Ukrainische Oppositionschefin in Haft:Nummer acht - weggesperrt

Eine Revolutionsheldin wird demontiert: Unter Tumulten ist die ukrainische Oppositionsführerin Timoschenko im Gerichtssaal verhaftet worden, als achtes Mitglied der einstigen Reformregierung. Sie soll den Prozess gestört haben, der ihr wegen angeblichen Amtsmissbrauchs gemacht wird - Justizwillkür?

Thomas Urban

Die frühere ukrainische Regierungschefin Julia Timoschenko ist an diesem Freitag im Kiewer Bezirksgericht verhaftet worden. Ihr wird seit Mai wegen angeblichen Amtsmissbrauchs der Prozess gemacht. Der Vorsitzende Richter Rodion Kirejew führte zur Begründung an, Timoschenko habe wiederholt die Verhandlung gestört.

Haft für ukrainische Oppositionschefin Timoschenko

Julia Timoschenko muss sich wegen angeblichem Amtsmissbrauch vor Gericht verantworten.

(Foto: dpa)

Nachdem die Heldin der Orangenen Revolution von 2004 abgeführt worden war, brachen im Gerichtssaal Tumulte aus. Eine Sondereinheit des Innenministeriums räumte daraufhin den Saal. Vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich spontan mehrere Hundert Demonstranten. Mehrere Dutzend von ihnen blockierten das Polizeifahrzeug, das Timoschenko zum Untersuchungsgefängnis bringen sollte. Mehrere Hundertschaften der Sonderpolizei versuchten, die Blockade aufzulösen.

Timoschenko ist das achte Mitglied der aus den "orangenen" Reformkräften hervorgegangenen Regierung, das nach dem Amtsantritt des Staatspräsidenten Viktor Janukowitsch im März 2010 verhaftet wurde. Internationale Organisationen und Institutionen, darunter das Europa-Parlament, haben wiederholt gegen die "politischen Prozesse" in der Ukraine protestiert.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Kiew, die unter Janukowitsch ins Amt gekommen ist, wirft Timoschenko Amtsmissbrauch vor. Zur Begründung wird angeführt, sie habe 2009 als Ministerpräsidentin Gelder aus dem Emissionshandel, die nur für Umweltschutzmaßnahmen ausgegeben werden dürften, in die Rentenkasse umleiten lassen.

Außerdem habe sie im selben Jahr einen Gasvertrag mit Russland "zum Nachteil der Ukraine" ausgehandelt, ohne ihr Kabinett darüber abstimmen zu lassen. Zu den Zeugen der Staatsanwaltschaft gehört Timoschenkos Nachfolger an der Regierungsspitze, der russischstämmige Premier Nikolai Asarow, einer ihrer politischen Gegner. Sie selbst erklärte zu den Vorwürfen: "Ich habe nur meine Arbeit gemacht. Selbst wenn alles wäre, wie sie sagen, wäre das kein Verbrechen."

Gesetz gegen "schlechtes Regieren"

Nach einem noch aus der Sowjetzeit stammenden Gesetz hat die Staatsanwaltschaft die Kompetenz, gegen "schlechtes Regieren" vorzugehen. In jedem EU-Land wäre dafür das Parlament, nicht aber die Justiz zuständig. Bereits im vergangenen Dezember wurde der frühere Innenminister Jurij Luzenko verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, dass der Fahrer seines Dienstwagens ein zu hohes Gehalt bezogen und dass überdies bei einer Jubiläumsfeier der Polizei zu viel Geld ausgegeben worden sei.

Luzenkos Anwälte erklären, der Minister habe sich mit Fragen dieser Ebene überhaupt nicht befasst. Luzenko war im Frühjahr vorübergehend aus Protest in einen Hungerstreik getreten. Er hat sich unter den ostukrainischen Oligarchen, die hinter Janukowitsch stehen, mit gezielten Aktionen gegen Korruption Feinde gemacht. Persönliche Vorteilsnahme wird ebenso wenig Timoschenko vorgeworfen, obwohl genau diesen Eindruck die Kurzmitteilungen der ebenfalls von Janukowitschs Apparat kontrollierten Medien erwecken sollen.

Die 50-jährige Politikerin mit dem nach altukrainischer Art um den Kopf gewundenen Zopf erklärt zu ihrer Verteidigung, die Gelder aus dem Emissionshandel seien bereits nach zwei Monaten wieder vollständig an den vorgesehenen Haushaltsposten zurück überwiesen worden. Sie habe angesichts der Bankenkrise, die die Ukraine besonders schwer traf, die Auszahlung der Renten sicherstellen müssen.

Auch weist sie den Vorwurf zurück, sie habe einen ungünstigen Gasvertrag mit dem russischen Premier Wladimir Putin ausgehandelt. Sie verweist darauf, dass die vereinbarten 450 Dollar je 1000 Kubikmeter deutlich unter dem Preis lägen, den der russische Monopolist Gazprom anderen Nachbarn Russlands abverlange. So müsse Polen 510 Dollar zahlen.

Der polnische Wirtschaftsminister Waldemar Pawlak hat der Verteidigung Timoschenkos die Dokumentation zu diesem Vertrag zur Verfügung gestellt. Es ist Timoschenkos zweite Verhaftung. Vor genau zehn Jahren hatte die Justiz unter dem damaligen Präsidenten Leonid Kutschma sie wegen angeblicher Korruption sechs Wochen lang inhaftiert. Durch diese Haft wurde sie zur Volksheldin.

Die Verteidiger Timoschenkos erklären, es gebe keine Beweise dafür, dass mit Putin ein niedrigerer Preis hätte ausgehandelt werden können. Die Angeklagte selbst hatte die Legitimität des gesamten Verfahrens in Frage gestellt und es als "Farce" bezeichnet. Den erst 31 Jahre alten Richter Rodion Kirejew nannte sie "Marionette".

Der Prozess solle dazu dienen, ihr jegliche politische Betätigung unmöglich zu machen. In der Ukraine dürfen Angeklagte eines laufenden Verfahrens ebenso wie Vorbestrafte nicht für politische Ämter kandidieren. Kirejew wurde Gegenstand satirischer Darstellungen, nachdem er vor einem Monat erklärte, Timoschenko habe ihm einmal leise zugeraunt, er sei ein "Dorfdepp".

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