Ukraine:Wer nach der Macht strebt

In der Ukraine bringen sich die Präsidentschaftskandidaten in Stellung. Neben Julia Timoschenko haben zwei Nationalisten große Ambitionen. Außerdem tritt ein Schokomilliardär an - mit prominenter Unterstützung.

Von Matthias Kolb

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Ukrainian opposition leader Tymoshenko addresses anti-government protesters gathered in the Independence Square as her daughter Yevgenia and opposition leader Yatsenyuk look on in Kiev

Quelle: Yannis Behrakis/ Reuters

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In der Ukraine bringen sich die Präsidentschaftskandidaten in Stellung. Neben Julia Timoschenko haben zwei Nationalisten große Ambitionen. Außerdem tritt ein Schokomilliardär an - mit prominenter Unterstützung.

Der 22. Februar wird in die Geschichte der Ukraine eingehen: Am Nachmittag wurde Präsident Viktor Janukowitsch vom Parlament abgesetzt. Drei Monate später, am 25. Mai, wird der neue ukrainische Präsident gewählt. Die Kandidaten im Überblick.

Opposition leader Poroshenko attends an anti-government rally in Kiev

Quelle: REUTERS

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Petro Poroschenko hat am 28. März bekanntgegeben, bei der Präsidentschaftswahl antreten zu wollen. Poroschenko ist eine der schillerndsten Figuren der ukrainischen Wirtschaft- und Politszene. Der Oligarch vertritt einen proeuropäischen Kurs und trägt den Spitznamen "Schokoladenkönig", weil er mit Süßwaren (und anderen Geschäften) zum Milliardär wurde. Er ist der einzige der Oligarchen, der sich offen gegen Präsident Janukowitsch stellte. Dass er seit längerem Abgeordneter im ukrainischen Parlament Rada ist und mit "5 Kanal" einen TV-Sender besitzt, wird ihm im Präsidentschafts-Wahlkampf sicher nicht schaden. Zudem darf sich Poroschenko prominenter Unterstützung von Vitali Klitschko sicher sein, der sich aus dem Präsidentschaftsrennen zurückgezogen hat und sich stattdessen um das Bürgermeisteramt in Kiew bewerben möchte.

Dass schwerreiche Männer in der Politik mitmischen, ist in der Ukraine normal: Poroschenko war bis Dezember 2012 Wirtschaftsminister; zuvor war er schon als Außenminister und Nationaler Sicherheitsberater tätig.

Poroschenko ließ sich auch nicht durch russische Boykottdrohungen gegen seinen Schoko-Konzern Roshen davon abhalten, die Proteste zu finanzieren. Er flog etwa mit dem gefolterten Aktivisten Dmitrij Bulatow nach dessen Befreiung ins litauische Vilnius. Das Verhältnis Poroschenkos zu Julia Timoschenko gilt jedoch als belastet - die beiden haben sich kurz nach der Orangenen Revolution zerstritten.

Julia Timoschenko

Quelle: dpa

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Poroschenko und Klitschko stellen sich gemeinsam gegen Julia Timoschenko, die dennoch im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Im Zuge des Umbruchs war die bekannteste Politikerin der Ukraine nach zweieinhalb Jahren aus der Haft entlassen worden und hielt eine emotionale Rede auf dem Maidan. Dabei wurde deutlich, dass die 53-Jährige zwar geschwächt, aber noch immer äußerst charismatisch ist. Am 29. März hat sich Timoschenko von ihrer Vaterlandspartei offiziell zur Präsidentschaftskandidatin küren lassen.

Ihre Verurteilung zu sieben Jahren Haft wegen Amtsmissbrauchs kritisierten viele Beobachter als politisch motiviert. Sie galt als die schärfste Widersacherin von Präsident Janukowitsch. Für ihren Willen und ihre Bereitschaft, mit Hungerstreiks ans Äußerste zu gehen, erhielt sie viel Respekt. Doch viele Demonstranten sorgen sich, dass Timoschenko "ihren Protest" nun kapern könnte. "Wir standen nicht ihretwegen auf dem Maidan. Wir haben nicht für sie gekämpft", heißt es in einem offenen Brief, der im Netz kursiert.

Timoschenko steht für vieles, was die Demonstranten an den ukrainischen Politikern hassen. In den neunziger Jahren häufte die "Gas-Prinzessin" in der Energiebranche ein Vermögen an und kooperierte mit Oligarchen. 2004 war sie eine wichtige Protagonistin der "Orangenen Revolution", doch als Regierungschefin zerstritt sie sich völlig mit dem damaligen Präsident Juschtschenko. Viele Beobachter merken an, dass sie in ihrer Amtszeit die Ukraine keineswegs in Richtung Europa führte oder genug gegen die Korruption tat.

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Quelle: AFP

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Vitali Klitschko hat sich aus dem Rennen um die ukrainische Präsidentschaft zurückgezogen. Der in Deutschland ebenso bekannte wie beliebte einstige Boxweltmeister will sich stattdessen um das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt Kiew bewerben. "Ich will Kiew zu einer wirklich europäischen Stadt machen", sagte der 42-Jährige.

Klitschko spricht Deutsch, hatte zwischenzeitlich seinen ständigen Wohnsitz in Hamburg und schreibt seit längerem eine eigene Kolumne in der Bild-Zeitung. In seiner Heimat wird Klitschko jedoch kritischer gesehen als in Deutschland. Er scheiterte bereits einmal als Bürgermeisterkandidat in Kiew und vertritt seine Partei Udar (Schlag) seit 2012 als Fraktionschef im ukrainischen Parlament.

Bei den Protesten auf dem Maidan war der zwei Meter große Klitschko von Anfang an dabei. Der ältere der Klitschko-Brüder mit dem Spitznamen "Dr. Eisenfaust" bildete mit Timoschenko-Gefolgsmann Arsenij Jazenjuk und dem Swoboda-Chef Oleg Tiagnibok ein Dreiergespann, das mit diversen Abgesandten im In- und Ausland verhandelte - der Einfluss des Trios auf die höchst unterschiedlichen Gruppen auf dem Maidan war jedoch gering. Klitschko galt als "Gesicht der Proteste, aber nicht als deren Kopf", auch wenn er das erfolgreiche Amtsenthebungsverfahren gegen Janukowitsch auf dem Maidan ankündigte.

Bereits im Oktober 2013 hatte er angekündigt, als Präsident bei den nächsten Wahlen antreten zu wollen. Nun überlässt er jedoch dem proeuropäischen Poroschenko das Feld.

Klitschko und Jazenjuk in Berlin

Quelle: dpa

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Arsenij Jezenjuk ist der Chef der Übergangsregierung, die das Land in Richtung Neuwahlen führen soll. Keine leichte Aufgabe: Die Ukraine ist so gut wie pleite, die Protestbewegung misstraut immer noch den etablierten Parteien.

Für die Financial Times gilt Jazenjuk als "Favorit der Amerikaner". Obwohl er erst 39 Jahre alt ist, hatte Jazenjuk bereits viele wichtige Posten inne: Er war Außenminister, Parlamentspräsident, leitete vorübergehend die ukrainische Zentralbank und eine Zeit lang einen wichtigen Thinktank.

Der schmächtige Mann mit der prägnanten Brille fungierte zuletzt als Platzhalter von Julia Timoschenko als Chef der Batkiwschtschyna-Partei (Vaterlandspartei) und gehörte mit Klitschko und dem Nationalisten Tiagnibok zum Dreiergespann, das die Janukowitsch-Gegner in der Öffentlichkeit vertrat.

Ukraine's new parliamentary speaker is Tymoshenko ally

Quelle: dpa

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Als Übergangspräsident ist Alexander Turtschinow derzeit einer der wichtigsten Akteure in der Post-Janukowitsch-Ukraine. Der 49-Jährige wurde bereits 1998 ins Parlament gewählt, seit 1999 fungierte er als Stellvertreter von Julia Timoschenko in ihrer Partei - er gilt als "ihre rechte Hand". Die FAZ beschreibt das Duo so: "Wo auch immer Timoschenko in ihrer politischen Karriere stand: Auf Turtschinow konnte sie sich immer verlassen."

Der in Dnipropetrowsk geborene Turtschinow war Funktionär in der sowjetischen Jugendbewegung, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs arbeitete er eng mit Ex-Präsident Leonid Kutschma zusammen. Für dessen Nachfolger Viktor Juschtschenko organisierte er 2004 den Wahlkampf in der Ostukraine. Unter Ministerpräsidentin Timoschenko fungierte er sechs Monate lang als Chef des Geheimdienstes. 2010 wurde er kurzzeitig Vize-Regierungschef - erneut an der Seite von Timoschenko.

Als Übergangspräsident sind seine Befugnisse gemäß der wiederhergestellten alten Verfassung beschränkt. Offen wirbt er für einen pro-westlichen Kurs: "Wir müssen in die europäische Familie zurückkehren". Mit seiner ausgleichenden Art kommt der Interims-Staatschef laut ZEIT Online bei den Abgeordneten gut an, Janukowitschs Partei der Regionen rechnete es ihm hoch an, Regierungsgegner zum Verzicht auf Selbstjustiz aufgerufen zu haben. Der Ökonom hält sich gerne im Hintergrund, ukrainischen Medien soll er einmal erklärt haben, in einem normalen Land lieber als Wissenschaftler oder baptistischer Prediger arbeiten zu wollen. Turtschinow hat mehrere Romane geschrieben, einer davon wurde bereits verfilmt.

Head of the All-Ukrainian Union Svoboda (Freedom) Party Tyagnibok attends an anti-government rally in Kiev

Quelle: REUTERS

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Oleg Tiagnibok hat Medizin studiert, doch seit langem widmet sich der 45-Jährige der politischen Arbeit. Er ist Chef der nationalistischen Partei Swoboda (Freiheit). Tiagnibok fiel in der Vergangenheit durch antisemtische Sprüche auf: 2004 klagte er etwa über den Einfluss der "jüdischen Mafia Moskaus" in der Ukraine.

Die Folge: Das Simon-Wiesenthal-Zentrum setzte den Mann aus der Westukraine 2012 auf den fünften Platz seiner Liste der schlimmsten Antisemiten weltweit, der Jüdische Weltkongress bezeichnet seine Swoboda als neonazistisch und stellt sie in eine Reihe mit der griechischen Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung) und der ungarischen Jobbik.

In die Parlamentswahlen von 2012 zog Swoboda mit einem gemäßigten Programm, seither tritt auch Tiagnibok leiser auf. Während der Proteste wurden seine nationalistischen Töne weniger, stattdessen schwärmte er von der europäischen Idee und präsentierte sich pro-westlich. Seine harschen, anti-russischen Parolen kamen aber nach wie vor gut an.

Dass Tiagnibok seit Wochen an der Seite von Klitschko und Jazenjuk auf dem Maidan zu sehen war und mit ausländischen Politikern verhandelte, hat sein Image aufpoliert. Allerdings nehmen ihm viele Demonstranten und zahlreiche Experten seine leiseren, pro-europäischen Töne nicht ab. Dass er Ambitionen auf das Präsidentschaftsamt hat, gilt als sicher. Er hatte bereits 2010 kandidiert, doch er bekam nur 1,4 Prozent der Stimmen. Bei der letzten Parlamentswahl 2012 lief es besser für Swoboda: Jeder zehnte ukrainische Wähler stimmte für die nationalistische Partei. Nach aktuellen Umfragewerten würde er diesmal nur 1,7 Prozent der Stimmen bekommen.

Yarosh, a leader of the Right Sector movement addresses during a rally in central Independence Square in Kiev

Quelle: REUTERS

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Dmitrij Jarosch (links) ist der große Unbekannte unter den Akteuren in der Übergangsphase in der Ukraine. Der 42-Jährige stammt aus der Ostukraine und ist Chef des Rechten Sektors (Prawy Sektor), einer informellen Vereinigung von rechtsradikalen und neofaschistischen Splittergruppen. Erstmals trat die Organisation bei den Protesten Ende November in Kiew in Erscheinung. Zu den sogenannten "Selbstverteidigungskräften" des Maidans steuerte sie Hunderte Kämpfer bei, die meist an vorderster Front die Barrikaden bewachten.

Die Mitglieder des Rechten Sektors treten in Tarnfleckuniformen, Helmen und Skimasken auf; landesweit schätzt die Gruppierung das Mobilisierungspotenzial auf etwa 5000 Menschen. Die Gruppe sieht sich in der Tradition ukrainischer Partisanen, die etwa während des Zweiten Weltkriegs gegen die Besatzer aus Nazi-Deutschland sowie gegen die Sowjet-Armee gekämpft hatten. Die Ideologie des Sektors grenzt laut des Magazins TIME an Faschismus - jeglicher ausländische Einfluss auf die Ukraine wird abgelehnt. Dies richtet sich besonders gegen eine Einmischung Moskaus.

Auf dem Maidan fielen die Kämpfer des Rechten Sektors schon optisch auf. Zahlreiche Medienberichte beschäftigten sich mit der Rolle rechtsradikaler Kräfte in der Protestbewegung. Tatsächlich stellen Rechtsradikale zahlenmäßig nur eine Minderheit der Demonstranten. Vor allem der Rechte Sektor schaffte es aber, sich als Beschützer der Bewegung zu präsentieren, was den Vermummten Anerkennung einbrachte.

"Wir sind keine Politiker, sondern Soldaten der nationalen Revolution", tönte der aus der Ostukraine stammende Jarosch im Interview mit TIME. Es erscheint deshalb unwahrscheinlich, dass er ein Amt anstrebt. Laut aktuellen Umfragewerten würde Jarosch bei der kommenden Präsidentschaftswahl lediglich 0,9 Prozent der Stimmen bekommen. Sein Einfluss dürfte dennoch beachtlich sein - der Rechte Sektor kann Ausschreitungen unterbinden, aber auch Gewalt provozieren.

© Süddeutsche.de/ksk//joku/hart/sks
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