Ukraine:Oligarchen und das Gift der Gewalt

Zweieinhalb Jahre nach dem Maidan regiert in der Ukraine der Frust. Gierige Oligarchen und korrupte Politiker bestimmen weitgehend die Agenda. Und der Krieg, von Moskau befeuert, verhindert jegliche Normalität.

Von Cathrin Kahlweit

In der Ukraine sind Umfragen in der Regel nicht das Papier wert, auf dem sie stehen. Zu unverlässlich sind die Zahlen, zu wechselhaft ist das Parteiengefüge, zu unsicher sogar, welchem Lager sich selbst prominente Politiker gerade zurechnen. Bei den Nachwahlen zum Parlament haben Gruppierungen Sitze gewonnen, die es vor der letzten Wahl nicht gegeben hatte, weil die jeweiligen Gründer sie noch schnell erfinden mussten.

Zwei Trends aber sind zuletzt gleich geblieben: Präsident Petro Poroschenko verliert Zustimmung in der Bevölkerung. Und die einst vom Westen als Freiheits-Ikone gehandelte Julia Timoschenko, die ihr Markenzeichen, den geflochtenen Haarkranz, nicht aber ihren Hang zum Populismus abgelegt hat, legt zu. Würde morgen in der Ukraine gewählt, wären die Reformkräfte so schwach wie die Rechtsradikalen. Stattdessen manipulieren noch immer korrupte Unternehmer und Politikerinnen wie Timoschenko mit ihren persönlichen Interessen die öffentliche Meinung - und den Machtapparat.

Das ist die eine schlechte Nachricht. Die andere ist, dass die Nationalisten, die sich mit Frontrückkehrern aus den Freiwilligenverbänden verbünden, ihren Druck auf der Straße erhöhen. Vor Kurzem etwa war der Anführer einer Miliz wegen Unterschlagung verhaftet worden; nach einer Demonstration von wütenden Anhängern vor dem Parlament wurde er noch am selben Abend wieder freigelassen. Auch der Kreuzzug sogenannter Friedensfreunde, den die von Moskau gesteuerte ukrainisch-orthodoxe Kirche derzeit organisiert, wird von Nationalisten bedrängt und bedroht. Den Pilger-Aktivisten kann das nur recht sein - zeigen die gewaltsamen Proteste doch, dass die Regierung die öffentliche Sicherheit nicht garantieren kann.

Die Frustrierten würden nicht noch mal auf den Maidan ziehen

Die politische Dauerkrise zweieinhalb Jahre nach dem Maidan, die durch den Krieg im ukrainischen Osten von Moskau weiter befeuert wird, hat drei Lager hervorgebracht: Da sind die Frustrierten, deren Zahl wächst. Sie würden nicht einmal mehr auf den regelmäßig von der Regierung als Warnung und Drohung zitierten "dritten Maidan" ziehen, denn sie gehen davon aus, dass nichts mehr zu retten ist in einem Land, das sich selber nicht retten kann. Da sind zudem die Oligarchen; die alten sind nicht entmachtet, es sind vielmehr neue dazugekommen. Sie bestimmen die politische Agenda im Land, und wer mitverdienen will, steht auf ihrer Payroll. Das dritte Lager bilden die Unverdrossenen, zu denen eine fraktionsübergreifende Gruppe von Reformern sowie Juristen und Vertreter der Zivilgesellschaft gehören. Serhij Leschtschenko, einer ihrer Köpfe, verweist eher verbittert darauf hin, dass die Freundeskreise, die unter dem alten Präsidenten Janukowitsch verdienten, nicht so anders funktionieren als jene, die unter dem neuen verdienen. Aber diese Leute wollen nicht aufgeben, gründen Parteien, setzen auf die Zukunft, auf die nächste Generation. Wer nicht depressiv werden will in der Ukraine, der glaubt weiter daran, dass irgendwann alles gut wird, europäisch, sauber, gerecht. Dann nämlich, wenn die anspruchsvollen Reformprojekte, die ja durchaus beschlossen werden, in den Köpfen der Jungen, der westlich Eingestellten, der Idealisten angekommen sind.

Bleibt der Krieg. Er ist die Geißel der Ukraine, weil Normalität nicht gelebt werden kann, solange im Osten gestorben wird. Er vergiftet alle Debatten, weil Moskau in die Innenpolitik hineinregiert. Es gibt keine Annäherung in der Frage, ob und wie man mit dem Feind hinter der Grenze umgehen soll. Die Ukraine ist heute - als Opfer eines hybriden russischen Krieges, aber auch als Opfer gieriger Eliten - tiefer gespalten, als sie es beim Ausbruch dieses Konfliktes war. Das ist die wirklich schlechte Nachricht.

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