Ukraine zwischen EU und Russland:Rivalen um Kiews Gunst

Timoschenko-Tochter kämpft in Deutschland

Die Annäherung der Ukraine an die EU ist vor allem mit dem Namen der ehemaligen Premierministerin Julia Timoschenko verbunden. Ihre Tochter Jewgenija im April 2012 mit einem Plakat ihrer inhaftierten Mutter.

(Foto: dpa)

Julia Timoschenko ist nicht nur eine Ikone der orangenen Revolution, sondern auch ein Symbol für die Annäherung der Ukraine an die Europäische Union. Nun macht die EU dem Land ein Angebot, das Kiew eigentlich nicht ablehnen kann. Die russische Regierung tobt, erpresst, droht - und lockt ebenfalls. Moskau könnte der EU eine verheerende Niederlage zufügen.

Ein Kommentar von Cathrin Kahlweit

Zwei Jahre ist es her, dass ein Gericht in Kiew Julia Timoschenko wegen Amtsmissbrauchs ins Gefängnis schickte. Vor dem Urteil hatte die ehemalige Premierministerin eine Zeitlang keine gute Presse gehabt. Ihr Dauermachtkampf mit dem früheren Präsidenten Viktor Juschtschenko hatte das Image als Ikone der orangenen Revolution schwer beschädigt.

Doch nach der Verhaftung folgten: ein politischer Prozess, eine Reihe erkennbar politisch motivierter Anklagen, eine Krankheit. Timoschenko wurde für den Westen damit erneut zu einem Symbol. Die Annäherung der Ukraine an die EU mithilfe eines Assoziierungsabkommens ist heute vor allem mit ihrem Namen verbunden. Denn dieses sperrige Abkommen brauchte einen emotionalen Anker, ein Gesicht.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion behandelte die Europäische Union den riesigen Nachbarn im Osten lange stiefmütterlich. Der Transformationsprozess geriet ihr zu langsam, die Elite war ihr zu russophil und korrupt, die Industrie unrettbar veraltet. Erst der Aufstand der Bevölkerung gegen die Oligarchen und Kleptokraten sowie die gefälschte Wahl 2004 lenkten das Interesse der Welt zurück auf die Ukraine. Dort liebäugelte man mit der Bindung an den Westen, während gleichzeitig die Nähe zu Russland gepflegt wurde.

"Äquidistanz" nannte man das im Kiewer Außenministerium. Die Regierung Janukowitsch suchte bis zuletzt nach einer pragmatischen Antwort für das größte Problem des Landes: Wie lässt sich die nach wie vor enge Verflechtung mit dem russischen Wirtschaftsraum und die Abhängigkeit in Energiefragen zum eigenen Vorteil kombinieren mit einer Öffnung des Marktes für Europa?

Brüssel wird sich schon mit einem kleinen Erfolg zufriedengeben

Nun hat die EU ein Angebot gemacht, das Kiew nicht ausschlagen kann: ein Assoziierungsabkommen, kombiniert mit einem Freihandelsabkommen, hinter dem, in sehr weiter Ferne, sogar der EU-Beitritt winken könnte. Westliche Standards, Produkte, Innovation, Investitionen sind Teil des Versprechens, von dem beide Seiten profitieren sollen - und von der Vermittlung westlicher Werte in einem postsowjetischen Land natürlich auch.

Die Bevölkerung in der Ukraine ist mittlerweile mehrheitlich dafür, die Opposition sowieso, die Oligarchen sind es offenbar auch, und Präsident Janukowitsch, der 2015 wiedergewählt werden will, könnte seine Amtszeit mit dem Vertrag schmücken. Doch ein Abkommen kollidiert mit den Angeboten aus Moskau: dem Beitritt zur Zollunion und langfristig zur Eurasischen Wirtschaftsunion.

Die russische Regierung tobt, erpresst, droht - und lockt, denn Moskau würde aus seinem einstigen Einflussgebiet herausgedrängt, ein Präzedenzfall wäre geschaffen, der Traum von der Eurasischen Union beschädigt. Das wiederum hat in Brüssel und zahlreichen europäischen Hauptstädten zusätzlichen Ehrgeiz entfacht. Um Kiew wird heftig geworben. Nun endlich soll funktionieren, was in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelang - die Ukraine zu stabilisieren, zu demokratisieren, Moskau zu entfremden.

Janukowitsch ist in einer komfortablen Position: Für die EU wäre es ein Desaster, eine politische Niederlage erster Güte, würde das Assoziierungsabkommen nicht unterzeichnet. Erkennbare Fortschritte bei der Justiz- und der Wahlrechtsreform, die als Bedingungen für eine Unterzeichnung gelten, werden daher eher behauptet als gemessen. Bei den Verfassungsexperten des Europarates kursieren derzeit Papiere, die zwar "generell positive Schritte" konstatieren; gleichwohl, heißt es, fehlten nach wie vor grundlegende Reformen, die Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit sichern könnten.

Dennoch wird man in Brüssel sicher mehrere Augen zudrücken und Ende November das Abkommen unterschreiben. Zu viel steht auf dem Spiel. Sogar das menschliche Symbol der Verhandlungen, Julia Timoschenko, dürfte bis dahin ausgereist sein zur Behandlung ihres Bandscheibenschadens - auch wenn der Präsident sie nicht begnadigt oder gar rehabilitiert. Brüssel wird sich mit der kleinen Lösung zufriedengeben, und Janukowitsch wird einen weiteren kleinen Sieg feiern: Seine Widersacherin hätte kaum Chancen, 2015 gegen ihn anzutreten.

Brüssel und Kiew steuern also auf eine Einigung zu - ein Sieg der Realpolitik. Und doch birgt der auch für Idealisten einen Rest Hoffnung. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass ein Abkommen von der Ukraine schnell und vollständig umgesetzt wird, Oligarchen und der Janukowitsch-Clan haben ein zu großes Interesse an den bestehenden Strukturen. Aber die EU würde mit diesem Vertrag über mehr Hebel als heute verfügen, um gegenzusteuern und demokratische Werte in Gesetzen und im Alltag zu verankern. Und darum geht es ja - auf lange Sicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: