Übergriffe in Köln:Nach Köln: Viele Forderungen, wenig Realitätssinn

Mehr Abschiebungen, mehr Vorratsdaten: Nach Köln überbieten sich Regierungspolitiker mit Vorschlägen. Was gefordert wird. Und woran es scheitern könnte.

Von Marc Bädorf, Simon Hurtz und Gianna Niewel

Leichtere Abschiebung

Es gibt bereits ein System aus Paragrafen und Verordnungen, das es ermöglicht, straffälligen Flüchtlingen ihre rechtliche Anerkennung zu entziehen oder den Antrag von Asylbewerbern abzulehnen. Voraussetzung hierfür ist die Prognose, dass der Straftäter auch in Zukunft eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) einigten sich darauf, dieses Ausländerrecht zu verschärfen. Kriminelle Ausländer sollen demnach leichter als bisher ausgewiesen werden können, wenn sie wegen sexueller Übergriffe und anderen Straftaten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden. Ausweisungen soll es nun etwa schon bei Bewährungsstrafen geben.

Das heißt allerdings auch in Zukunft nicht unbedingt, dass der Asylbewerber das Land verlassen muss. Denn wenn ihm in seiner Heimat Folter oder unmenschliche Behandlung drohen, gilt ein Abschiebeverbot nach Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Auf dieses Verbot können sich auch straffällig gewordene Flüchtlinge berufen.

Haft im Heimatland

Sollte ein Täter zu einer Haftstrafe verurteilt werden, will Gabriel, dass er sie im Heimatland absitzen muss. "Warum sollen deutsche Steuerzahler ausländischen Kriminellen die Haftzeit bezahlen?", fragte er in der Bild.

Die Hürden: Die deutsche Justiz muss zunächst einmal prüfen, ob die von Gabriel geforderte "Haft im Heimatland" rechtlich überhaupt umsetzbar ist. Ein Verurteilter kann nur dann die Haftstrafe in einem anderen Land absitzen, wenn er dort auch normalerweise lebt. Zudem muss das jeweilige Herkunftsland den Straftäter zurücknehmen.

Zumindest hierfür hat Gabriel schon einen Vorschlag: "Wenn Staaten etwa aus Afrika sich weigern, abgeurteilte und abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen, dann werden wir diese Staaten vor die Wahl stellen: Entweder ihr stellt euch der Verantwortung für eure Bürger oder wir kürzen euch die Entwicklungshilfe. Wer straffällige Asylbewerber schützt, hat keinen Anspruch auf deutsches Steuergeld."

Allerdings gilt ebenso wie beim vorherigen Punkt auch das Abschiebeverbot.

Residenzpflicht

SPD-Chef Sigmar Gabriel will mit Zustimmung von Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) nun auch anerkannten Flüchtlingen vorschreiben, wo sie zu wohnen haben. Im ARD-"Bericht aus Berlin" warnte der Vizekanzler vor "Ghettoproblemen": "Sonst ziehen die Menschen - auch die anerkannten Asylbewerber - alle in die Großstädte." Bislang gilt die Residenzpflicht nur für Asylbewerber, die noch nicht anerkannt wurden, sowie für Straftäter.

Was Gabriel fordert, widerspricht allerdings Artikel 26 der Genfer Flüchtlingskonvention. Demzufolge haben anerkannte Flüchtlinge das Recht, ihren "Aufenthalt zu wählen". Das Bundesverwaltungsgericht hatte daher bereits 2008 geurteilt, dass verschärfte Wohnsitzauflagen nur mit eng gezogener Begründung erteilt werden dürfen.

Mehr Daten auf Vorrat speichern

Sicherheitspolitiker von Union und SPD besitzen einen zuverlässigen Reflex: Wenn irgendwo ein Anschlag passiert, dauert es keine zwei Tage, bis jemand nach der Vorratsdatenspeicherung ruft - aller Skepsis zum Trotz.

Die Rufe fanden nun Gehör: Das entsprechende Gesetz ist vor einem Monat in Kraft getreten; damit wurden die Grundlagen gelegt, dass in Deutschland wieder alle Verbindungsdaten auf Vorrat gespeichert werden. Doch der Union reicht das nicht. Die CSU hat dem bayerischen Verfassungsschutz erlaubt, auch auf Telefonverbindungs- und Internetdaten zuzugreifen. Am Wochenende beschloss der Bundesvorstand der CDU die Mainzer Erklärung, in der Vergleichbares auf Bundesebene gefordert wird.

Kaum war die Schwesterpartei nachgezogen, legte die CSU erneut vor. Bayerns Justizminister Winfried Bausback verlangte angesichts der Eskalation in Köln und Hamburg, "dass wir uns mit digitaler Spurensicherung in Hinblick auf Textkommunikation nochmal intensiv auseinandersetzen". Angeblich könnten Ermittler solche Vorfälle besser aufklären, wenn sie auch auf Daten aus sozialen Netzwerken zugreifen dürften.

Ob er damit nur die Metadaten oder auch die Inhalte der Kommunikation meinte, ist unklar - klar ist aber, dass bereits gegen den aktuellen Entwurf Verfassungsbeschwerden eingereicht wurden. Und dass die Forderung sogar in der eigenen Partei umstritten ist. Die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär reagierte prompt:

Weitere sichere Herkunftsstaaten

Die bayerische Staatsregierung fordert, die Liste der sicheren Herkunftsländer zu erweitern. Gemeint sind unter anderem: Algerien, Armenien Bangladesch, Benin, Gambia, Georgien, Indien, Mali, Mongolei, Nigeria, Moldau und die Ukraine. Hinzu sollen auch Tunesien und Marokko kommen.

Gilt ein Land als sicherer Herkunftsstaat, können die Asylverfahren von Bewerbern von dort deutlich schneller bearbeitet werden. Im Zweifel können die Menschen auch schneller abgeschoben werden. Hierdurch würde Asylbewerbern "ein wesentlicher Anreiz für einen Zuzug nach Deutschland genommen", sagte Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU).

Ein Land wird dann als sicherer Herkunftsstaat eingestuft, wenn davon auszugehen ist, dass dort niemand politisch verfolgt wird, dass niemand unmenschlich behandelt oder gefoltert wird. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International lehnen dieses Konzept grundsätzlich ab. Für Marokko etwa hat die Menschenrechtsorganisation Berichte von Folter durch Sicherheitskräfte gesammelt.

Auch die bereits erfolgte Einstufung von Albanien, Montenegro und Kosovo als sichere Herkunftsländer war lange Zeit umstritten. Hilfsorganisationen kritisierten, die Kriterien, ab wann ein Staat als sicher eingestuft wird, seien generell unklar; ebenso könne man keine verlässliche Prognose treffen, wie sich die Länder in Zukunft entwickeln. Im Herbst einigten sich Bundesrat und Bundestag dennoch, die Balkanstaaten als sicher einzuordnen.

Einsatz der Bundeswehr im Inneren

Offensichtlich war die Kölner Polizei in der Silvester-Nacht überfordert. Das bringt Finanzminister Wolfgang Schäuble dazu, die Möglichkeit für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu fordern.

"Wir werden uns mit der Frage befassen müssen, warum praktisch alle anderen Länder in Europa unter klaren rechtlichen Regelungen zur Unterstützung der Polizei auf ihre Streitkräfte zurückgreifen dürfen - und wir nicht", sagte Schäuble, der schon nach den Anschlägen in Paris im November laut über einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren nachgedacht hatte.

Die rechtlichen Hürden für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren aber sind hoch. Im Grundgesetz sind die Aufgaben von Militär und Polizei - auch wegen der Erfahrungen aus der NS-Zeit - strikt getrennt. So besagt etwa Artikel 87a Absatz 2 des Grundgesetzes: "Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt."

In den Notstandsgesetzen wurden 1968 zwei Möglichkeiten zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren ins Grundgesetz hinzugefügt: Die Katastrophenhilfe und der Innere Notstand.

Für die Flüchtlingskrise reichen beide Artikel als Rechtsgrundlage nicht aus. Nach Artikel 35 Absatz 1 GG können sich Bund und Länder jedoch untereinander Amtshilfe leisten, was die Bundeswehr im Moment zum Beispiel mit dem Aufbau von Flüchtlingsunterkünften macht. Sie darf aber keine polizeilichen Aufgaben wie die Grenzbewachung oder Passkontrolle oder den Schutz dieser Flüchtlingsunterkünfte übernehmen.

Damit die Bundeswehr also Aufgaben der Polizei übernehmen dürfte, müsste die Verfassung geändert werden.

Verpflichtung auf deutsche Grundwerte

Schon länger plant die CDU eine Verpflichtung der Migranten zur Integration. Es helfe nicht, "Flüchtlingen bei Einreise ein Grundgesetz in die Hand zu drücken", sagte etwa rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner.

Die CSU geht noch weiter: Sie will Zuwanderer im Freistaat nun sogar durch eine Verfassungsänderung zur Achtung deutscher Grundwerte verpflichten, also per Gesetz. Das sagte Fraktionschef Thomas Kreuzer zum Auftakt der Winterklausur diesen Montag. Bei der "Leitkultur" geht es, einfach gesagt, um die Grundregeln des gesellschaftlichen Miteinanders, das Bekenntnis zur deutschen Sprache, um die Akzeptanz von Traditionen und Werten.

Um die Verfassung zu ändern, bräuchte der Vorschlag allerdings eine Zwei-Drittel-Mehrheit im bayerischen Landtag - und damit Schützenhilfe von 19 Abgeordneten der Grünen, der Freien Wählern oder der SPD. SPD und Grüne lehnten dies bereits ab, auch die Freien Wähler reagierten reserviert: Die CSU müsse sich erst einmal im Bund an die Verfassung halten - und nicht mit der großen Koalition durch die aktuelle Zuwanderungspolitik dagegen verstoßen, sagte Hubert Aiwanger, der Chef der Freien Wähler. Selbst einige CSU-Mitglieder zeigten sich skeptisch: Rechtlich gesehen ergebe eine Verfassungsänderung keinen Sinn, da eine Verfassung nur Programmsätze enthalte, die den Staat binden. Es handele sich bei dem Vorschlag lediglich um ein taktisches Manöver.

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