Twittern in Iran:Gezwitscherter Zorn

Sie berichten, sie beten - und sie rufen um Hilfe: Weil die Regierung Medien behindert und die Handynetze lahmlegt, wird Twitter als Kommunikationsmittel während der Proteste in Iran immer wichtiger.

Jannis Brühl

"Ich bete zu GOTT dass sie uns in Ruhe lassen! Wir müssen Reza schnell ins Krankenhaus bringen, er ist schwer verletzt", schreibt "Change_for_Iran". Unter diesem Pseudonym postet ein iranischer Student auf Twitter, der nach eigenen Angaben in einem Wohnheim der Universität Teheran festsitzt. Die Polizei lasse die Studenten nicht mehr aus den Gebäuden, berichtet er. Weil alle anderen Kanäle im Land blockiert sind, nutzt die Opposition den Kurznachrichtendienst im Internet. Allein zum Stichwort "Iran" werden jede Minute mehrere hundert Nachrichten gepostet. Und die Welt liest gespannt mit: Stichwörter wie "Mousavi" und "Tehran" gehören zu den beliebtesten Kanälen des Tages.

Twittern in Iran: Protestierender Iraner in Teheran: Die Nachrichten aus dem Land schwanken zwischen Hoffnung, Entsetzen und Angst.

Protestierender Iraner in Teheran: Die Nachrichten aus dem Land schwanken zwischen Hoffnung, Entsetzen und Angst.

(Foto: Foto: AFP)

Das Phänomen der sozialen Netzwerke hat auch Iran erfasst. Wie im vergangenen Jahr in den USA ist auch diesmal eine Präsidentenwahl der Anlass. Allerdings ist es nicht nur die Hoffnung auf einen Wechsel, sondern auch die Angst vor der Brutalität der Polizei, die als Katalysator für den Austausch über das Netz dienen.

Auch wenn die Informationen - wie immer auf Twitter - mit Vorsicht zu genießen sind: Wer den nicht enden wollenden Kurznachrichtenstrom verfolgt, erhält einen Eindruck vom Zorn, aber auch vom Kampfeswillen der Opposition. User aus Iran senden Augenzeugenberichte in die Welt: Sie erzählen von verschwundenen Wahlurnen und den Straßenkämpfen zwischen Polizei und Demonstranten; viele machen ihrem Ärger über den vermeintlichen Wahlbetrug Luft: "Ahmadinedschad ist der größte Lügner aller Zeiten", schreibt "angry_lion". Und immer wieder heißt es: "Marg bar dictator - Tod dem Diktator".

Manche Nachrichten sind mit einer Warnung versehen: "Ab 18". Wer auf den Link klickt, landet in einer Fotogallerie: Blutüberströmte Menschen, eingeschlagene Scheiben und Oberkörper mit kreisrunden Blutergüssen, wie Gummigeschosse sie hinterlassen. Es ist ein Dialog der sich da abspielt: Westliche Twitterer antworten den wütenden Iranern mit Durchhalteparolen und Links zu aktuellen Nachrichten auf Englisch.

"Wir hören Schüsse - viele Schüsse"

"Alle in Teheran auf die Dächer! Ruft Allah u Akbar, um zu protestieren!" - Demonstranten versuchen, den Widerstand über Twitter zu mobilisieren. "Non-Stop Autohupen in den Straßen", "Schwangere Frau von der Polizei verprügelt", "Wir hören Schüsse - viele Schüsse". Die Nachrichten schwanken zwischen Hoffnung, Entsetzen und Angst. Und manche rufen nach Hilfe: "Lasst uns nicht allein!", fleht "Change_for_Iran", der in seinem Wohnheim festsitzen soll.

Mahmud Ahmadinedschads Regierung scheint alles daran zu setzen, die Kommunikationsstruktur der Opposition anzugreifen: Am Wahltag konnten die Iraner keine SMS mehr schicken, am Samstag fiel das Handynetz auf mysteriöse Weise aus. Am selben Tag wurde auch Facebook blockiert. Auf dieser Seite hatten sich während des Wahlkampfs vor allem die jungen Anhänger von Ahmadinedschads stärkstem Herausforderer Mir Hossein Mussawi organisiert.

Die iranische Regierung fährt offenbar eine Doppelstrategie der Zensur: Einerseits wird die Bandbreite für den Zugriff auf das Netz radikal beschränkt, was durch den vermehrten Zugriff auf iranische Seiten wegen der Wahl noch verstärkt wird; andererseits werden einige Seiten komplett gesperrt. "Sie schließen sie genau so schnell wie wir neue finden können", schreibt eine Userin, angeblich aus Teheran, über die Server, die die Regierung blockiert. Iraner, die Videos ins Netz stellen wollen, betteln auf Twitter um Zugänge mit höherer Bandbreite. Deshalb bestehen viele Postings aus endlosen Zahlenkolonnen: Es sind IP-Nummern, mit denen man auf neue, nicht gesperrte Server zugreifen kann.

Alle Medien werden zensiert

Internet, Handys, Zeitungen, Radio: Alle Medien sind massiver Zensur unterworfen. Die Zeitung Grünes Wort, die Mussawi unterstützt hatte, war am Sonntag nicht erhältlich.

Die Kommunikation soll nicht nur innerhalb Irans eingeschränkt werden, auch ausländische Medien sind von der Zensur betroffen: Die Arbeit von ARD und ZDF wurde massiv behindert. Genauso erging es schwedischen, arabischen und italienischen Sendern.

Als bekannt wurde, dass auch das Sendesignal des farsisprachigen Diensts der BBC von der Regierung gestört wurde, postete der amerikanische Journalist Andrew Sullivan vom Atlantic Monthly einen flammenden Appell, gerichtet an alle Iraner mit Internet-Anschluss. In Situationen wie dieser seien Internetdienste essentiell: "Jeder Blogger ist jetzt Ehrenmitglied des Widerstands. Wir sind im Krieg - für Frieden und Demokratie."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: