Ukraine-Gipfel in Minsk:Vernunft statt ungehemmter Eskalation

Ukrainian servicemen launch Grad rockets towards pro-Russian separatist forces outside Debaltseve, eastern Ukraine

Ukrainische Soldaten feuern Granaten auf Stellungen der Separatisten ab. Wann würde eine Aufrüstungs-Eskalation wohl enden?

(Foto: REUTERS)

Das Treffen in Minsk kann über die europäische Friedensordnung der nächsten Jahrzehnte entscheiden. Für die Verhandlungen mit Putin braucht der Westen Druckmittel - Waffenlieferungen aber wären das falsche. Es gibt bessere Möglichkeiten, die Parteien zur Besinnung zu rufen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Die Verhandlungen um einen Waffenstillstand in der Ukraine sind in den letzten Tagen mit derart hohen Erwartungen aufgeladen worden, dass keine Kanzlerinnen-Nüchternheit zur Beruhigung der Gemüter helfen wird. Minsk oder nicht Minsk - dieser Mittwoch kann über die europäische Friedensordnung der nächsten Jahrzehnte entscheiden.

Gerade deshalb ist es wichtig, an die zentralen Interessen zu erinnern, die Russland, die Ukraine und der Westen verfolgen: Kiew geht es um die Integrität seines Staatsgebietes und die Handlungsfreiheit der Regierung. Das Land will frei sein. Russland geht es um die Einflusszone und damit um die Einschränkung genau dieser Handlungsfreiheit. Und der Westen will den Tabubruch Russlands ein für allemal brandmarken und der Ukraine zumindest so viel Spielraum verschaffen, dass die Regierung Luft zum Atmen und zum Überleben hat, wenn die Kämpfe erst einmal beendet sein könnten. Alles andere kann sich anschließend entwickeln.

Waffenlieferungen haben in diesem Szenario eine Bedeutung, aber nicht die entscheidende. Natürlich ist die glaubwürdige Androhung von unangenehmen Eskalationsschritten wichtig, wenn man die Parteien zur Besinnung rufen will. Aber das ist nur die oberflächliche Analyse. Tatsächlich gilt es die nächsten und übernächsten Schritte zu bedenken. Wann eigentlich würde eine Aufrüstungs-Eskalation enden? Und viel entscheidender: Lieferte man dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht das Argument, auf das er so lange gewartet hat?

Gibt es einen Ausweg, der die Interessen aller Seiten bedient?

Putins eigentliche Schwierigkeit wird zu wenig gewürdigt. Die versteckte Kriegsführung Russlands ist an eine Grenze gestoßen. Moskau kann nicht länger Männer und Gerät heimlich liefern und an der Mär der patriotischen Überläufer festhalten, die an jeder Straßenecke schwere Waffen einkaufen. Vielmehr wird Putin durch die Eskalation der Kämpfe aus dem Schatten gezogen. Soldatenmüttter und damit die bisher stille russische Zivilgesellschaft will wissen, wofür ihre Söhne sterben.

Eine strategisch unglaublich wichtige Landverbindung zwischen Mariupol und der Krim kann Moskau nur mit einer regulären Armee und vielen, vielen Soldaten besetzen und halten. Greift der Westen mit der Bewaffnung der ukrainischen Streitkräfte ein, dann liefert er Putin den Vorwand, seine Söldner-Truppe quasi zu legalisieren.

In Minsk wird also entschieden: Gibt es einen letzten Funken Rationalität und findet sich damit ein Ausweg, der die Interessen aller Seiten bedient? Oder gilt ab Donnerstag das Gesetz der ungehemmten Eskalation? Dem Westen ist der Preis bewusst, der dann zu zahlen sein wird: Spaltung, Streit, mehr Krieg, mehr Waffen. Putin muss der Preis immer wieder klar gemacht werden: Isolation, Sanktionen. Vier Vertraute mehr auf der Sanktionsliste beeindrucken da niemand. Es ist an der Zeit, dass über die eigentlichen Druckmittel geredet wird: die Isolation der großen Staatskonzerne und die Einbindung in das internationale Zahlungssystem Swift.

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