Ukraine:Diplomatie der offenen Tür

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Die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung wünscht sich einen proeuropäischen Kurs ihrer Regierung

(Foto: AFP)

Der Westen hat unterschätzt, wie entschlossen Russland um die Ukraine kämpfen würde. Weil Präsident Janukowitsch kaum von seinem Kurs abrücken wird, sollte die EU jetzt vorsichtig vorgehen - und mit den ukrainischen Industriebossen reden.

Von Frank Nienhuysen

Es ist Tag der offenen Tür in Brüssel, und nicht nur dort. Die Europäische Union will der Ukraine die Tür offen halten, in der naiven Hoffnung, dass diese sich doch noch besinnt und das Assoziierungsabkommen unterzeichnet. Es ist aber auch Tag der offenen Tür in Russland, und Moskau macht sie weit auf, wenn an diesem Dienstag der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch anreist. Wie viel Drängen nun dabei ist und wie viel Locken: So intensiv ist auf beiden Seiten das Gezerre um die Ukraine geworden, dass schon sehr viel diplomatisches Geschick nötig ist, damit am Ende nicht für den einen der Triumph steht und dem anderen die Schmach bleibt.

So weit hätte es nicht kommen müssen, und natürlich hat der Westen auch Fehler gemacht. Er hat die Entschlossenheit in Russland unterschätzt, die Ukraine nicht so einfach ziehen zu lassen. Er hat vielleicht nicht detailliert genug in Euro, Rubel und Hrywnja durchgerechnet, wie teuer der EU-Kurs die Ukraine kurzfristig zu stehen kommt, wenn Moskau Ernst macht mit wirtschaftlichem Druck.

Kiew gilt in Moskau als Wiege des russischen Reiches, als Bruderstaat und heute als wichtiger Energiepartner, als Gasschleuse für den Markt Europa. Und doch ist aus der proeuropäischen Protestbewegung in Kiew kein Zorn zu hören auf die EU. Das hat vor allem damit zu tun, dass sie nicht etwa Brüssel, sondern ihren Präsidenten Janukowitsch als den wankelmütigen Faktor ausgemacht haben, der ihnen Europa verwehrt. Und es ist unwahrscheinlich, dass dieser sich noch einmal wendet und doch Russland den Rücken zuwendet.

Mit Opposition und Industriebossen reden

Die EU muss jetzt vorsichtig vorgehen. Sie muss das Angebot an Kiew aufrechterhalten, im Gespräch bleiben, wenngleich sie Janukowitsch zu einer Unterschrift wohl nicht mehr bewegen wird. Aber die Zeit läuft gegen ihn. Die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung hat in Umfragen ihren Wunsch auf einen Europa-Kurs deutlich gemacht, die Massenproteste übertragen diese Stimmung nun auf die Straße.

Diese Menschen darf die EU so wenig enttäuschen, wie sie die Führung in Kiew panisch bedrängen sollte. Die Ukraine steht keinesfalls kurz davor, der von Russland dominierten Zollunion beizutreten. Diese Zeit sollte die EU nutzen, um in der ukrainischen Opposition für einen Dialog mit den Machthabern zu werben, die sie spätestens in mehr als einem Jahr beerben könnte. Und um den mächtigen ukrainischen Industriebossen zu zeigen, welche Chancen der europäische Markt bietet.

Wenn die Ukraine frei wählen kann, wird sie sich langfristig wohl ohnehin für Europa entscheiden. Denn ihr Nachbar Polen, der die Ukraine seit dem EU-Beitritt wirtschaftlich weit abgehängt hat, ist als Beispiel greifbar nah. Gefordert ist aber auch die ukrainische Opposition, wenn sie den Weg nach Westen entschlossen gehen will. Denn schon einmal gab es eine europafreundliche Führung, unter Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko. Sie zerstritten sich an der Macht - und verhalfen so Janukowitsch genau dorthin zurück.

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