Überwachung von Angela Merkel:Warum eine Anklage wegen Spionage schwierig wäre

Wenn das Handy von Kanzlerin Merkel tatsächlich abgehört wurde, wäre das ein Verstoß gegen Paragraf 99 - und damit klassische Spionage. Ob am Ende deswegen jemand vor Gericht steht, ist fraglich, auch weil die Ermittler von Behörden, Ministerien oder dem arglosen Verfassungsschutz kaum Hilfe erwarten dürfen.

Von Hans Leyendecker

Auch Bundesanwälte lesen die Zeitung, um Neues zu erfahren, und manchmal wächst, nach einigen Nachforschungen, aus dem Stoff ein Ermittlungsverfahren. Vorige Woche meldeten die Medien, die Kanzlerin Angela Merkel sei jahrelang von amerikanischen Nachrichtendiensten abgehört worden. Die Regierungschefin habe sich beim US-Präsidenten beschwert. Klassische Spionage also - und für solche Ermittlungen ist der Karlsruher Generalbundesanwalt (GBA) zuständig.

Strafrechtlich in Betracht kommt vor allem Paragraf 99 des Strafgesetzbuches, der geheimdienstliche Agententätigkeit zulasten der Bundesrepublik Deutschland betrifft. Aber ob aus den Meldungen wirklich ein Ermittlungsverfahren wird und ob am Ende möglicherweise sogar einer der Abhörer oder Auftraggeber als Agent einer fremden Macht angeklagt werden kann, ist sehr ungewiss. Die Ungewissheit hat mit dem Metier und mit dem Stoff zu tun.

Für einen Anfangsverdacht braucht es, wie sechs Millionen Strafverfahren im Jahr zeigen, normalerweise nicht viel, aber der Weg zu einem solchen Verfahren in Karlsruhe ist viel komplizierter: "Was in der Zeitung steht, beweist nur, dass es in der Zeitung steht", spotten die Karlsruher in solchen Fällen gern. Sie haben in diesen Tagen die deutschen Nachrichtendienste, die zuständigen Ministerien und auch das Bundeskanzleramt um Auskünfte im Fall Merkel gebeten. Alle verfügbaren Erkenntnisse über die Horchaktivitäten der US-Dienste, so die Bitte, sollen Karlsruhe gemeldet werden.

Nicht Gegner, sonder alliierter Partner

Bereits Ende Juni, als es vor allem um die massenhafte Ausspähung von Millionen Menschen durch amerikanische und britische Dienste ging, hatte Karlsruhe eine Art Vorprüfung eingeleitet und die Ministerien und Dienste um Auskunft gebeten. Das Ergebnis soll erwartungsgemäß gewesen sein. Nichts Aufregendes.

Das ist einerseits nachvollziehbar und andererseits ziemlich merkwürdig. Für Spionageabwehr ist das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zuständig. Aber diese Behörde betrachtete die amerikanischen Dienste nicht als potenziellen Gegner, sondern traditionell als alliierten Partner, mit dem man eng zusammenarbeitet. Außerdem, so erklärten BfV-Obere gern, dürften die alliierten Partner in Deutschland ohne Zustimmung der deutschen Dienste keine Informationen sammeln. Die für die Ausforschung solcher Angelegenheiten eigentlich zuständigen Nachrichtendienstler waren argloser als die Bürger, die alles für möglich halten.

Vom BfV ist also außer der Forderung nach mehr Personal, moderneren Computern und besseren technischen Möglichkeiten zur Überwachung nicht viel zu erwarten. Gleiches gilt für das Bundesinnenministerium: "Wenn wir jemanden ausfindig machen, der an dieser Abhöraktion beteiligt war, dann wird er zur Rechenschaft gezogen", hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Montag einem Fernsehsender erklärt. Vom Auswärtigen Amt und den anderen Ministerien ist auch nicht viel zu erwarten. Gewöhnlich erklären sie bei möglichen Rechtsverstößen amerikanischer Agenten, sie verfügten leider nur über Zeitungswissen und könnten nicht helfen.

Funkaufklärung der NSA interessierte sich für Merkel

Ein bisschen Amtshilfe könnte im Fall Merkel das Kanzleramt leisten. Immerhin hat die Regierungszentrale vom Magazin Spiegel ein Dokument erhalten, das den Beginn der Abhöraffäre im Jahr 2002 belegt und den Schluss zulässt, dass die Aktion bis 2013 dauerte. Wer das Dokument studiert, erfährt, dass sich die Funkaufklärung der NSA für die deutsche Kanzlerin interessierte und dass der Abhörvorgang noch 2013 lief. Kürzel weisen darauf hin, dass der Spezialdienst "Special Collection Service" (SCS) dahintersteckt, das ist eine Sondereinheit von NSA und CIA. Dieses Papier, das in Berlin kursiert, wird Karlsruhe sicherlich in nächster Zeit auf Amtswegen bekommen.

Reicht es dann für einen Anfangsverdacht? Hilfe könnte möglicherweise der Whistleblower Edward Snowden leisten. Er könnte vernommen werden, als eine Art Kronzeuge vielleicht. Aber es müsste erst mal ein Ermittlungsverfahren laufen. Und da sind noch die Verteiler des Snowdenschen Schatzes, die Medien weltweit mit Stoff versorgen. Snowden selbst lebt in Moskau im Exil und verfügt nicht mehr über die Unterlagen. Journalisten aber stellen normalerweise kein Material für Ermittlungen zur Verfügung.

Bleibt der mögliche Tatort, die US-Botschaft in Berlin. Eine Hausdurchsuchung kann es dort nicht geben. Auch die Mitarbeiter des SCS - wenn sie es waren, die Merkel belauschten - haben Diplomatenstatus. Spätestens nach den ersten Veröffentlichungen werden sie Berlin verlassen haben. Es ist kein einfacher Fall für den GBA.

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