Ultimatum der Euro-Länder:Griechenlands Retter sind erpressbar

Wieder einmal steht den Griechen das Wasser bis zum Hals. Wieder einmal signalisieren die Euro-Länder, dass sie dem gebeutelten Land nur noch wenige Tage gewähren wollen, bis die Sparauflagen erfüllt sein müssen. Die Drohungen wirken kompromisslos - doch kaum jemand rechnet mit der Pleite Griechenlands.

Cerstin Gammelin, Brüssel

Merkel in Athen

Der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras und Bundeskanzlerin Angela Merkel gehen vom Sitz des Ministerpräsidenten zum Sitz des Präsidenten.

(Foto: dpa)

Western-Remake in Luxemburg. Mitternacht, drei Gentlemen und eine Lady treten auf ein schlecht beleuchtetes Podium. Der Wortführer der vier eröffnet ein verbales Feuer. Er schießt - in die Luft. Was von Weitem so aussieht wie danebengeschossen, soll auch nicht treffen. Es ist ein Schreckschuss.

Als Warnung für Griechenland. Dann ein mit grimmiger, entschlossener Miene vorgetragenes Ultimatum. "Bevor wir die nächste Tranche nach Griechenland überweisen, muss sich die griechische Regierung dazu verpflichten, die vereinbarten Spar- und Reformprogramme anzuerkennen und zu befolgen." Pause. Ein Blick in die Runde, zur Lady in der schwarzen Lederjacke und zu den beiden Gentlemen in feinem Tuch. Nicken. Es geht schließlich um 31 000 000 000 Euro. Um 31 Milliarden. Der nächste, entscheidende Schuss. "Spätestens bis zum 18. Oktober muss das Bekenntnis da sein."

Der Knall hallt nach. Showdown in neun Tagen. Die Zeit läuft.

Es ist nicht der erste Western, den die Prominenz der Euro-Länder aufführt, um sich mit den Nachbarn, die da am Rande der gemeinsamen Prärie von Dürre und Armut bedroht sind und bisher von korrupten bis egoistischen Politikern regiert wurden, irgendwie auszusöhnen. Um sie zu motivieren, die vielen Milliarden auch zu nutzen, die sie ihnen immer aufs Neue leihen, um sie endlich zu motivieren, das Land wieder urbar zu machen und damit zu verhindern, dass die Grenzen des gemeinsamen Währungsgebiets neu gezogen werden müssen und das viele Geld verloren geht.

Genau genommen gibt es die Remakes seit zwei Jahren. Immer dabei: Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, zugleich Chef der Euro-Gruppe, der Wortführer der Vierer-Mission. Dann die strenge Lady Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds. Ihnen zur Seite als Nebendarsteller: Klaus Regling, Herrscher über den mit 500 Milliarden Euro gefüllten Euro-Rettungstopf ESM, und Olli Rehn, für Wirtschaft und Währung zuständiger EU-Kommissar und praktisch oberster Schriftführer der Rettungsmission.

Die in der nebligen Nacht zum Dienstag abgefeuerten Schreckschüsse haben das Finale für die jüngste, seit Monaten andauernde Rettungsaktion für Griechenland eingeleitet. Am Tag 1 nach den Schüssen wagt sich die oberste Botin des Euro-Gebietes, Bundeskanzlerin Angela Merkel, auf die heikle Mission in das Krisengebiet. Merkel trifft am Dienstag auf den Mann, der das Ultimatum erfüllen muss - auf den konservativen Premier Antonis Samaras. Im besten Fall kürzt Samaras die Warterei ab und gibt der deutschen Kanzlerin die angeforderte Botschaft mit.

Bisher ist der griechische Westernheld allerdings nicht für pünktliche Lieferungen bekannt. Sondern eher als Zögerer, als harter Pokerspieler - als einer, der abwartet bis zur letzten Sekunde; als einer, der sich jedenfalls von Bitten allein nicht motivieren lässt und alles daran setzt, der Mächtigste zu sein.

Samaras weiß, dass sein Land von den Hilfen der Euro-Nachbarn abhängig ist. Er weiß auch, dass die Vierer-Mission nicht scharf schießen wird. Jedenfalls vorerst nicht.

Denn die Retter sind erpressbar.

Schon 200 Milliarden Euro überwiesen

Sie haben schon an die 200 Milliarden Euro an Griechenland überwiesen. Verbürgt von den Bürgern im Währungsgebiet. Alle hoffen darauf, dass Griechenland das Geld zurückzahlt. Was aber nur geht, wenn zunächst noch mehr Geld nach Athen überwiesen wird. Damit das Land auf die Beine kommt. Zahlen die Euro-Retter nicht mehr, sind womöglich alle bisherigen Hilfskredite verloren.

Deshalb bleibt der Vierer-Bande nicht mehr als folgenlose Warnungen. Deshalb haben sie ihre Zahlungen an Konditionen geknüpft. Milliarden sollen nur fließen, wenn die griechische Regierung sich vollumfänglich verpflichtet, als Gegenleistung alles zu tun, um das dürre und ausgetrocknete Land wieder solide zu bewirtschaften.

Die erste Verpflichtung dieser Art hat im Jahr 2010 die Regierung des sozialistischen Premiers Giorgos Papandreou unterzeichnet. Sein politischer Gegner damals, der konservative Samaras, verweigerte ihm jegliche Unterstützung - und blockierte die angekündigten Spar- und Reformmaßnahmen. Ein Jahr später musste der Sozialist abtreten, eine Bürokratenregierung kam an die Macht, übergangsweise - und genau in dieser Zeit brauchten die Griechen ein zweites Hilfspaket. Die Euro-Retter baten und bettelten Sozialisten wie Konservative, sich auch nach den Wahlen an diese Verpflichtungen gebunden zu fühlen - vergebens. Mehr als eine windelweiche Erklärung gab Samaras nicht ab. Dann gewann der Konservative im zweiten Anlauf die griechischen Wahlen, und seither verhandeln die Euro-Retter mit seiner Regierung darum, dass Samaras - bitteschön - die Auflagen erfüllt.

Der Schreckschuss um Mitternacht zeigt also: Offenbar hat Samaras dieses Bekenntnis noch immer nicht abgegeben. Verweigert er es auch Merkel, dann bleiben ihm acht Tage Zeit bis zum EU-Gipfel-Remake am 18. Oktober in Brüssel. Reist er dort ohne Verpflichtung an, droht seinem Land die komplette Dürre.

Ein Finale von acht Tagen ist kurz. Täglich werden jetzt die Boten zwischen Athen, Berlin, Brüssel, Luxemburg und Washington unterwegs sein, um das griechische Bekenntnis auszuhandeln. Und um auszuhandeln, welche Spar- und Reformmaßnahmen den griechischen Bürgern zugemutet werden können. Es werden womöglich weitere Warnungen zu hören sein.

Womöglich aber werden sich bald auch die Bürger aus den Ländern erschrecken, die Griechenland bisher helfen. Denn in der Nacht zum Dienstag ließ Christine Lagarde, die Lady in der schwarzen Lederjacke, keinen Zweifel daran, was sie für am wichtigsten hält. "Unsere Mission konzentriert sich auf ein Ziel. Wir wollen den griechischen Bürgern helfen und es dem Land ermöglichen, sich wieder ohne fremde Hilfe zu finanzieren. Das unterstützen wir. Es gibt viele Ideen in unseren Köpfen, wie wir das schaffen können. Wir werden alle prüfen." Der Pulverdampf über diesen Sätzen verzieht sich schnell. Und lässt eine klare Botschaft zurück: Wenn es hilft, wird es einen zweiten Schuldenschnitt geben. Dann müssen die öffentlichen Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Also die Bürger.

Es sind dies die letzten Worte der Lady. Dann verschwindet sie mit den Gentlemen in der Nacht.

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