Ukraine-Konflikt:Provokation im Donbass

Präsident Poroschenko

Petro Poroschenko, Präsident der Ukraine, will weder die Abspaltung im Donbass, noch die Annektierung der Krim akzeptieren. Bei Kämpfen sind jüngst mindestens neun ukrainische Soldaten getötet worden.

(Foto: REUTERS)
  • Der ukrainische Präsident Poroschenko hat angekündigt, sein Land werde "die Souveränität über den Donbass und die Krim wiederherstellen".
  • Den Separatistenführer Alexander Sachartschenko nannte Poroschenko eine Marionette Moskaus.

Von Julian Hans, Moskau

Ob der Separatistenführer Alexander Sachartschenko sich nur selbst in Erinnerung rufen wollte oder ob ihm eine Stimme aus Moskau den Tipp gegeben hat, darüber streiten sich die Experten zwischen Moskau und Paris. Auswirkungen auf den Minsk-Prozess und die Situation an der Kontaktlinie zwischen den aus Russland unterstützten Separatisten und der ukrainischen Armee hat Sachartschenkos Ausrufung eines neuen Staates Namens "Kleinrussland" dennoch.

Die selbsternannten "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine waren über viele gebrochene Waffenstillstände fast vergessen. Nun sind sie wieder in den Nachrichten. Und die harsche Reaktion des ukrainischen Präsidenten weckte Sorgen vor einer neuerlichen Eskalation: Petro Poroschenko sagte, die Ukraine werde "die Souveränität über den Donbass und die Krim wieder herstellen." Sachartschenko sei keine politische Figur, sondern eine Marionette Moskaus.

Dass der Führer der benachbarten Pseudo-Republik Luhansk, Igor Plotnizki, von den Ankündigungen völlig überrascht wurde, deutet allerdings darauf hin, dass der "Kleinrussland"-Plan nicht gerade gründlich vorbereitet war. In Einstimmigkeit mit Berlin und Washington hatte diesen auch ein Sprecher des Kreml am Dienstag vom Tisch gefegt.

Der Plan, der die Gründung eines neuen Staates mit der Hauptstadt Donezk vorsieht, widerspreche den Vereinbarungen, die die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Deutschland, der Ukraine und Russlands im Februar 2015 im weißrussischen Minsk getroffen haben, sagte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im russischen Föderationsrat, Konstantin Kossatschow.

"Minsk" ist also weiter der Plan, an dem alle entscheidenden Akteure festhalten, auch wenn er sehr unterschiedlich ausgelegt wird. Am Mittwoch wurden indes auch andere Töne aus dem Kreml kolportiert. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti erklärte der zuständige Berater des Präsidenten, der Idee von "Malorossija" sei durchaus etwas abzugewinnen.

Die Aufregung um den zu gründenden Staat sei insgesamt hilfreich, soll Wladislaw Surkow erklärt haben. Surkow ist der Mann im Kreml, der den Kontakt zu den Separatisten hält. "Die Hauptsache ist, dass der Donbass nicht für die Abtrennung von der Ukraine kämpft, sondern für ihre Erhaltung als Ganzes, für die ganze Ukraine, nicht nur für einen Teil", soll Surkow laut dem Agenturbericht gesagt haben.

Moskau hat sich öffentlich immer für die territoriale Integrität der Ukraine ausgesprochen

Damit wäre die Lesart zurück, die Moskau ganz zu Anfang des Krieges im Sommer 2014 verbreitete, nämlich dass in der Ukraine ein Bürgerkrieg herrsche. Trotz der Annexion der Krim hat sich auch Moskau öffentlich immer für die territoriale Integrität der Ukraine ausgesprochen. Das Kleinrussland-Modell böte die Möglichkeit, daran festzuhalten und gleichzeitig Kiew unter Druck zu setzen.

Der Vorstoß diene in erster Linie dazu, die Regierung in Kiew zu unbedachten Äußerungen zu provozieren, glaubt die ukrainische Politologin Alexandra Reschmedilowa, die für das unabhängige Zentrum für die Entwicklung der Ukraine die Situation analysiert. Es sei auffällig, dass Sachartschenko seine Deklaration vom Blatt ablesen musste wie einen fremden Text: "Offenbar wurde dem Provokateur da etwas ins Ohr geflüstert."

Eine Provokation ist das Projekt allemal - für alle Ukrainer. Den Namen "Malorossija" trug das Gebiet der heutigen Ukraine als Teil des Zarenreichs, bis die ukrainische Nationalbewegung sich im 19. Jahrhundert davon lossagte und den Namen Ukraine etablierte; ein Schritt zu einer eigenen Staatlichkeit, die viele Anhänger eines großrussischen Imperialismus noch heute infrage stellen.

Eine ähnliche Anleihe aus der Geschichte hatten die selbsternannten Republiken schon 2014 genommen, als sie die Gründung von "Neurussland" verkündeten. Außer den Gebieten Luhansk und Donezk sollte das Rebellenreich auch Charkiw und Odessa umfassen. Beide halten aber unverändert zu Kiew, und die "Volksrepubliken" umfassen nur Teile der Gebiete Luhansk und Donezk. Nach dem Scheitern des vor allem von russischen Nationalisten unterstützten Neurussland-Projekts wurde mit Kleinrussland die Idee noch einmal aufgewärmt - und gleich noch mit einem Anspruch auf das ganze Gebiet der Ukraine.

Es sei immer wieder zu beobachten, dass vor einem Treffen der Kontaktgruppe mit Entsandten Kiews und der Separatisten in Minsk provoziert werde, sagt die Politologin Reschmedilowa. "Das beste ist, solche Provokationen zu ignorieren. Jeder weitere Kommentar gibt ihnen nur zusätzliches Gewicht."

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