Ulrich Marseille:Examen günstig zu kaufen gesucht

Der Spitzenkandidat der Schill-Partei bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt macht nicht nur mit seinen Kliniken von sich reden.

Horst Monsees und Jens Schneider

(SZ vom 13.04.2002) - Nach seiner Tätigkeit gefragt, hat der Hamburger Millionär Ulrich Marseille der Süddeutschen Zeitung einmal mit einem selbstverliebten Unterton erklärt, er sei nun ein "hoch dotierter Arbeitsloser".

Marseille

Ein "hoch dotierter Arbeitsloser": Ulrich Marseille

In diesen Wochen kämpft der hochaufgeschossene Unternehmer in Sachsen-Anhalt, wo es bundesweit die höchste Rate an Arbeitslosen mit bescheideneren Bezügen gibt, als Frontfigur der Schill-Partei um den Einzug in den Landtag.

Die zu Jahresbeginn neu gegründete Partei hat für ihn eine ungewöhnliche Konstruktion gewählt. Auf der Kandidatenliste für den Landtag kommt das einstige CDU-Mitglied - liebstes Hobby: Fliegen - nicht vor, aber er tritt als ihr "Spitzenkandidat" an. In der heißen Wahlkampfphase hat die Partei ihre Plakate mit Parolen zur inneren Sicherheit und seinem Konterfei - und dem Hamburger Innensenator Ronald Schill eher im Hintergrund - flächendeckend über das Land verteilt.

In Sachsen-Anhalt war der Name des Unternehmers Ulrich Marseille lange schon ein Begriff, bevor er in die Politik einstieg. Vor allem die Rechtsstreitigkeiten zwischen der Marseille-Kliniken AG und dem Land haben seinen Ruf geprägt. Das Krankenhaus-Imperium hat er maßgeblich aufgebaut, heute ist er Hauptanteilseigner und sitzt im Aufsichtsrat des Unternehmens.

Der 46 Jahre alte Marseille hatte Volkswirtschaft, Sozialwissenschaften und Jura studiert, bevor er im Alter von 29 Jahren eine Firma zum Betrieb eines privatwirtschaftlichen Pflegeheims gründete.

Theorie und Praxis

Recht und Ordnung zählen zu den Vorlieben Marseilles. Das Recht nimmt er regelmäßig für sich in Anspruch, um bei vermeintlichen Ungerechtigkeiten gegen seine Person und sein Unternehmen prozessieren zu können. Früher wollte der Polit-Neuling gerne Rechtsgelehrter werden - und sogar mit unrechten Mitteln.

Anfang der 80er Jahre unterzog sich der gebürtige Bremerhavener der einstufigen Juristenausbildung an der Universität Bremen. Die Besonderheit des Reform-Studiums lag darin, dass Theorie und Praxis eng miteinander verwoben waren. Der Student pendelte ständig zwischen Hörsaal, Seminar und Anwaltskanzlei. Am Ende der Ausbildung musste er eine wissenschaftliche Arbeit anfertigen.

Marseille, der damals noch Ulrich Hansel hieß, fiel jedoch im Abschlussexamen durch. Ihm blieb eine zweite und letzte Chance. Nun tat Marseille etwas, was in bemerkenswertem Kontrast zu seinem heutigen zentralen Programmpunkt Recht und Ordnung steht: Er versuchte sich den Abschluss zu kaufen. Per Zeitungsinserat im Hamburger Abendblatt hoffte er eine geeignete Person zu finden, die ihm für Geld ein hieb- und stichfestes Abschlusswerk zu Papier bringen würde. "Kompetente Dienstleistung von Mensch zu Mensch" - diesen Grundsatz definiert er später zum Erfolgskern seiner Klinik-Gesellschaft.

Doch die Anzeige wurde entdeckt, und die unredliche Geschichte flog auf. Wegen versuchter Täuschung beendete das Bremer Prüfungsamt Hansels zweiten Examensanlauf, wie ein Beteiligter heute bestätigt. Der Geschasste tat, was er später noch oft tun sollte, er klagte - vor dem Verwaltungsgericht. Zwar verpflichteten die Richter die Behörde, ihre Ablehnung nochmals zu überdenken.

Letztendlich jedoch bestätigte das Gericht den Vorgang, der zum Abgang Hansels führte. Mögliche strafrechtlich relevante Dinge wurden nicht untersucht. Zu den Vorgängen befragt, meint Marseille, hierbei handele es sich um eine 20 Jahre alte Geschichte. Es gehe auch gar nicht um ihn, "sondern es soll die Schill-Partei geschädigt und der Wähler beeinflusst werden - eine schlimme, undemokratische Sache".

Keine Minderwertigkeitskomplexe

Auf der Homepage der Marseille-Kliniken AG, die zu den größten privaten Dienstleistern im Gesundheitswesen zählt, steht im Lebenslauf lediglich: "Nach dem Abitur studierte Marseille Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre." Minderwertigkeitskomplexe hat der Millionär aus seiner gescheiterten Bremer Lehrzeit offensichtlich nicht davongetragen. Teilnehmer einer Wahlveranstaltung zitierten ihn: "Ich kann mir gut vorstellen, Ministerpräsident zu werden."

In Sachsen-Anhalt unterhält der Konzern mehrere Senioren-Wohnparks und andere Pflegeeinrichtungen. Im jahrelangen Rechtsstreit mit dem Land will Marseille die Zahlung von Fördergeldern in zweistelliger Millionenhöhe erzwingen.

Nach Auffassung der Sozialministerin Gerlinde Kuppe (SPD) hat er aber auf diese Fördergelder keinerlei Ansprüche. Er habe sogar ursprünglich ausdrücklich darauf verzichtet und schriftlich erklärt, dass er die Heime über die Pflegesätze refinanzieren wolle, sagte sie der SZ.

Kuppe sieht, wie andere Kritiker auch, einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Marseilles politischem Engagement und seinen wirtschaftlichen Interessen. "Für ihn sind die Landtagswahlen quasi das Mittel, um seine geschäftlichen Interessen hier durchzusetzen", meinte Kuppe. Es sei ihre feste Überzeugung, dass Marseille politischen Einfluss anstrebt, um dann im Rechtsstreit mit dem Land "mindestens einen Vergleich zu erreichen".

Würde es zu einer Koalition der CDU mit der Schill-Partei kommen, würde das nach ihrer "festen Überzeugung teuer für das Land. Da muss man schon mit einem Volumen von - sagen wir einmal - 30 Millionen Euro rechnen. Da frage ich die CDU, wo sie das Geld hernehmen will." Im Nachbarland Brandenburg habe es einen ähnlichen Vergleich mit der Kliniken-AG gegeben, nachdem dort auf die SPD-Regierung eine große Koalition gefolgt sei, sagt die Ministerin. Zu den Vorwürfen sagt Marseille: "Hier sollen nur wieder Ressentiments geschürt werden, ein reicher Millionär aus dem Westen wolle abkassieren."

Der Konflikt eskalierte im Januar, als Gerlinde Kuppe im "Marseille-Seniorenwohnpark Tangerhütte" einen Kondolenz-Besuch abstatten wollte. Bei einem Brand in dem Heim war eine Bewohnerin ums Leben gekommen. Doch Kuppe wurde vom Heimbeirat der Bewohner zur "unerwünschten Person" erklärt, der Niederlassungsleiter verwies sie des Hauses. Sie habe "die alten Menschen im Stich gelassen" und "arbeite mit allen Tricks, um die Alten und Behinderten um ihre Rechte zu bringen", hieß es in einer Erklärung des Heimbeirats, die das Unternehmen verbreitet.

Mitten im Wahlkampf zogen dann am 4.April "Vertreter der Bewohner und Mitarbeiter der Senioren-Wohnparks Sachsen-Anhalt" - so meldete die Kliniken-AG - zum Sozialministerium, um eine Unterschriftenliste zu übergeben. Titel: "Für soziale Gerechtigkeit - gegen soziales Unrecht". Wieder ging es um die Fördergelder.

"Das ist für mich ein niederträchtiger Wahlkampf, in dem die Bewohnerinnen und Bewohner der Altenpflegeheime von Marseille instrumentalisiert werden", klagt Kuppe. Sie wirft ihm Zwecklügen, Diffamierung und Verdrehungen vor. "Ich vermute", sagt sie, "dass die alten Leute aus den Pflegeeinrichtungen gar nicht genügend informiert sind, wie das abläuft. Die werden in ein Fahrzeug gesetzt, im Rollstuhl ins Ministerium gefahren. Ich glaube nicht, dass Herr Marseille ihnen erzählt, dass er Wahlkampf macht."

Ulrich Marseille erreichte unlängst bei einer Umfrage katastrophal schlechte Popularitätswerte. Aber eine Woche vor der Wahl liegt die Schill-Partei immerhin bei fünf Prozent.

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