Ukraine im Umbruch:Schläger in den Städten, und Panzer in Sicht

Crisis in Ukraine - Single Ukraine rally in Donetsk

Einen Toten und mehrere Verletzte gab es nach Zusammenstößen im ostukrainischen Donezk.

(Foto: dpa)

In der Ukraine gibt es keine Anzeichen für Menschenrechtsverletzungen, sagen UN-Beobachter. Moskau behauptet das Gegenteil und stellt zehntausende Soldaten an der Ostgrenze bereit, um die russischsprachige Bevölkerung im Nachbarland schützen zu können. Bezahlte Schläger, die mit Bussen aus Russland kommen, sorgen für eine Verschärfung der Lage.

Von Florian Hassel, Kiew

Auf dem Leninplatz in Donezk im Osten der Ukraine drehen gewöhnlich Spaziergänger und Kinder mit Tretautos friedlich ihre Runden. Seit kurzem aber ist er auch Schauplatz sowohl prorussischer als auch proukrainischer Kundgebungen. Am Donnerstagabend demonstrierten dort etwa 1000 Donezker unter der Losung "Für eine einige Ukraine".

Wie schon am 5. März mussten Dutzende Polizisten die Einheitsdemonstranten vor prorussischen Anhängern schützen. Und wieder waren unter den Prorussen neben normalen Donezker Bürgern offenbar etliche Tituschki, wie die Ukrainer muskelbepackte bezahlte Provokateure und Schläger nennen.

Nach Berichten ukrainischer und westlicher Reporter und Videos, wie sie etwa von der Ukrainskaja Pravda veröffentlicht wurden, stürzten sich die Tituschki mit Baseballschlägern und Eisenstangen auf die Einheitsanhänger. Dabei wurden mindestens 15 Demonstranten verletzt und der Sprecher der Donezker Abteilung der ukrainisch-nationalistischen Swoboda-Partei, der 21 Jahre alte Dmitrij Tschernjawskij, erstochen. In der Nacht auf Samstag waren zwei Menschen bei einer Schießerei zwischen prorussischen und proukrainischen Gruppierungen in Charkow getötet worden.

Russische Reisebusse bringen "Demonstranten" nach Donezk

Der Aktivist Witalij Umanez veröffentlichte am Freitag das Foto eines russischen Reisebusses mit Kennzeichen der Region Stawropol, der tags zuvor prorussische "Demonstranten" nach Donezk gebracht habe. Der Gouverneur der Donezk-Region, Sergej Taruta, bestätigte am Freitag, unter den prorussischen Angreifern seien "sehr viele Nicht-Ukrainer" gewesen. Die Polizei habe nach dem Tod Tschernjawsjijs Verdächtige identifiziert und einige Personen festgenommen.

Das russische Außenministerium drehte diese Darstellung kurzerhand um. Es führt damit eine Kampagne des Kremls fort, derzufolge russischsprachige Ukrainer angeblich an Leib und Leben bedroht seien. In Donezk seien "rechtsradikale Gruppierungen" über friedliche prorussische Demonstranten hergefallen, die "gegen die destruktive Position derjenigen Leute, die sich ukrainische Regierung nennen", protestiert hätten, erklärte das Ministerium am Freitag. Offensichtlich kontrolliere die Kiewer Regierung "die Situation im Land nicht".

Die Folge: "Russland erkennt seine Verantwortung für das Leben seiner Landsleute und Mitbürger in der Ukraine an und behält sich das Recht vor, die Menschen unter seinen Schutz zu nehmen."

Russland hat an der Grenze zur Ukraine nach Schätzungen in Kiew mehr als 80 000 Soldaten zusammengezogen. Das russische Verteidigungsministerium bestätigte Manöver in den Regionen Rostow, Belgorod, Tambow und Kursk. Amateurfilmer machten Aufnahmen von umfangreichen Transporten von Panzern und anderem Militärgerät in die Grenzregion.

"Keinerlei Anzeichen von Menschenrechtsverletzungen"

Ivan Šimonović, stellvertretender UN-Generalsekretär für Menschenrechte, recherchierte in der vergangenen Woche als UN-Sondergesandter die Lage speziell auch im Osten der Ukraine. "Wir haben keine Belege für systematisches oder verbreitetes Bedrängen der russischsprachigen Bevölkerung gefunden. Es gibt keinerlei Anzeichen von Menschenrechtsverletzungen in einem Ausmaß, die irgendwelche militärischen Maßnahmen rechtfertigen", kommentierte Šimonović die Erklärung des russischen Außenministeriums am Freitag in Kiew. Er bestätigte hingegen, dass auf der Krim mindestens fünf Menschen spurlos verschwunden sind, darunter die Pro-Maidan-Aktivisten Anatolij und Sergej Kowalskij, beides Gegner eines Anschlusses an Russland.

Kiew hätte einer russischen Invasion der Ostukraine militärisch wenig entgegenzusetzen. Auch auf der Krim kann die Übergangsregierung nur reagieren. Zwar hängt die Halbinsel bisher vom Rest der Ukraine ab. Kiew bezahlt nicht nur zwei Drittel des umgerechnet knapp eine Milliarde Euro umfassenden Haushaltes. Die Ukraine liefert der Krim auch zwei Drittel ihres Erdgases und sogar vier Fünftel ihres Wassers und Stroms. All das könne sich nach dem Referendum am Sonntag ändern, warnte Finanzminister Oleksandr Schlapak am 10. März.

Ukrainisch-orthodoxe Kirche fürchtet Übernahme durch Moskau

Diese Drohung dürfte die Krim-Regierung freilich wenig beeindrucken. Die Regierung in Kiew kann die Versorgung der Halbinsel nicht kappen, solange sie darauf besteht, dass die Krim zur Ukraine gehört und die dort lebenden Menschen ukrainische Bürger sind. Genau das bekräftigte Übergangspräsident Turtschinow am Mittwochabend. Der moskautreue Regierungschef der Krim hat bereits angeordnet, dass die Einwohner der Krim ihre Bankkonten nur noch ein Jahr garantiert in der ukrainischen Währung Hrywnja weiterführen können: Im Fall des Anschlusses an Russland wird auf der Krim der Rubel eingeführt.

Auch die ukrainisch-orthodoxe Kirche treibt die Sorge um, dass Moskau nach der Annexion die Russifizierung der Krim schnell vorantreibt. Die Kirche auf der Halbinsel werde nach dem Referendum direkt der russisch-orthodoxen Kirchenführung in Moskau unterstellt, sagte Patriarch Filaret in Kiew. Die ukrainisch-orthodoxe Kirche werde auf der Krim dagegen "komplett verboten", befürchtet das religiöse Oberhaupt.

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