Überschwemmte Millionenmetropole:Sintflut am Golf

Mit einer solchen Katastrophe hatte keiner gerechnet. Der Regen will einfach nicht aufhören, die Wasserpegel steigen weiter. Eine der wichtigsten Wirtschaftsregionen der USA ist lahmgelegt.

Von Sacha Batthyany

Beten werde er, beten, dass der Regen endlich aufhöre. Mit diesem Satz beendete Greg Abbott, der gottesfürchtige Gouverneur von Texas, seine Pressekonferenz. Doch die Wetteraussichten für die kommenden Tage sehen schlecht aus, da werden die Worte gen Himmel wohl wenig ausrichten. Nach jüngsten Vorhersagen ist bis Freitag mit heftigen Niederschlägen zu rechnen, hieß es auf allen Fernsehkanälen, die Bilder der graubraunen Wassermassen, welche den Süden von Texas überfluten, in einer Endlosschleife zeigen. Erwartet wird, dass stellenweise bis zu 127 Zentimeter Regen fallen. Die Zustände seien "schlecht und werden immer schlimmer", sagte Gouverneur Abbott. Eine solche Sintflut gab es hier, in einer an Wetterunbill durchaus gewöhnten Region, noch nie.

Besonders betroffen im Moment ist die texanische Metropole Houston - die viertgrößte Stadt der USA, und noch dazu eine der wirtschaftlichen Metropolen des Landes, versinkt im Wasser. Geht buchstäblich unter. Einzelne Vororte im Südwesten wurden bereits evakuiert, für weite Teile Houstons wurde der Springflut-Notstand ausgerufen - die höchste Alarmstufe bei Überschwemmungen. "Die Ereignisse sind beispiellos", bestätigte der nationale Wetterdienst, binnen 24 Stunden fielen hier 60 Zentimeter Regen - und der Wasserpegel steigt weiter. Deiche entlang des Brazos-River könnten überflutet werden und möglicherweise brechen, heißt es. Die Schulen sind bereits geschlossen, der Flugverkehr ist eingestellt. Innerhalb der vergangenen 15 Stunden wurden in Houston 56 000 Notrufe registriert, den Einwohnern wurde geraten, sich auf die Dächer ihrer Häuser zu retten und auf Hilfe aus der Luft zu warten.

Und es hört nicht auf: Laut Wettervorhersagen wird sich der Sturm Harvey wieder etwas zurück in den Golf von Mexiko verlagern, nur um sich dann erneut über Houston zu entladen. 450 000 Menschen seien bereits vom Sturm direkt betroffen, sagte der Bürgermeister von Houston, Sylvester Turner. Das Wort "Katastrophe" beschreibe nicht annähernd, "was wir hier erleiden müssen".

Ist in Houston zu wenig zum Schutz vor Hochwassern getan worden?

Derweil suchen in den sozialen Medien immer mehr Menschen nach ihren Verwandten, nach Nachbarn. Oder auch nach Haustieren. Sie bitten um Hilfe, posten Bilder überfluteter Altersheime und eingestürzter Häuser. Andere rufen dazu auf, sich in Gummibooten auf die Suche nach Vermissten zu machen und die Sache, typisch für Texaner, "selbst in die Hand zu nehmen". Auch wurde bereits erste Kritik laut. Die Behörden hätten zu lange gewartet und untätig zugesehen, wie der Wasserpegel ansteige. "Wieso wurde die Stadt nicht früher evakuiert?", heißt es in verschiedenen Medien, die Katastrophe in Houston wird mit den Überschwemmungen in New Orleans und den Folgen des Hurrikans Katrina im Jahr 2005 verglichen, dem bisher folgenreichsten Wirbelsturm.

Zumal es sich bereits um das dritte größere Hochwasser handelt, das die Region um Houston trifft. "Dass sich die Stadt gegen Hochwasser wappnen muss, ist seit Längerem auch den Behörden klar, nur wurde nichts unternommen", heißt es in der Washington Post. Sylvester Turner, der Bürgermeister, verteidigte dagegen seine Entscheidung, die Stadt nicht zu räumen. "Man kann zwei Millionen Einwohner nicht einfach über Nacht evakuieren", sagte Turner, das hätte zu Chaos geführt. Sie hätten verschiedene "Modelle" durchrechnen lassen und seien mit Meteorologen zur Überzeugung gelangt, die Menschen in ihren Häusern zu belassen. Auch wenn die Behörden vom Ausmaß überrascht sein mögen - dass eine Katastrophe droht, wussten sie: Auf Ersuchen des Gouverneurs hatte US-Präsident Donald Trump bereits am Freitag für Teile von Südtexas den Notstand ausgerufen.

Am Montag sagte er den Betroffenen rasche Hilfe der Regierung zu. Sie würden "100 Prozent" Unterstützung erhalten, so Trump.

Die Flutkatastrophe in Houston ist direkte Folge von Hurrikan Harvey, der am Freitag bei Rockport auf die texanische Küste am Golf von Mexiko gestoßen war. Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 240 Kilometern pro Stunde gilt Harvey als stärkster Hurrikan seit Katrina vor zwölf Jahren, wie CNN berichtet. In den betroffenen Küstenstädten wie Rockport, Corpus Christi oder Victoria sind mehr als 220 000 Menschen ohne Stromversorgung.

Teile des Küstengebiets werden wohl für Monate unbewohnbar bleiben

Der Sturm hat sich zwar deutlich abgeschwächt, doch die sintflutartigen Regenschauer lassen einfach nicht nach. "Einige Gebiete im Süden von Texas werden für Monate unbewohnbar bleiben", sagte Brock Long, der Leiter der US-Katastrophenschutzbehörde Fema, voraus. Die Zahl der Todesopfer ist indes bis jetzt erstaunlich gering. Drei Menschen, die dem Sturm zum Opfer gefallen sind, bestätigte Long bisher. Allerdings dürfte die Zahl sich in den kommenden Tagen erhöhen. Auch das verschmutzte Trinkwasser könnte zum Problem werden. Die Behörden riefen die Bevölkerung auf, Trinkwasser abzukochen.

Die Schäden durch Hurrikan Harvey dürften "in die Milliarden" gehen, prophezeite Gouverneur Abbott. Die Überflutungen in Houston treffen nicht nur Hunderttausende Menschen und Kleinbetriebe, sondern haben das Zentrum der amerikanischen Öl- und Gasindustrie fürs Erste lahmgelegt. Houston gilt als Energiehauptstadt Amerikas. Viele Raffinerien befinden sich entlang des Schiffskanals, der die Stadt mit dem Golf von Mexiko verbindet. Knapp ein Fünftel des in den USA geförderten Öls wird hier verarbeitet. Der Flusshafen in Houston ist der größte der Golfregion und der sechstgrößte Hafen der USA.

Flutschäden sind für Industrieanlagen besonders verheerend, weil das Salzwasser nachhaltige Schäden verursacht. Mehrere Raffinerien mussten bereits vorübergehend geschlossen werden, darunter die Anlagen des Energiekonzerns Exxon Mobile in Baytown, es ist die zweitgrößte der USA. Gemäß Experten wird sich die vorübergehende Stilllegung der Raffinerien auf die Benzin- und Gaspreise auswirken. Experten halten einen Benzinpreisanstieg von bis zu 25 Cent pro Gallone für möglich - die erste deutliche Erhöhung seit Langem.

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