Ukraine:Tot für einen Tag

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Der Kremlkritiker Babtschenko wird ermordet - und präsentiert sich später quicklebendig. Die Inszenierung des ukrainischen Geheimdienstes sollte ein Komplott aufdecken, wirft aber Fragen auf.

Von Julian Hans und Florian Hassel, Moskau/Warschau

Der Präsident gratuliert zur Wiederauferstehung: Das ukrainische Staatsoberhaupt Petro Poroschenko (links) empfing den angeblich ermordeten russischen Journalisten Arkadi Babtschenko. (Foto: Mykola Lazarenko/dpa)

Der 29. Mai 2014 war ein glücklicher Unglückstag für Arkadi Babtschenko. Eigentlich wollte der russische Journalist ukrainische Soldaten bei einem Flug an die Front in der Ostukraine begleiten. Doch der Hubschrauber war voll, Babtschenko blieb zurück. Zwei Stunden später wurde der Hubschrauber von prorussischen Separatisten abgeschossen, alle Insassen starben. Und der Reporter feierte seinen "zweiten Geburtstag".

Jetzt feierte er den dritten. Babtschenko, 41 Jahre alt, lange einer der berühmtesten Kriegsreporter Russlands und scharfer Kremlkritiker, war am Dienstag in Kiew von einem Profikiller erschossen worden. Das glaubte die ganze Welt. Doch keine 24 Stunden nach dem Mord gratulierte Wassili Grizak, Chef des ukranischen Geheimdienstes SBU, Babtschenkos Familie und ihm selbst zu dessen "drittem Geburtstag" - und bat Babtschenko in den Raum. Dort erklärte der Journalist, seine vorgetäuschte Ermordung sei Teil einer Geheimdienstaktion gewesen, um einen geplanten Mord an ihm nicht nur zu verhindern, sondern auch um die Hintermänner des Komplotts dingfest zu machen.

Die Frau des Journalisten hörte Schüsse im Badezimmer und fand ihren Mann blutüberströmt

SBU-Chef Grizak zufolge zahlte der russische Geheimdienst dem Ukrainer G. 40 000 Dollar, damit er Babtschenko ermorden lasse. Der Ukrainer habe einen Freund als Auftragskiller angeworben, der zuvor in der Ostukraine kämpfte. Dem habe er 15 000 Dollar gezahlt, die zweite Hälfte habe der Mann nach dem Mord bekommen sollen. Der SBU habe von dem Plan erfahren und den Auftragsmörder in spe als Doppelagenten angeheuert. Babtschenko selbst sagte, er sei vor einem Monat informiert und gebeten worden, sich auf eine Inszenierung einzulassen.

Die fand am Dienstagabend in Babtschenkos Wohnung statt - ohne Wissen seiner Familie. Babtschenkos Frau Olga hörte im Badezimmer Schüsse und fand ihren Mann blutüberströmt auf dem Boden. Sie rief Polizei und Krankenwagen. Babtschenko starb, so schien es, auf dem Weg ins Krankenhaus - bis zum Mittwochabend. "Es tut mir leid, aber es gab keine andere Möglichkeit, als es so zu tun. Ich möchte mich vor allem bei meiner Frau für die Hölle, durch die sie gegangen ist, entschuldigen", sagte Babtschenko.

Der 41-Jährige hat fast sein gesamtes Leben als Erwachsener im Krieg zugebracht. Als russischer Soldat war er in beiden Tschetschenien-Kriegen im Einsatz. Danach wurde er Reporter und berichtete unter anderem aus dem Krieg in Georgien. Sein Hass auf den Krieg weitete sich immer weiter aus - auf diejenigen, die ihn führen und organisieren bis zu denjenigen, die ihn dulden oder einfach wegsehen.

Sein scharfes Urteil und seine drastische Worte schreckten zuletzt auch liberale Kreise in Russland ab. Viele Weggefährten wandten sich von Babtschenko ab, als er im Dezember 2016 nach dem Absturz einer Militärmaschine auf dem Weg von Sotschi nach Syrien schrieb, er habe keinerlei Mitleid mit den 92 Opfern. Der Armeechor sei nach Syrien aufgebrochen, um dort zu singen und zu tanzen und "den Kampfgeist der Piloten zu heben, damit ihnen das Bombardieren leichter fällt".

Als im März bei einem Brand eines Einkaufszentrums in Kemerowo 60 Menschen starben, viele davon Kinder, schrieb Babtschenko, er könne den Angehörigen kein Mitgefühl aussprechen, solange niemand in Russland Mitgefühl mit mehr als Tausend Kindern in der Ukraine zeige, die ihre Väter im Krieg im Donbass verloren hätten. Die Leute würden sich nur für die eigenen Tragödien interessieren, nicht aber für die, die ihr Land anderswo anrichte. Nach solchen Äußerungen bekam Babtschenko etliche Morddrohungen. Im Februar 2017 verließ er Moskau und lebte in Prag und Israel, bevor er im August 2017 nach Kiew zog und dort als Journalist und Autor arbeitete.

Präsident Petro Poroschenko verteidigte die Inszenierung nach einem Treffen mit Babtschenko als "absolut notwendig". Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko sagte, sie sei nötig gewesen, damit die Hintermänner sich erfolgreich glaubten. Der mit dem Innenministerium verbundene Parlamentarier Anton Geraschtschenko ergänzte, die Behörden hätten nach dem angeblichen Mord die Erfolgsmeldung des ukrainischen Organisators gegenüber seinen Auftraggebern in Russland "mit Mitteln technischer Kontrolle" dokumentieren sollen.

Bisher aber hat der SBU lediglich ein Video der angeblichen ersten Geldübergabe des angeblichen Mordorganisators vom 27. April veröffentlicht sowie ein Video, das die Festnahme des Drahtziehers am 30. Mai in Kiew zeigen soll. Auf beiden Videos ist weder der Festgenommene klar zu erkennen, noch der angebliche Auftragsmörder. Ebenso schweigt Kiew bisher zu dem angeblich verantwortlichen russischen Geheimdienst und veröffentlicht den vollen Namen des angeblichen Drahtziehers nicht. Belege für die nach dem Mord geplante zweite Geldübergabe und vor allem für die Erfolgsmeldung des angeblichen Mordorganisators gegenüber seinen angeblichen russischen Auftraggebern fehlen bisher ebenfalls.

In Moskau nannte ein Kremlsprecher die Mordinszenierung "seltsam". Bundesaußenminister Heiko Maas sagte vor einer am Donnerstag beginnenden Ukraine-Visite, er erwarte in Kiew "die noch notwendigen Informationen". Die Ukraine müsse alles tun, um die Vorgänge aufzuklären. "Es wäre eine gute Gelegenheit, einen solchen, für viele Menschen absolut nicht nachvollziehbaren Vorgang rechtsstaatlich aufzuarbeiten", so Maas.

© SZ vom 01.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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