Überfall auf linken Politiker:Die Schläger von Lichtenberg

Das Viertel Lichtenberg, in dem Giyasettin Sayan zusammengeschlagen wurde, ist als Berliner Neonazi-Hochburg längst bekannt.

Philip Grassmann

Es ist alles blitzschnell gegangen, es gab keine Warnung, keinen Streit und auch keine Rempelei. Giyasettin Sayan wollte einfach nur in sein Auto steigen , nachts in einer Straße am Berliner Bahnhof Lichtenberg. Es ist spät geworden, der Abgeordnete der Linkspartei hat ein paar Parteifreunde besucht. Am diesem Sonntag sollten eigentlich die örtlichen Kandidaten für die Wahlen im September aufgestellt werden, da gibt es noch einiges zu besprechen. Sayan ist in Lichtenberg ziemlich bekannt. Es ist sein Wahlkreis, er hat sein Mandat bisher immer direkt gewonnen.

Überfall auf linken Politiker: Berlin-Lichtenberg, Ecke Weitlingstraße-Margaretenstraße. Hier wurde Giyasettin Sayan überfallen.

Berlin-Lichtenberg, Ecke Weitlingstraße-Margaretenstraße. Hier wurde Giyasettin Sayan überfallen.

(Foto: Foto: ddp)

Zwei Männer sprechen den 56-jährigen Politiker plötzlich an, Sayan denkt noch "die wollen mich begrüßen", aber sie gehen gleich auf ihn los. Der eine schlägt eine Flasche auf seinen Kopf und ins Gesicht, beide prügeln auf ihn ein.

Giyasettin Sayan hat die Szene zumindest so beschrieben, später, als er schwer verletzt mit Gehirnerschütterung und Prellungen im Krankenhaus liegt. Als Sayan dann versucht, zu flüchten, haben sie auf seinen Rücken und seine Schulter eingedroschen und dabei gerufen: "Scheiß-Türke, dich kriegen wir auch noch." Als er zu Boden geht, fliehen die Täter.

3,3 Prozent für die NPD

Sayan schleppt sich in eine italienische Pizzeria, gleich nebenan. Dort sitzen um diese Zeit noch viele Gäste. Ein Kellner hilft ihm, sich zu setzten, dann wird der Notarzt gerufen. Es ist nicht der erste Vorfall mit Herrn Sayan. Schon einmal ist er von zwei oder drei Schlägertypen verfolgt worden. Das war vor drei Wochen, Sayan kam gerade aus einer Veranstaltung. Damals konnte er sich gerade noch rechtzeitig in sein Auto retten.

Giyasettin Sayan kam vor mehr als 30 Jahren aus der Türkei nach in Deutschland, er hat in Berlin studiert und schon lange einen deutschen Pass. In seiner Partei hat er sich nicht nur in Migrations- und Flüchtlingspolitik engagiert, sondern er ist vor allem auch für seinen Einsatz gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bekannt. Vielleicht ist ihm das nun zum Verhängnis geworden.

Die Berliner Polizei nimmt den Überfall jedenfalls sehr ernst und hat eine sechsköpfige Sonderkommission eingesetzt. Die Täter sollen zwischen 20 und 25 Jahre alt und dunkel gekleidet gewesen sein. Aber auch zwei Tage nach dem Überfall gibt es keine heiße Spur. Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch geht von einer fremdenfeindlichen Tat aus.

Die Gegend um den Lichtenberger Bahnhof gilt als eine Hochburg der Neo-Nazi-Szene in Berlin. Einige stadtbekannte Rechtsextreme wohnen hier, bei der letzten Wahl kam die NPD hier auf 3,3 und die Republikaner auf 1,3 Prozent der Stimmen. Immerhin zwei von insgesamt 18 in Berlin verübten fremdenfeindlichen Straftaten fanden 2005 hier statt. Es ist ein ziemlich ärmlicher Kiez. Das Zentrum ist weit weg, die Häuser sind niedrig und heruntergekommen, an den Wänden prangen überall Graffiti.

No-Go-Area Lichtenberg

Es ist zwar nicht so, dass dort niemand etwas gegen rechte Gewalttäter tut, im Gegenteil. Ein Bürgerbündnis versucht seit Jahren, die Neonazi-Szene zurückzudrängen. Auch Sayan hat sich dort engagiert, und es gibt auch einige Erfolge zu verzeichnen.

Der rechte Szene-Treff Cafe Germania hat inzwischen zugemacht, und wenn man Menschen aus dem Bezirk fragt, dann sagen sie, dass es mit den Rechtsextremen jetzt schon besser ist als früher. Aber wirklich grundlegend geändert hat sich nichts. Erst neulich, als der Afrika-Rat von No-Go-Areas für Ausländer in Deutschland sprach, wurde auch Lichtenberg genannt.

Wenn man dann die Haupteinkaufsstraße der Gegend entlang geht, könnte man denken, es sei eine dieser üblichen Berliner Kieze mit Friseur, Döner-Laden, Bäckerei, ein paar Kneipen, einem Supermarkt. Nichts Besonderes also. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus.

Die Wirklichkeit kann zum Beispiel eine junge Vietnamesin schildern. Sie arbeitet in einem Blumenladen, nur ein paar hundert Meter vom Bahnhof entfernt. Auf dem Boden sind zwei Dutzend Vasen angeordnet, in fünf Reihen, und sie enthalten alle die gleichen Blumengestecke: Orange, Gelb und Rot, dazu Gräser. Draußen vor der Ladentür stehen Regale mit Balkonpflanzen.

"Heil Hitler, so macht man das in Lichtenberg"

Vor vier Wochen war es, erzählt die Frau, die ihren Namen nicht sagen möchte, da gingen vier Kahlrasierte die Straße entlang. Vor ihrem Laden hielten sie, einer warf ein Regal um. Einfach so. Als sie rausging, baute sich einer der Männer vor ihr auf und befahl ihr umzudrehen. "Oder willst du, dass wir den ganzen Laden ausräumen?" Dann haben sie die übrigen Regale umgestürzt. Sie brüllten dabei: "Heil Hitler, so macht man das in Lichtenberg." Sie hat die Männer später mehrmals wieder gesehen, sie wohnen wohl in der Gegend. Die Polizei hat sie nicht geholt. Aber eine Videokamera hat sie installieren lassen.

Herr Sayan wird noch eine Weile im Krankenhaus verbringen müssen, die Aufstellung der Kandidaten ist vertagt. Es ist nun knapp vier Jahre her, da ist nur ein paar Kilometer weiter ein anderer Berliner Politiker auf offener Straße attackiert worden: Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele wurde kurz vor der Bundestagswahl 2002 im benachbarten Bezirk Friedrichshain niedergeschlagen. Der Täter war ein vorbestrafter Neonazi.

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