Ukraine-Konflikt:Britisches Oberhaus wirft EU "Schlafwandeln" vor

  • Der EU-Ausschuss des britischen Oberhauses wirft der eigenen Regierung und der Europäischen Union im Ukraine-Konflikt einen naiven Umgang mit Russland vor.
  • Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Staatspräsident Hollande dringen auf die Einhaltung der Vereinbarungen von Minsk.
  • Die Menschen in Kiew gedenken der Opfer der blutigen Ausschreitungen auf dem Maidan vor einem Jahr.

Britisches Oberhaus greift EU scharf an

Der EU-Ausschuss des britischen Oberhauses hat der eigenen Regierung und der Europäischen Union in einem Bericht zum Ukraine-Konflikt einen naiven Umgang mit Russland vorgeworfen. Der Ausschuss sei zu dem Schluss gekommen, "dass die EU und damit auch Großbritannien in dieser Krise des Schlafwandelns schuldig" seien, erklärte der Ausschussvorsitzende Christopher Tugendhat, wohl unter Anspielung das Buch "Die Schlafwandler", in dem Historiker Christopher Clark beschreibt, wie die Großmächte 1914 in den Ersten Weltkrieg schlitterten.

"Ein Mangel an verlässlichen analytischen Kompetenzen" in London und Brüssel habe zu "einer katastrophalen Missdeutung der Stimmung" in der Anfangsphase des Konflikts geführt, sagte nun Tugendhat zum Ukraine-Konflikt. Der Westen sei stets von der "optimistischen Prämisse" ausgegangen, dass sich Russland demokratisieren werde, hieß es weiter.

Auf dieser Grundlage seien die Russland-Kompetenzen sowohl im britischen Außenministerium als auch in den Außenämtern anderer EU-Staaten zurückgefahren worden. Dies habe dazu beigetragen, dass die EU keine "entschiedene Antwort" auf das Vorgehen Russlands in der Ukraine gegeben habe. Weiter hieß es, die britische Regierung sei in dem Konflikt "nicht so sichtbar gewesen, wie sie es hätte sein können".

Merkel und Hollande drohen mit neuen Sanktionen

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande appellieren dringend an Moskau und Kiew, alle Friedensvereinbarungen für die Ukraine umzusetzen. Sie drohten nach einem Treffen am Freitag in Paris dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bei weiteren Verstößen prorussischer Separatisten gegen das Minsker Abkommen mit neuen Sanktionen.

Die Separatisten und die ukrainische Armee müssten nun den Waffenstillstand einhalten, das schwere Militärgerät abziehen und ihre Gefangenen austauschen, forderten Merkel und Hollande. "Wenn das nicht kommt, kommen Sanktionen. Das ist aber nicht unsere Absicht. Wir wollen Frieden schaffen", sagte Hollande. Merkel sagte, es gehe um einen konstruktiven Weg aus den Sanktionen.

Deutschland knüpft Ukraine-Friedenseinsatz an Billigung Russlands

Mit ihrer Forderung nach einem EU-Friedenseinsatz verwies UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Ukraine an den Sicherheitsrat. Die Vereinten Nationen stünden bereit, jede Entscheidung des Sicherheitsrates umzusetzen, erklärte ein UN-Sprecher in New York.

Die Bundesregierung knüpft einen solchen Einsatz in der Ukraine an die Zustimmung Russlands. "Eine Friedensmission muss von allen gewollt und getragen werden", sagte die Sprecherin des Auswärtigen Amtes, Sawsan Chebli, in Berlin. Der ukrainische Präsident Poroschenko, hatte zur Überwachung des Waffenstillstands und der Umsetzung des Minsker Friedensplans einen EU-Einsatz mit UN-Mandat vorgeschlagen. In Brüssel wird nun darüber nachgedacht, die OSZE-Mission in der Ukraine zu stärken.

Neue Kämpfe in der Ostukraine

Trotz der vereinbarten Waffenruhe gehen die Kämpfe in der Ostukraine weiter. Das ukrainische Militär und die prorussischen Separatisten werfen sich erneut gegenseitige Angriffe vor. Im Krisengebiet habe es innerhalb von 24 Stunden rund 50 Verstöße gegen die Kampfpause gegeben, teilte die Militärführung in Kiew mit. Dabei habe es auch einen Beschuss der strategisch wichtigen Küstenstadt Mariupol gegeben.

Die Separatisten beschuldigten die ukrainischen Regierungstruppen ebenfalls, den Waffenstillstand nicht einzuhalten. So habe es einen Angriff auf Wohngebiete der Stadt Donezk gegeben, teilte der Nachrichtendienst der Separatisten mit. Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bestätigten, dass sie am Donnerstag mehrfach Artilleriefeuer in Donezk gehört hätten. Informationen über den oder die Verantwortlichen gaben sie allerdings nicht. Bei Beschuss sei eine Frau getötet worden, teilte der Stadtrat mit.

Trotz ihrer Vorwürfe an Kiew erklärten sich die Aufständischen aber zu einem Gefangenenaustausch bereit. Der Austausch, der vergangene Woche im Minsker Friedensplan vereinbart worden war, könne an diesem Wochenende stattfinden, sagte Separatistensprecherin Darja Morosowa der Agentur Interfax. Frühere Initiativen hatten sich nach solchen Ankündigungen immer wieder verzögert.

Ukraine-Konflikt: Tränen für die "himmlischen Hundert": Auf dem Madian gedenken zahlreiche Ukrainer der Menschen, die dort vor einem Jahr erschossen wurden.

Tränen für die "himmlischen Hundert": Auf dem Madian gedenken zahlreiche Ukrainer der Menschen, die dort vor einem Jahr erschossen wurden.

(Foto: AFP)

Ukraine gedenkt der Toten vom Maidan

Zahlreiche Ukrainer gedenken an diesem Freitag in Kiew der fast hundert Toten, die bei den proeuropäischen Massenprotesten vor einem Jahr erschossen worden waren. Viele verharren weinend und sich bekreuzigend vor den Fotos der Toten, welche die "himmlischen Hundert" genannt werden. Auf dem zentralen Maidan-Platz gab es eine Andacht, vor einem Denkmal sangen etwa hundert Menschen patriotische Lieder.

Präsident Poroschenko warf Russland bei seiner Ansprache auf dem Unabhängigkeitsplatz erneut eine Unterstützung der Separatisten im Osten des Landes vor. "2015 wird entscheidend bei der Errichtung eines neuen Staates", sagte der prowestliche Präsident.

In die Trauer der Demonstranten mischte sich Wut darüber, dass auch ein Jahr nach der Gewalteskalation die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen worden sind. Die Kiewer Regierung ist überzeugt, dass die tödlichen Schüsse von Sicherheitskräften des damals noch amtierenden Präsidenten Viktor Janukowitsch abgefeuert wurden. Doch auch gewaltbereite Demonstranten stehen unter Verdacht. Bislang wurden jedoch nur zwei einfache Bereitschaftspolizisten angeklagt und warten auf ihren Prozess.

Kiew beschwert sich über Ostukraine-Reise von Linken-Abgeordneten

Die Regierung in Kiew hat sich offiziell über die Reise von zwei Linken-Bundestagsabgeordneten zu den ostukrainischen Separatisten beschwert. Die ukrainische Botschaft in Berlin habe eine Protestnote geschickt, bestätigte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Der ukrainische Botschafter Andrej Melnyk sagte dem Tagesspiegel: "Die beiden Abgeordneten haben mit ihrer Reise unsere Gesetze verletzt." Er sei sprachlos über das Verhalten von Andrej Hunko und Wolfgang Gehrcke.

Die beiden Abgeordneten waren am vergangen Samstag über die russische Grenze ins Separatistengebiet gereist, um mit Spendengeldern gekaufte Medikamente zu übergeben. Sie hatten dabei auch den Separatistenführer Alexander Sachartschenko getroffen. Das Treffen war auf einem Foto festgehalten worden.

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