihr euch den Weg nach Europa geebnet", rief er auf Polnisch in die Menge, "jetzt müsst ihr friedlich eine demokratische Ukraine aufbauen." Für eine "freie, demokratische Ukraine" sei die Tür der EU offen.

Ganz so offen ist die Tür in Wahrheit nicht. Es ist in der EU höchst umstritten, ob die Ukraine eine "Beitrittsperspektive" erhalten soll. Der CDU-Politiker Brok, der bei der Kiew-Mission der Außenminister dabei war und am Sonntag wieder in die Ukraine reiste, warnt vor Versprechen, die nicht eingehalten werden können. "Jetzt kommt es darauf an, dass das Assoziierungsabkommen unterschrieben, ratifiziert und angewandt wird", mahnt er. "Die Ukraine ist doch noch nicht EU-fähig. Es ist ein Fehler, das den Menschen jetzt wieder vorzugaukeln."

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