Private Flüchtlingsunterbringung:Und wer hilft den Helfern?

Private Flüchtlingsunterbringung: Wohin? Etwa eine Million Geflüchtete aus der Ukraine sind inzwischen in Deutschland registriert. Ein großer Teil ist privat untergekommen.

Wohin? Etwa eine Million Geflüchtete aus der Ukraine sind inzwischen in Deutschland registriert. Ein großer Teil ist privat untergekommen.

(Foto: Stefan Puchner/DPA)

Noch immer wohnen Tausende geflüchtete Ukrainer bei hilfsbereiten Deutschen. Mal sind Freundschaften entstanden, mal können sich Gast und Gastgeber kaum noch ertragen. Doch ein Problem herrscht überall: Die Helfer werden alleingelassen.

Von Nina von Hardenberg

Als die junge Ukrainerin schließlich ihre Koffer packte und in eine eigene Wohnung zog, fühlte es sich für die Gasteltern an, als würde das erste Kind flügge. "Wir standen mit nassen Augen auf der Straße", sagt Judith Glöckler-Wassermann. Die 21-jährige Bachelor-Studentin Tanja Melenych aus Kiew, die der Krieg in den thüringischen Ort Zella-Mehlis und dort in ein Kinderzimmer der Familie verschlagen hatte, war allen ans Herz gewachsen. Melenych war anpassungsfähig und rücksichtsvoll, verbrachte viel Zeit außer Haus. Sie suchte sich einen Job und lernte Deutsch, fand aber auch immer wieder Zeit, auf die Kinder aufzupassen, die sie liebten.

"Wir haben wirklich Glück mit ihr gehabt", sagt Judith Glöckler-Wassermann. Und trotzdem: Völlig unbekannte Menschen will sie nicht mehr aufnehmen. Sie kennt jetzt das Risiko.

Anfangs erhielt die Familie pauschal 100 Euro Wohngeld für ihren Gast. Doch im Juni änderte sich die Rechtslage. Gastgeber sollten nun Mietverträge mit den Geflüchteten abschließen. Das wollten die Glöckler-Wassermanns nicht. Das vorübergehend für sie freigeräumte Kinderzimmer sei ohnehin keine Bleibe von Dauer, teilten sie dem Landratsamt Schmalkalden-Meiningen mit und fragten nach anderen Unterkunftsmöglichkeiten. Zur Antwort schickte das Amt ein paar Adressen von Beratungsstellen und den ernüchternden Satz: "Sollte kein Wohnraum gefunden werden können, wäre die wirklich letzte Option die Obdachlosenunterkunft." Das fasst in wenigen Worten zusammen, was Gastgeberfamilien überall in Deutschland erleben: Mit der Frage, wie es für die von ihnen aufgenommenen Menschen weitergeht, sind sie komplett allein.

Für die Gesellschaft sind die Helfer ein unschätzbarer Wert

Russlands Angriff auf die Ukraine hat in Deutschland eine enorme Hilfsbereitschaft ausgelöst. Zu Tausenden boten Bürger eine Bleibe an. Allein die am Tag nach Kriegsausbruch gegründete, mittlerweile größte Vermittlungsplattform Unterkunft Ukraine erhielt in den ersten drei Wochen Angebote für 150 000 Zimmer. Auf dieser Basis konnte sie 55 000 Geflüchteten eine Unterkunft vorschlagen. In Bayern wiederum vermittelte die Initiative Münchner Freiwillige rund 9 200 Geflüchtete in privaten Wohnraum, bevor sie ihren Service Ende Juni mangels Angeboten einstellte.

Der russische Angriffskrieg hat also zunächst ein ganzes Heer neuer freiwilliger Integrationshelfer mobilisiert. Für die Gesellschaft ist das ein unschätzbarer Wert. Mehr als die Hälfte aller Gastfamilien hatte sich nie zuvor in der Asylhilfe engagiert, wie eine Umfrage des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim) ergeben hat. Viele seien "über sich hinausgewachsen, um Geflüchteten zu helfen", lobte auch Nancy Faeser. "Ich bin sehr stolz auf die Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft in unserem Land." Die Bundesinnenministerin weiß sehr genau, was sie an Freiwilligen hat, die Ankömmlinge unterbringen und ihnen bei Behördengängen helfen. So schnell und kostengünstig könnte der Staat das nie leisten. Ob das Lob der Politik reicht, um die neuen Helfer bei der Stange zu halten, ist aber mehr als fraglich. Immerhin: In der Dezim-Umfrage gaben 82 Prozent der Gastgeber an, positive Erfahrungen gemacht zu haben.

Aber sie beklagten sich auch über die erdrückende Bürokratie und den Mangel an Austausch und Unterstützung. Judith Glöckler-Wassermann fühlte sich von den Behörden regelrecht im Stich gelassen. "Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir beide berufstätig sind und uns nicht wirklich kümmern können", berichtet sie. Tanja Melenych in eine Obdachlosenunterkunft zu schicken, wäre natürlich nicht infrage gekommen, aber was war die Alternative? Zum Glück vermittelte ein Bekannter schließlich ein Zimmer für die junge Ukrainerin.

Private Flüchtlingsunterbringung: Tanja Melenych fand mit Hilfe ihrer Gasteltern im ländlichen Thüringen eine eigene Wohnung.

Tanja Melenych fand mit Hilfe ihrer Gasteltern im ländlichen Thüringen eine eigene Wohnung.

(Foto: privat)

Doch so glatt läuft es längst nicht überall. Tobias Arnold etwa, auch er ein Gastgeber, bekam irgendwann richtig Panik. Er und seine Frau hatten eine geflüchtete Mutter mit zwei Kindern aufgenommen und bald festgestellt, dass das Zusammenleben schwerer war als gedacht. Wohnungen in Berlin sind rar, aber nach drei Monaten und mithilfe von Freunden fanden die Arnolds für ihre Gäste ein Drei-Zimmer-Apartment in Alt-Moabit. Die Wohnung war aus Behördensicht etwas zu teuer, eine weitere Ukrainerin sollte mit einziehen. Ihr wurden die Kosten genehmigt, der Mutter und ihren Kindern aber nicht. "Sie werden nie eine Wohnung finden", dachte Arnold. Und: Das halten wir nicht mehr lange aus.

Dankbarkeit sollte man nicht erwarten, weiß Arnold

Zwischen ihren eigenen und den Gastkindern lief es von Anfang an nicht richtig gut. Der achtjährige Gastsohn verhielt sich abweisend, das dreijährige Mädchen quengelte viel. Die Mutter war nett und lustig, unternahm aber wenig, um die Situation zu verändern. Tobias Arnold und seine Frau, die Psychologin ist, wissen, dass man von Menschen in Not keine Dankbarkeit erwarten sollte. Aber von den involvierten Behörden hatte sich das Paar schon ein freundliches Entgegenkommen erhofft, schließlich ging es doch um ein gemeinsames Anliegen. Stattdessen verbrachten sie Tage am Telefon, sprachen mit zahlreichen Mitarbeitern, schlugen sich mit widersprüchlichen Auskünften herum. Alles ohne Erfolg. Die Lösung führten die Arnolds selbst herbei, indem sie den Vermieter beknieten. Erst, als der zum zweiten Mal mit der Miete runterging, stimmte das Jobcenter zu.

Nun, nach sieben Monaten, müssen die Gäste auf eigenen Beinen stehen, sagt Tobias Arnold. Dass sie so denken, finden er und seine Frau bitter. Eigentlich würden sie gern noch einmal Flüchtlinge aufnehmen, aber dafür müsse die Zusammenarbeit mit dem Staat konstruktiver ablaufen.

Klagen wie diese hört die Plattform Unterkunft Ukraine häufig. "Viele sind über ihre Gäste zum ersten Mal in Kontakt mit echter deutscher Bürokratie gekommen", sagt Projektleiterin Georgia Homann. Eine Familie aus Thüringen etwa, die eine geflüchtete Mutter mit zwei Kindern im Gästezimmer wohnen ließ, stellte dem Jobcenter nicht etwa die Miete in Rechnung, sondern lediglich Nebenkosten von monatlich 40 Euro. Zum Vergleich: Die staatlich organisierte Pro-Person-Unterbringung in Flüchtlingsunterkünften kostet mehrere Hundert Euro, in Bayern etwa 1050 Euro. Dennoch soll die Familie nun rückwirkend den Verbrauch ihrer drei Gäste auf den Euro genau nachweisen. Was in einem Haus mit nur einem Strom- und einem Wasserzähler bekanntlich unmöglich ist.

Solche Beispiele schrecken ab. Dabei wäre es fatal, wenn das enorme Engagement, dass diese Krise hervorgerufen hat, einfach wieder versanden würde, warnt Hannes Schammann. Der Professor für Migrationspolitik an der Universität Hildesheim empfiehlt, Ansprechpartner für private Wohnungsgeber in der Verwaltung zu etablieren - einen Unterbringungsbeauftragten in jedem Landkreis und jeder Stadt, der unkompliziert weiterhilft und auch die Helfer untereinander vernetzt. Man sehe ja, dass Kommunen, die noch Runde Tische von 2015 pflegten, auch den Zuzug aus der Ukraine besser bewältigen können.

Unterkunft Ukraine erlebt aber auch viele engagierte Mitarbeiter in Ministerien und Verwaltung. "Es passiert gerade irre viel", sagt Projektleiterin Homann. Das Bundesinnenministerium etwa habe die Vermittlungsplattform früh auf seiner Internetseite verlinkt. Auch um Vernetzung bemüht sich die Regierung: Über die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt und das Bündnis Alliance4Ukraine finanziert und verknüpft sie ehrenamtliche Ukraine-Helfer.

Aber reicht das? Georgia Homann von Unterkunft Ukraine schlägt vor, freiwillige Gastgeber in eine Art Vereinsstruktur einzubinden, ähnlich der freiwilligen Feuerwehr. Hilfsbereite Menschen könnten dann in unterschiedlichen Krisen Unterkunft anbieten, ob Geflüchteten oder Opfern von Naturkatastrophen - und hätten eine verlässliche Struktur an ihrer Seite.

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