Übergriffe in Kölner Silvesternacht:Grauen in neuer Dimension

Silvester am Kölner Hauptbahnhof

In der Silvesternacht sind am Kölner Hauptbahnhof Frauen sexuell belästigt und augeraubt worden.

(Foto: dpa)

War absehbar, was in der Silvesternacht passierte? Die Kölner sind ratlos. Beobachtungen rund um den Hauptbahnhof.

Reportage von Oliver Das Gupta, Köln

Auf der Domplatte ist es windig. Das ist immer so. Jetzt ist es auch noch kalt geworden, ein Wetter zum Krankwerden. Die Mutter mit den roten Haaren bewegen am frühen Morgen andere Sorgen auf dem Platz vor dem Kölner Hauptbahnhof. "Komm, Laura, komm, bleib' nah bei mir", sagt sie zu ihrer Tochter und zieht sie an sich. "Hier wurden Frauen von 1000 Männern ..." Der Rest des Satzes verliert sich im Wind.

Das, was in der Silvesternacht mitten in ihrer Stadt passiert ist, hat sich in den Köpfen vieler Kölner festgekrallt. Bei den Senioren, die schon mittags im Kaufhof-Untergeschoss an ihren Sektgläsern nippen, sind die Übergriffe Thema. Sie haben Angst vor dem Islam. Die jungen Frauen, die vor einem Café in einem Kölner Szeneviertel frierend rauchen, sprechen darüber, was sie von Freundinnen über die Schreckensnacht gehört haben.

Selbst die Mitarbeiter im Dom reden davon, obwohl ohne das Plazet des Domprobsts niemand Reportern Auskunft geben soll. Auch wenn sich die Szenen direkt vor den Pforten der Kathedrale abgespielt hätten, bekäme man in dem Gotteshaus nichts mit. Außerdem war der Dom um Mitternacht leer und verschlossen. Ohnehin gelte ja stets: "Im Dom herrscht der Friede."

"Hauptstadt der Taschendiebe"

Im sonst so lebenswerten Köln grassiert Kriminalität, das ist seit langem bekannt. Bundesweit dominiert die Domstadt in den Statistiken mit Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main. Die Kölnische Rundschau schrieb von der "Hauptstadt der Taschendiebe", als 14 059 derartige Delikte für 2014 verzeichnet wurden.

Auch Diebstahl und sexuelle Übergriffe in Kombination sind in der Stadt nichts Neues. Von "Antänzern" spricht man. Eine Masche, die in Bars und Klubs der Stadt gängig ist. Nur das Ausmaß der Silvesternacht - das gab es bislang nicht. Auch nicht am Brennpunkt Hauptbahnhof.

Im Gaffel am Dom, dem Brauhaus auf der anderen Seite des Bahnhofsplatzes, hat man in der Vergangenheit manch unschöne Dinge mitbekommen. "Aber so etwas gab es nie", sagt ein Kellner. In der Schwemme sammeln sich die Mitglieder eines Karnevalsvereins zur Probe. Uniformen werden glatt gezogen und Perücken zurechtgezuppelt. Er sei völlig überrascht, sagt ein Mann mit buntem Wams. Allerdings gebe es gerade während des Karnevals viele Diebstähle, weil so viele Leute "stänevoll" - total betrunken - seien.

"Was da passiert ist, war neu"

Klauen, das "Abziehen", ist im Bahnhof wohlbekannt, auch kommt es immer wieder mal zu Sexualdelikten. Doch die Taten vom Silvester haben sich nicht abgezeichnet. "Was da passiert ist, war neu", sagt Corinna Rindle, Leiterin der Bahnhofsmission. Der Staat müsse diese schweren Straftaten verfolgen.

Rindle kölnert munter, aus ihren Augen schaut sie aufmerksam, wenn auch müde. Wenn sie lacht, hören es ihre Mitarbeiter durch die geschlossene Türe. Manchmal hört man, dass sie aus dem Allgäu kommt. Zum Beispiel, wenn sie "günschtig" sagt.

"Günschtig" sei es nicht, die Sicherheit zu erhöhen, denn dazu benötige die Polizei mehr Personal, mehr "Frauen- und Männerpower". Noch etwas anderes sei teuer. Mit Blick auf die Silvesternacht, sagt Rindle: "Egal, woher die Täter kamen, muss man feststellen: Hier ist Integration gescheitert." Damit sie klappe, müsse man eben Geld in die Hand nehmen. "Integration ist die beste Prävention."

Wincklers Frau kamen die Tränen

Günter Winckler, einer von Rindles 70 ehrenamtlichen Helfern, wurde selbst Zeuge davon, was sich in der Silvesternacht zugetragen hat. Gegen zwei Uhr wollte er mit seiner Ehefrau zum Hauptbahnhof, doch sie hielten Abstand, als ihnen bewusst wurde, was sich auf dem Vorplatz abspielte. Sie sahen Gruppen von stark betrunkenen Männern, sahen Knallkörper und Flaschen fliegen. "Der ganze Platz war mit Scherben bedeckt", sagt Winckler. Seiner Frau, die neben ihm stand, kamen die Tränen.

Winckler hat als früherer Regierungsdirektor im Bundesentwicklungsministerium die deutsche Afrikapolitik mitgeprägt. Die Erinnerungen von seinen Reisen durch den Kontinent hat er gemalt: Bilder in fröhlichen Farben, die in den Räumen der Bahnhofsmission ausgestellt sind. Schwerpunkt seiner Arbeit war nicht Nordafrika. Dennoch sagt er noch einen Satz zur Herkunftsregion der mutmaßlichen Täter: In manchen Ländern des Maghrebs, sagt er, scheine bei Männern ein Frauenbild verbreitet zu sein, das von Chauvinismus geprägt ist.

Dort, wo Winckler an Silvester die Bierflaschen bersten sah, liegen keine Scherben mehr. Ein VW-Bus der Polizei steht auf dem Bahnhofsvorplatz, in der Bahnhofshalle kontrollieren Beamte zwei dunkelhäutige Männer.

Hassan, ein Taxifahrer, wartet oft am Bahnhof auf Kundschaft, an Silvester hat er nicht gearbeitet. Der türkischstämmige Kölner freut sich über die Kälte, denn die sei gut für das Geschäft. Nicht gut für das Geschäft ist der Ruf, den seine Heimatstadt nun hat. Er schimpft auf die "Idioten, die das angerichtet haben". Das habe es hier noch nie gegeben, versichert Hassan. Er macht sich Sorgen, dass sie stärker werden, Pegida, AfD und Neonazis. "Am Ende geht es gegen mich", sagt Hassan. "Ich bin ja auch ein Schwarzkopf."

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