Ukrainischer Aktivist:Ausreise in letzter Sekunde

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Dmitrij Bulatow am Flughafen von Wilnius. (Foto: AFP)

Er habe doch nur ein paar Kratzer - auf der Sicherheitskonferenz in München hatte der ukrainische Außenminister sich regelrecht lustig gemacht über den verletzten Oppositionellen Dmitrij Bulatow. Dass der nun ausreisen darf, lässt auf Spannungen im Lager von Präsident Janukowitsch schließen.

Von Cathrin Kahlweit, Kiew

Die Ausreise des ukrainischen Oppositionellen Dmitrij Bulatow aus Kiew nach Vilnius war bis zum letzten Moment unsicher. Der Euromaidan-Aktivist, Inhaber einer Auto-Werkstatt und Erfinder des sogenannten Auto-Maidan, hatte zwar das öffentliche Versprechen des ukrainischen Außenministers, er dürfe die Ukraine verlassen, um im Westen seine Verletzungen behandeln zu lassen. Aber obwohl Leonid Koschara dieses Versprechen auf der Münchner Sicherheitskonferenz gegeben hatte, sah es doch eine Weile nicht danach aus, als würde man Bulatow gehen lassen.

Er ist ein Aktivist der ersten Stunde auf dem Maidan und Anhänger von Oppositionsführer Vitali Klitschko, den er einen Freund nennt. Vor knapp zwei Wochen verschwand Bulatow plötzlich. Zuvor hatte er sich Feinde im Lager von Präsident Viktor Janukowitsch gemacht, weil der Auto-Maidan zunehmend Anhänger fand: Mit Privatwagen fuhren die Demonstranten zu den Villen der Reichen und Mächtigen am Stadtrand, bevorzugt nach Meschihirja, wo der Präsident seine Residenz hat, Bulatow mit seinem VW-Polo immer vornweg.

Am 22. Januar wurde er nach eigenen Angaben von russischsprachigen Männern entführt. Eine Woche lang folterten sie ihn, stülpten einen Sack über seinen Kopf, schlugen ihn mit Kabeln, fügten ihm Schnittwunden zu. Die Männer hätten gefragt, wer ihn bezahle und von wem er den Auftrag habe, einen Umsturz zu organisieren, berichtete er. Am Donnerstag kam Bulatow frei, Freunde brachten ihn in ein Kiewer Krankenhaus, wo ihn auch Klitschko besuchte. Ausländische Diplomaten, die bei Bulatow am Krankenbett saßen, bestätigten seine schweren Verletzungen.

Die Regierung behauptet jedoch, dass die Entführung erfunden sei und sich Bulatow die Verletzungen selbst zugefügt haben könnte. Koschara machte sich in München regelrecht lustig über den Oppositionellen, der schon vor Monaten die regierungskritische Gruppe Sozialverantwortliche Gesellschaft gegründet hatte: Bulatow habe nur ein paar Kratzer.

Am Sonntagnachmittag versuchten Polizisten, sich Zugang zum Krankenzimmer Bulatows zu verschaffen, sie wollten ihn mitnehmen, allen Zusagen zum Trotz. Vertreter von Miliz und Staatsanwaltschaft hätten auf einem Hausarrest bestanden, heißt es. Offenbar hatte sich zu diesem Zeitpunkt hinter den Kulissen das Innenministerium durchgesetzt, das von Vitali Sakchartschenko geführt wird, der als Gegner von Kompromissen gilt. Er ist für die Sondereinheit Berkut zuständig, die in den vergangenen Wochen immer wieder gegen die Demonstranten vorging, er soll auch für Schlägertrupps zuständig sein, die gegen Euromaidan-Aktivisten losgeschickt werden.

Erst Interventionen von Diplomaten, eine Art Schutzgarde von Freunden um das Bett des Verletzten und Druck aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland, sollen dafür gesorgt haben, dass man Bulatow gehen ließ. Dafür musste am Sonntag sogar ein Gerichtsurteil produziert werden. Schließlich verließ der Kiewer das Krankenhaus gemeinsam mit dem oppositionellen Oligarchen Petro Poroschenko, um nach Vilnius zu fliegen. Litauen gilt als Hort der osteuropäischen Opposition.

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Auch andere prominente Demonstranten sind auf der Flucht vor regierungstreuen Schlägertrupps. Alexander Daniljuk, Anführer der nationalistischen Gruppierung Spilna Sprava, hat sich nach London abgesetzt. Das verkündet er auf seiner Facebook-Seite. Der 32-jährige Anwalt schreibt, dass er von der Polizei gesucht werde und sich aus Angst vor Entführung und Folter abgesetzt habe.

Weiteren Widerstand trotz polizeilicher Verfolgung kündigt auch Andrij Dschyndschija an, Anführer einer Gruppe, die sich "Straßenkontrolle" nennt und die versucht, korrupte Polizisten zu überführen, die von Autofahrern Gelder erpressen. Dschyndschija war verhaftet worden und wieder freigekommen, andere Mitglieder seiner Gruppe sollen von Unbekannten angegriffen worden sein. Sie sind nach Angaben von "Straßenkontrolle" auf der Flucht.

In der Ukraine ist ein Netzwerk von Notrufen und Such-Webseiten wie Euromaidan-SOS entstanden; zudem haben sich Telefonketten etabliert, mit denen flüchtige Aktivisten quer durch das Land weitergereicht werden. Täglich wird die Liste der Vermissten im Euromaidan-Hauptquartier aktualisiert; derzeit gelten 36 Demonstranten als vermisst. Unterdessen führen Anhänger Bulatows die Idee vom Auto-Maidan weiter. Am Sonntag organisierten Regierungsgegner in zahlreichen Ländern Autokorsos - unter anderem in Wien zum Haus des zurückgetretenen Premiers Mykola Asarow.

© SZ vom 04.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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