Ukraine:Déjà-vu

Vor zwei Jahren ging vom Maidan in Kiew aus das Signal um die Welt: Die Ukraine muss sich verändern. Doch heute herrscht vielerorts Ernüchterung. Der Wandel des Landes, vom Westen herbeigesehnt, kommt kaum voran. Warum?

Von Cathrin Kahlweit

Zwei Jahre nach dem Beginn des Maidan-Aufstandes ist die To-do-Liste der ukrainischen Regierung noch immer elend lang, und sie wird mit der Bewältigung der Kriegsfolgen und der katastrophalen Beziehungen zu Russland nicht kürzer. Sonst würde vielleicht stärker auffallen, dass es vor allem zwei Kraftakte sind, die Brüssel und Washington öffentlich und regelmäßig von Kiew einfordern: endlich die überfällige Justizreform in die Wege zu leiten und endlich die Korruption effektiv zu bekämpfen.

Falls da jemand ein Déjà-vu hat: genau. Weg mit der politischen Justiz und Schluss mit der Korruption - das waren, neben der Freilassung von Julia Timoschenko, im Kern auch genau die beiden Schlüsselforderungen, welche die EU einst wie ein Mantra an den früheren ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch richtete. Justiz, Korruption, Julia - wenn das nicht erledigt sei, dann werde es das Assoziierungsabkommen nicht geben.

Es kam bekanntlich anders. Janukowitsch beugte sich einem fetten Kredit und massivem Druck aus Moskau, der noch verstärkt wurde durch den Druck einheimischer Oligarchen, die im Falle einer ökonomischen Westöffnung ihre Felle davonschwimmen sahen. Und die EU, die ihre eigenen Bedingungen bis zur Unkenntlichkeit verwässert hatte, war, zumindest für eine kurze Weile, unter den Verlierern.

Nun soll das Freihandelsabkommen, mit einiger Verspätung, Anfang 2o16 in Kraft treten. Aber Kiew hat seine Hausaufgaben nur zum Teil erledigt, und die westlichen Partner der Ukraine erhöhen den Druck. Der US-Botschafter hält flammende, ziemlich undiplomatische Reden über die politischen Versäumnisse der Regierung von Arsenij Jazenjuk, die Washington aus Mangel an Alternativen noch immer stützt. Und in den westeuropäischen Hauptstädten wächst die Sorge über eine neue Verhärtung im Verhältnis zu Moskau, die, allen Scheinerfolgen in den Minsker Verhandlungen zum Trotz, eine neue Spirale der Gewalt im Donbass in Gang setzen und damit auch die Ost-West-Beziehungen zusätzlich belasten könnte.

Der Wandel des Landes kommt kaum voran. Warum?

Was ist also los in der Ukraine? Warum fallen die Mächtigen hinter ihre eigenen Versprechen zurück? Der Präsident stemmt sich gegen eine grundlegende Justizreform. Die Lustration (die Entfernung korrupter Beamter und Politiker aus dem Staatsapparat) scheitert an einer selektiven Anwendung des Gesetzes, weil Abhängigkeiten und Nepotismus weiter dominieren. Die Korruptionsbekämpfung ist auf ein halbes Dutzend Ämter und Agenturen verteilt, aber die Ämterbesetzung unterliegt eher der Frage, wer wem politisch nützt, als der, was faktisch nützlich ist.

Der strukturelle Wandel, den das Land zwei Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit so dringend nötig hat, kommt nicht voran. Stattdessen haben sich die Machtverhältnisse verschoben. Anstelle eines oligarchischen Zentrums unter dem Dach einer Regierungspartei, in dem sich einst unter einem raffgierigen Präsidenten die wichtigsten Oligarchen versammelt hatten, existieren nun, zwei Jahre nach dem Maidan, nebeneinander mehrere mächtige regionale Eliten, die sich in konkurrierenden Parteien gegenüberstehen. Dieser "subnationale Autoritarismus", wie Experten die Entwicklung nennen, hat zum einen den unkontrollierten Einfluss Moskaus auf Regionen der Ostukraine zur Folge, zum anderen drohen wieder Kämpfe um Märkte und Macht, wie sie die 90er-Jahre geprägt haben.

Immerhin, es gibt zwei Gegenbewegungen, die den Wandel forcieren könnten: die Opposition, die sich in einer starken, außerparlamentarischen Bewegung formiert. Und das Assoziierungsabkommen, das, so es wirklich kommt, eine neue Dynamik freisetzen könnte. Dass sich der Wandel aber friedlich vollzieht, ist nicht gesagt.

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