Übernahme:Testfahrt durch Pforzheim

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Gegen den Willen einer Stadt übernimmt die Bahn deren Busnetz. Die Folgen betreffen nicht nur viele Beschäftigte.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Gert Hager, seit 2009 Oberbürgermeister der Stadt Pforzheim, fährt gern mit dem Bus ins Rathaus. Das war viele Jahre lang die Gelegenheit für einen schönen Plausch am Morgen. Die Busfahrer kennen ihn, er kennt die Busfahrer. In den vergangenen Monaten jedoch herrschte Funkstille. Die Fahrer wussten, sie würden ihren Arbeitsplatz verlieren und fühlten sich im Stich gelassen - von ihm, dem OB, obwohl er sich doch gänzlich unschuldig fühlt.

Hager hat sein Sakko ausgezogen und schaut durch das Bürofenster hinaus auf Pforzheim, eine Mischung aus Müdigkeit und Zynismus im Blick. Turbulente Zeiten liegen hinter ihm und der 120 000-Einwohner-Stadt am Nordrand des Schwarzwalds. Streiks, ein Machtkampf mit der Gewerkschaft Verdi, Unfrieden in der Bürgerschaft. In Pforzheim wurden exemplarisch die Folgen eines Gesetzes vermessen, das es privaten Anbietern ermöglicht, auslaufende Bus-Konzessionen schon vor der Ausschreibung auch gegen den Willen der Stadt zu übernehmen, solange sie keine Zuschüsse verlangen.

Soviel vorweg: Hager, ein SPD-Mann, plädiert dafür, das Personenbeförderungsgesetz zu ändern. Kommunen würden Hoheitsrechte und eine große Tradition verlieren. Pforzheim wollte den Verkehr weiter gemeinsam mit einem privaten Partner betreiben, dann grätschte die Bahn dazwischen. Zweimal hat Hager mit Bahn-Chef Rüdiger Grube telefoniert, zweimal erhielt er die Antwort: Ja, es ist ihm ernst. Die Bahn sucht neue Geschäftsfelder. Am 10. Dezember stellt "Stadtverkehr Pforzheim" (SVP) deshalb den Betrieb ein und wird liquidiert, rund 240 Arbeitsplätze gehen verloren. Damit endet eine mehr als hundertjährige Geschichte.

"Es geht gegen mein Gefühl, wenn nur noch private Busse in Pforzheim fahren", sagt Hager. Anderseits glaubt er, es reiche vielen in der Stadt mit dem Abschiedsschmerz. "Immer häufiger sagen mir Leute, sie sind froh, wenn am 11. Dezember die RVS einzieht." RVS, das ist die Bahntochter Regionalbus Verkehr Südwest.

Auf dem Höhepunkt der Pforzheimer Bus-Krise ließen Fahrer ihr Vehikel auf der Straße stehen, um den Ersatzverkehr zu blockieren, den die Stadt organisierte. Mit allen Mitteln wollte Verdi im Präzedenzfall Pforzheim für die Angestellten bessere Bedingungen herausholen. SVP bringt fünf Millionen Euro für Abfindungen auf, mehr hat die eigenständige Gesellschaft nicht. Verdi verlangte, die Stadt solle unabhängig von der Rechtslage einen zweistelligen Millionenbetrag zuschießen, schließlich sei sie alleinige SVP-Eigentümerin. Zudem spare Pforzheim viel Geld durch den Vertrag mit der Bahn. Mit Zuschüssen von sieben Millionen jährlich hatte die Stadt kalkuliert, falls der SVP den Betrieb allein weitergeführt hätte.

Mittlerweile sieht sich Verdi mit einer Schadenersatzklage über eine Million konfrontiert, weil ihre Streiks aus Sicht des SVP rechtswidrig waren. Fast alle Beschäftigten haben die Abfindungen angenommen, manche gehen in Rente, andere haben neue Jobs gefunden, etliche auch bei der Bahn-Tochter RVS, allerdings zu einem deutlich geringeren Gehalt. Die Bahn könnte den Busbetrieb wohl nicht eigenwirtschaftlich führen, würde sie ihre Fahrer auf altem Pforzheim-Niveau bezahlen.

Der Verdi-Mann weiß, "dass die Leute nicht mehr die Kraft hatten, weiterzukämpfen"

"Ich kann verstehen, dass die Leute nicht mehr die Kraft hatten, weiterzukämpfen", sagt Martin Gross, designierter Chef von Verdi Baden-Württemberg. "Sie haben gesehen, wie ihr Arbeitgeber zugrunde geht und deshalb den Spatz in der Hand genommen." Im Übrigen könne man fast den Eindruck gewinnen, die Stadt habe den Busbetrieb loswerden wollen, zumal, wenn man die Ausschreibung sehe: keine Sozialstandards, keine Tarifbindung sei festgeschrieben worden. OB Hager, selbst ein Mitglied von Verdi, widerspricht: Wenn sich ein Anbieter auf die Vorab-Bekanntmachung hin melde, würden Sozialstandards keine Rolle spielen.

Bleibt die Frage, ob ein Oberbürgermeister nicht doch eine moralische Verpflichtung gegenüber den Leuten spürt, die ihn jahrelang zur Arbeit fuhren. Heikles Thema. Die Stadt müsse drastisch sparen, sagt Hager, sie habe kein Geld, um den Busfahrern finanziell zu helfen. Er verweist auf ein Haushaltsdefizit von 50 Millionen jährlich, das fast zur Hälfte von gestiegenen Sozialkosten für Zuwanderer herrühre, vor allem Südosteuropäer und Jesiden. Hager spricht ganz offen darüber. Schließlich ist Pforzheim nicht nur mit dem Bus-Streik in die Schlagzeilen geraten, sondern auch mit der Landtagswahl 2016: Die AfD gewann hier ein Direktmandat.

Wie es nun weitergeht mit den Bussen in Pforzheim? Hager wird häufig gefragt, ob die Bahn die Fahrpreise erhöhen kann - könne sie nicht. Ebenso wenig sei sie befugt, den Fahrplan auszudünnen. Und sollte sie Schrottbusse schicken, drohten ihr massive Sanktionen. Schwieriger wird es, neue Routen oder Fahrpläne zu vereinbaren. Die Kommune verliert also Einfluss auf die Stadtentwicklung. Andererseits steht die Bahn unter Druck, sich auf ihrem neuen Geschäftsfeld zu bewähren. Bislang, sagt Hager, verlaufe die Zusammenarbeit reibungslos.

© SZ vom 25.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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