Twittern über Vorratsdatenspeicherung:Sigmar im Sturm

Sigmar Gabriel scheut kaum eine Konfrontation, auch nicht beim Thema Vorratsdatenspeicherung. Die verteidigte der SPD-Vorsitzende gerade vehement via Twitter. Der Shitstorm danach war heftig, aber Gabriel duckte sich nicht weg, sondern twitterte sich regelrecht in Rage.

Hannah Beitzer

Die elektronische Empörungswelle, vulgo Shitstorm, ist auf dem besten Weg, Wählerumfragen als meistgefürchtetes Phänomen des politischen Betriebs abzulösen. Der durchschnittliche Politiker, so scheint es, bibbert vor der gerne als "Netzgemeinde" betitelten Online-Bürgerschaft, die ihre Meinung(en) ungestüm und nicht selten in unflätigem Duktus in die sozialen Netzwerke kippt - direkt auf den Bildschirm der Volksvertreter.

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Sigmar Gabriel: Kann auch Shitstorms.

(Foto: AFP)

Eine unbedachte Äußerung kann einen Sturm der Entrüstung hervorrufen, wie ihn unter anderem schon Familienministerin Kristina Schröder und ihre Unionskollegen Erika Steinbach und Ansgar Heveling erleben mussten. Auch FDP-Generalsekretär Patrick Döring und netzerfahrene Politiker wie der Grüne Volker Beck und die Abgeordneten der Piratenpartei kennen das Phänomen nur zu gut.

Nun hat es Sigmar Gabriel erwischt. Der SPD-Vorsitzende schrieb Lasse Becker, dem Vorsitzenden der Jungen Liberalen, sichtlich erregt auf Twitter: "Die FDP hat uns erstmal mit ihrer Blockade zur VDS (Vorratsdatenspeicherung, Red.) Strafzahlungrm (sic!) der EU eingebracht. Weil KEINE VES (sic!) eben KEINE Option ist."

Nun ist die Vorratsdatenspeicherung, also die anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten, bei Twitter ohnehin ein Aufregerthema. Die meisten Nutzer des Kurznachrichtendienstes sehen in der Speicherung, die hier unter dem Hashtag #VDS kommentiert wird, eine Einschränkung der Bürgerrechte.

Pathos gehört zum Shitstorm

Und so bekam Sigmar Gabriel massig Antworten auf seinen an den Juli-Chef Becker gerichteten Vorwurf. Vor allem die politische Konkurrenz freute sich. "Wenn Ihr die #vds durchsetzen wollt, strebt Ihr die große Koalition an. Mit uns nicht!", ereiferte sich sofort Volker Beck, der oft mitmischt, wenn Vertreter anderer Parteien von einem Shitstorm erwischt werden.

"Dramatisiert nicht immer alles"

Aber auch ein erklärter Sozialdemokrat schreibt: "Solange du an deinem falschen Kurs festhälst ist die SPD auf Bundesebene für viele nicht wählbar. Und das ist schade so. #vds" In der SPD ist die Vorratsdatenspeicherung nämlich durchaus umstritten - vor allem die Netzpolitiker der Partei sprechen sich dagegen aus.

Aber zu einem echten Shitstorm gehört natürlich weit mehr als nur parteipolitisches Geplänkel - nämlich echter Pathos. "Wann hören Sie endlich auf unschuldige Bürger zu kriminalisieren?", fragt einer. Neben Nazi-Vergleichen durften natürlich auch persönliche Angriffe unter der Gürtellinie nicht fehlen: "Zu viel Alkohol zum tippen?", fragt ein Nutzer Sigmar Gabriel.

Nun wäre es eigentlich der menschlichste aller Reflexe, im virtuellen Fäkalgewitter den Kopf einzuziehen und die Woge der Empörung über sich hinweg schwappen zu lassen. Alles andere kostet viel Zeit, noch mehr Nerven - noch dazu ist eine ausführliche Diskussion auf einem auf 140 Zeichen beschränkten Kurzmitteilungsdienst nicht ganz einfach zu bewerkstelligen. Doch Sigmar Gabriel wäre nicht Sigmar Gabriel, wenn er sich die Gelegenheit zu einem Schlagabtausch entgehen ließe - und das obwohl hier einer allein gegen ganz schön viele steht.

Respekt für den SPD-Chef

"Niemand verwanzt alle Haushalte. Telefon- und Internetverbindungen werden bei den Telekomm.Unternehmen bis zu 3 Mon. gesichert. Bei schw. Straftaten kann ein Gericht d. Herausgabe der Verbindungen anordnen", schreibt er, aufgeteilt auf zwei Tweets.

Gabriel twittert sich regelrecht in Rage: "Das ist kein Grund, um jetzt EU Recht zu brechen. Das Verfassungsgericht nennt genaue Grenzen der VDS. Die werden wir einhalten." Einem Diskutanten, der von einem "Schlag ins Gesicht spricht", antwortet der SPD-Chef: "Ich hab nur ne andere Meinung als Ihr. (...) Dramatisiert nicht immer alles." Dabei kann er das mit dem Pathos selbst auch schon ganz gut: "Rechtsstaat -darum geht's bei Einhaltung EU-Recht- heißt nicht: man hält sich nur dran,wenn's einem passt."

Man kann sich gut vorstellen, dass dem SPD-Chef nach der ganzen Twitterei der Kopf schwirrt - doch sein Einsatz scheint sich gelohnt zu haben: "Ich weiß, Ihr seht es anders, aber ich finde, der @sigmargabriel hat sich heute bei Twitter sehr gut geschlagen", schreibt ein Nutzer. Anerkennung kommt sogar von Leuten, die mit Gabriel wohl in der realen Welt kein Bier trinken gehen würden: "teile kaum eine Ihrer Ansichten", lässt ihn einer wissen, "Finde aber gut, dass Ihr Auftritt hier nicht anbiedernd, sondern authentisch&kämpferisch ist."

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