Übergabe des Brexit-Antrags:Freunde werden zu Gegnern

Der Brexit-Antrag ist übergeben, jetzt beginnen die Austrittsgespräche. Briten und Europäer sind dabei sehr ungleiche Verhandler. London muss sich auf unangenehme zwei Jahre einstellen.

Kommentar von Daniel Brössler, Brüssel

An diesem Mittwoch ist Donald Tusk, dem Ratspräsidenten der Europäischen Union, ein sechs Seiten langer Brief der britischen Premierministerin Theresa May übergeben worden. Er hat ihn freundlich in Empfang genommen. Nun beginnt die Schlacht.

Vielleicht wären Briten und Unions-Europäer wirklich gerne nett zueinander. Womöglich nehmen sie sich vor, Freunde zu bleiben. In dem, was jetzt kommt, aber können sie nur Gegner sein. So unglaublich komplex die Verhandlungen auch sein werden, so banal ist die Sache im Kern.

Während Großbritannien versuchen muss, die Kosten des Brexit - nicht nur die finanziellen - gering zu halten, wird die EU sie in die Höhe treiben. In diesen Verhandlungen kann das Königreich auf vielerlei Weise verlieren. Die Union eigentlich nur auf eine: wenn sie zulässt, dass ein Austritt sich lohnt.

Unter anderem aus diesem Grund werden dies keine Verhandlungen auf Augenhöhe sein. Das beginnt mit den im EU-Vertrag gesetzten Regeln. Der Artikel 50 erlaubt zwar den Austritt, aber er ist nicht darauf ausgerichtet, es dem Austretenden angenehm zu machen. Die Begrenzung der Verhandlungen auf zwei Jahre zwingt die britischen Unterhändler zu einer fast unmöglichen Mission.

Gibt es in dieser Frist keine Einigung, fällt die britische Volkswirtschaft ohne Übergangsfristen und ohne die Perspektive eines Freihandelsabkommens mit der EU in ein schwarzes Loch. Die Drohung Mays, kein Deal sei besser als ein schlechter, ist hohl. Großbritannien kann sich ein Scheitern weit weniger leisten als die 27er-EU.

Briten und EU sind mehr als ungleiche Verhandler

In der Theorie bieten sich den Briten nun 27 Einfallstore, um die EU zu spalten. In der Praxis wird ihnen auch das wenig nützen. Großbritanniens versierte Diplomaten haben in den vergangenen Monaten mit bescheidenem Ertrag ausgelotet, wer mit Sonderkonditionen und Spezialversprechen zu locken sein könnte. In der einen oder anderen Hauptstadt mag das auf Interesse gestoßen sein, doch der Verhandlungsrahmen lässt für Extratouren wenig Raum.

Selbst wenn es der Regierung in London gelingen würde, die Europäer gegeneinander auszuspielen, hätte sie selbst am wenigsten davon. Denn: Damit es einen Deal mit Großbritannien gibt, müssen vor Ablauf von zwei Jahren alle 27 EU-Staaten zustimmen.

Tiefer Graben zwischen Versprechungen der Brexiteers und Wirklichkeit

In dem Europa, in dem das Brexit-Lager auf der Insel (noch) lebt, ist das alles gar kein Problem. In diesem Europa ist Verlass auf die deutschen Konzerne, die in Großbritannien teure Autos verkaufen wollen, und auch auf alle anderen europäischen Unternehmen mit englischer Kundschaft. Sie üben Druck aus auf die Bundeskanzlerin und andere Regierungschefs, auf dass sie das gute Geschäft nicht verderben. Merkel & Co. sorgen dann schon dafür, dass der britischen Wirtschaft kein Schaden entsteht. So die Fantasie.

Nur: Dieses Europa gibt es nicht. Das Hauptinteresse der großen Konzerne und Wirtschaftsverbände ist die Erhaltung der EU und des Binnenmarkts. Einige von ihnen fordern deshalb sogar Härte in den Verhandlungen mit London.

Zwischen den vollmundigen Versprechungen der Brexiteers und der Wirklichkeit liegt ein gewaltiger Graben. In den Verhandlungen könnte sich das für Theresa May als größtes Problem herausstellen. Will sie Schaden von ihrem Land abwenden, wird sie Kompromisse eingehen müssen. Aber darauf ist die Bevölkerung nicht vorbereitet.

Über Umrisse eines Freihandelsabkommen wird die EU erst sprechen, wenn klar ist, dass Großbritannien noch jahrelang Rechnungen in Milliardenhöhe begleicht. Sie wird auch darauf bestehen, die Rechte von 3,2 Millionen EU-Bürgern in Großbritannien zu sichern. Und sie wird sich auf Übergangsregelungen wohl nur einlassen, wenn EU-Recht im Königreich vorübergehend nicht nur fortgilt, sondern dessen Einhaltung auch verlässlich eingeklagt werden kann.

Der EU helfen die "gesichtslosen Bürokraten"

Zu alledem kommt ein praktischer Nachteil gegenüber den Brüsseler Unterhändlern. Die können sich auf die vermutlich einzige Bürokratie der Welt stützen, die das Dickicht europäischer Normen, Regeln und Rechte bis in die letzten Verästelungen durchdringt.

Die "gesichtslosen Bürokraten", wie sie in der Brexit-Kampagne verspottet wurden, dürften sich als professionelle und hoch motivierte Gegner erweisen. Entscheidend dürfte am Ende aber der Wunsch der 27 sein, den Klub zusammenzuhalten. Die Privilegien der Mitgliedschaft werden sie weder umsonst hergeben noch stark verbilligt.

Europa wird in den kommenden zwei Jahren allerlei Dramen erleben und viel Streit. Einiges spricht aber dafür, dass die EU-Staaten am Ende zusammenhalten und die gar nicht so wenigen Stärken der Union ausspielen werden. Dass es dafür des Brexit bedarf, ist ein Jammer.

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