Ukraine:Sonnenwende in Tschernobyl

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Die Gegend um den Katastrophenreaktor soll eine neues Image bekommen: Dafür soll in der Schutzzone Tschernobyls eine gigantische Solaranlage entstehen.

Von Cathrin Kahlweit

Tschernobyl ist nur etwa 130 Kilometer von Kiew entfernt, aber auch dreißig Jahre nach der größten Katastrophe in der zivilen Nutzung der Kernenergie ist diese Route nach Norden keine, die Ukrainer gern einschlagen. Die Angst bleibt, und das geschmolzene Uran, das im zerstörten Reaktor lagert, wird noch Millionen Jahre strahlen. Gleichwohl gibt es dort Leben: Bis zu 10 000 Menschen arbeiten regelmäßig daran, die Folgen des GAU zu beseitigen und die Anlage zu überwachen; ein neuer Sarkophag über dem AKW wird gebaut, der im November fertiggestellt sein soll. In den Dörfern rund um die Sperrzone leben immer noch Hunderte Menschen, die sich weigerten fortzuziehen, und sogar Touristenbusse fahren regelmäßig nahe heran an das kontaminierte Areal: Katastrophe gucken.

Aber das Image der Region soll sich nun von Grund auf ändern. Am Montag trat ein Dekret in Kraft, das die 30-Kilometer-Schutzzone rund um Reaktor 4 in ein Biosphären-Reservat umwandelt; zudem wurde auch der Bau von Wind- und Solaranlagen in der Region ermöglicht. Denn 6000 Hektar ungenutztes, verstrahltes, verseuchtes Land sollen endlich wieder ökonomisch genutzt werden: mit einer gigantischen Solaranlage.

Umweltminister Ostap Semerak, der seine Idee erstmals im Juni in Kanada vorstellte, war schon in London bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und hat das Projekt präsentiert, mit dem er Arbeitsplätze schaffen und den CO₂-Ausstoß im Kohle-Land Ukraine verringern will: Bis zu vier Gigawatt Energie aus Sonnenkollektoren könnten, wenn das Projekt bewertet und die Kredite bereitgestellt sind, eines Tages in Tschernobyl produziert werden.

Semerak geht die Sache pragmatisch an: Der SZ sagte er, erfahrene Experten seien schließlich vor Ort, Leitungen und Infrastruktur des alten AKW könnten genutzt werden. Die Strahlung sei seit 1986 um das Zehntausendfache zurückgegangen. "Wir schlagen vor, dass man dieses Territorium nicht als Katastrophenzone, sondern als Entwicklungszone betrachtet." Es gebe auch schon einige Interessenten aus den USA, Saudi-Arabien und Kanada. Zwei ukrainisch-europäische Joint-Ventures planten gar, zwei kleine Anlagen schon bis Jahresende fertigzustellen.

Auch bei der EBRD in London, die den Sarkophag mitfinanziert, ist man offen für den Plan, in der Ukraine auf diese Weise erneuerbare Energien zu fördern; ein Sprecher sagt, es könne sinnvoll sein, jene Gebiete in der Sperrzone, in denen die Strahlung signifikant zurückgegangen sei, freizugeben.

Die Ukraine, nach wie vor stark von Kohle- und Gaslieferungen aus Russland abhängig, hat seit Ausbruch des Krieges im Donbass einiges versucht: Re-Importe aus dem Westen, die Dauer-Nutzung eigener Kernkraftwerke an der Obergrenze ihrer Kapazität, Energieeinsparungen. Auf dem Papier gibt es auch anspruchsvolle Pläne für den Ausbau erneuerbarer Energien; das Solarkraftwerk in der Nordukraine könnte eines Tages dazugehören.

Auf der Facebook-Seite des Umweltministers sammeln sich derweil die Skeptiker. "Überlasst Tschernobyl der Natur", fordert Daria Wyschenska, damit dort Störche, Bisons, Bären, Wildpferde überleben können."

© SZ vom 03.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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