TV-Duell Merkel vs. Steinbrück:Die Macht von 90 Fernsehminuten

Wahlkampf Merkel und Steinbrück

Die Lichter von Autos ziehen Leuchtspuren vor den Wahlplakaten zum Bundestagswahlkampf. Das TV-Duell zwischen Herausforderer Steinbrück und Kanzlerin Angela Merkel ist der vorläufige Höhepunkt des Bundestagswahlkampfes.

(Foto: dpa)

Kann das TV-Duell Merkel gegen Steinbrück die Wahl entscheiden? Theoretisch ja, sagen Wissenschaftler, und zwar auch zu Gunsten der SPD. Welche Auswirkungen diese eineinhalb Fernsehstunden haben können, ist beeindruckend.

Von Oliver Das Gupta

Angela Merkel dürfte froh sein, wenn das Fernsehduell mit ihrem SPD-Herausforderer Peer Steinbrück vorbei ist. Die Bundeskanzlerin weiß nur zu gut, welche Risiken und Nebenwirkungen ein solcher Showdown vor laufender Kamera birgt.

"Es ist sicherlich nicht ihr Lieblingsformat", sagt Publizist Michael Spreng, der einst die Kampagne des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber leitete. "Merkel mag das gefällige Interview", sagt Spreng, "das Interview mit harmlosen Fragen".

In einem TV-Duell könne die Situation schnell außer Kontrolle geraten - für die Gefahrenminimiererin Merkel eine grausige Vorstellung. Anders als Unionskanzlerkandidat Stoiber 2002, der sich zweimal mit dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) vor die Kameras stellte, lässt Merkel deshalb auch vor dieser Wahl nur einen Schlagabtausch dieser Art zu.

Ein wenig traumatisiert ist die Kanzlerin ohnehin: Vor der Bundestagswahl 2005 lag sie als Spitzenkandidatin von CDU und CSU in Umfragen deutlich vor der SPD, Schwarz-Gelb schien ausgemachte Sache zu sein. Dann kam das TV-Duell - und Merkel sah gegen den angriffslustigen SPD-Amtsinhaber Gerhard Schröder ziemlich grau aus.

Vierzehn Tage später, am Wahltag, waren Merkels schwarz-gelbe Träume geplatzt. Immerhin durfte sie noch Kanzlerin in einer großen Koalition werden - aber auch nur, weil die Union hauchdünn vor der SPD lag.

Tatsächlich hat das Fernsehduell die politische Stimmung in Deutschland gekippt, wie verschiedene Studien zeigten. Die Sendung habe einen deutlichen "turning point" dargestellt, heißt es in einer Untersuchung des Berliner Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik, an der renommierte Forscher wie Claus Leggewie mitschrieben.

"Höhepunkt des Wahlkampfs" bewegt fünf Prozent der Wähler

Genauso potentiell wirkmächtig könnte die Fernsehdebatte der Kanzlerkandidaten Merkel und Steinbrück sein. Kein anderes Wahlkampfinstrument kann so viel bewirken wie die 90 Minuten Schlagabtausch vor laufenden Kameras. Das funktioniert selbst in langweiligen Wahlkämpfen wie dem von 2009. Damals verfolgten das Duell Merkel/Steinmeier zwar fünf Millionen weniger Deutsche, als 2005 bei Schröder/Merkel. Doch die Zuschauerzahl war immer enorm: 15 Millionen.

Auch die, die bei der "Tagesschau" wegzappen, sollen erreicht werden

Die Wissenschaft ist sich in der Beurteilung des medialen Schlagabtausches der Kanzlerkandidaten einig: "Das Fernsehduell 2009 hat deutlich mehr Menschen bewegt, als alle anderen Kampagnenformate", sagt Kommunikationswissenschaftler Marcus Maurer von der Uni Jena. "Das wichtigste Einzelereignis im Wahlkampf" nennt es der Mainzer Politikwissenschaftler Thorsten Faas. Und Publizist Michael Spreng adelt das TV-Duell als "Höhepunkt des Wahlkampfes".

Die Tatsache, dass die Sendung auf fünf Kanälen gleichzeitig läuft, mag an nordkoreanische Verhältnisse erinnern. De facto wird damit aber eines erreicht: Dass die Deutschen sich flächendeckend und schichtübergreifend mit Politik befassen - und sich eine Meinung bilden. "So erreichen die großen Parteien auch diejenigen Bürger, die sich nicht für Politik interessieren", sagt Maurer.

Zielgruppe sind vor allem diejenigen, die im Alltag bei der Tagesschau wegzappen und auch sonst keine politische Berichterstattung verfolgen. Sie seien "dankbar für die kompakte Form", sagt Faas.

Für beide Kandidaten ist das Format TV-Duell ein formidables Zeitfenster, die politisch Uninteressierten zu erreichen. Untersuchungen haben ergeben, dass ein Fernsehduell die Wählerschaft entscheidend bewegen kann: Bis zu fünf Prozent der Wähler entschieden sich nach einer Sendung, für wen sie stimmen werden, betont Maurer. Gerade wenn die Prognosen einen knappen Wahlausgang vorhersagen, kann ein TV-Duell zum wichtigen Wendepunkt werden.

"Entscheidende Chance für Steinbrück zu punkten, und seine letzte"

Günstig ist der Schlagabtausch insbesondere für Herausforderer. Sie begegnen dem Amtsinhaber oder der Amtsinhaberin auf Augenhöhe. Maurer verweist auf eigene Untersuchungen des jüngsten Duells zwischen Merkel und Steinmeier im Jahr 2009.

Der damalige SPD-Spitzenkandidat und Außenminister galt zwar als farblos, der Wahlkampf plätscherte vor sich hin. Auch das TV-Duell verlief ohne erinnerungswürdige Höhepunkte. Und doch haben Steinmeier und die SPD von dem Auftritt profitiert. "Gerade die Meinung über Steinmeier hat sich danach deutlich verbessert", sagt Maurer. Demnach hätte die SPD, die am Wahltag auf katastrophale 23 Prozent abschmierte, ohne TV-Duell noch schlechter abgeschnitten.

Ähnliches gilt für Peer Steinbrück. Pleiten, Pech und Pannen spickten zwar bislang seine Wahlkampagne. Doch in direkter Redeschlacht könnte der schlagfertige Ex-Finanzminister gegen seine frühere Chefin Boden gut machen. "Es ist die entscheidende Chance, gegen Merkel zu punkten", konstatiert Politologe Faas, "und es ist gleichzeitig wohl seine letzte Chance".

Vorbild dürfte für Steinbrück das Duell von 2005 sein. Damals attackierte Schröder seine Kontrahentin Merkel frontal. So sprach er stets vom "Professor aus Heidelberg", wie er Merkels Schattenminister Paul Kirchhoff titulierte. Neben Selbstsicherheit gab sich Schröder auch maximal gefühlig. Die Liebesbekundung an seine Ehefrau mag bei Journalisten als Kitsch angekommen sein. Tatsächlich hob sich der Galan Schröder gerade neben der kontrolliert-wolkigen Merkel positiv ab. Und kam bei Frauen gut an. "Es war genial", sagt heute Michael Spreng über Schröders Kniff.

Erfolg oder Flop – entscheidet sich zunehmend im Mikroblog

Ein ähnliches Kunststück müsste nun Steinbrück gelingen, um eine Stimmungswende einleiten zu können. Politologe Faas glaubt, die Umstände seien relativ günstig für ihn - angesichts der bislang mauen Zustimmungswerte für den SPD-Kanzlerkandidaten und seine Partei. Die Spannung im Vorfeld garantiere Aufmerksamkeit, der Herausforderer werde überhöht. Allerdings steigt damit auch das Risiko zu patzen, so wie es in anderen TV-Duellen schon der Fall gewesen ist.

Große Wirkung entfaltete die Berichterstattung im Anschluss an die Sendung. Blitzumfragen zeigten, inwiefern die Kandidaten glaubwürdig und sympathisch erschienen.

Längst gibt es weitere Instrumente - das Internet macht es möglich: Journalisten berichten das Geschehen in Echtzeit und klopfen die Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt ab. Auch Süddeutsche.de bietet heute Abend einen entsprechenden Live-Blog mit Faktencheck an.

Daneben kommentieren abertausende Bürger über Twitter und sorgen für ein eigenes "Spinning": Sie entwickeln dominierende Meinungen im Massendiskurs. Wie stark das Fernsehgeschehen über den Mikroblog analysiert wird, wird Sonntag für Sonntag während des Tatorts deutlich - oder bei Polit-Talks wie Maischberger und Jauch. Die Zuschauer entscheiden in fortlaufender Diskussion auf Twitter, ob die Sendung ein Erfolg oder ein Flop war. Entsprechend intensiv dürfte das heutige Aufeinandertreffen von Merkel und Steinbrück im Mikroblog diskutiert werden.

Die Graswurzel-Kommentierung über den Mikroblog interessiert auch die Wissenschaft, gerade weil es ein Novum ist. "Bislang fehlen uns die Erfahrungswerte, was das Instant-Feedback betrifft", sagt Faas. Der Mainzer Professor misst mit seinem Team erstmals die Reaktionen auf einzelne Aussagen der Kanzlerin und ihres Rivalen - und stellt sie in Fieberkurven dar.

Amtsinhaber wagen wenig und haben nur ein Ziel

In den meisten Fällen wagen Amtsinhaber in TV-Duellen wenig. Ihr Ziel ist es, gute Umfragewerte zu halten. Das dürfte Merkels Kalkül sein. Steinbrücks muss sein Heil in der Attacke suchen, und dabei "kontrolliert und höflich bleiben", sagt Michael Spreng. Der einstige Stoiber-Berater hält es für unwahrscheinlich, dass Steinbrück eine große Aufholjagd à la Schröder gelingt.

Allerdings könnte der scharfzüngige Steinbrück "seine Partei aufrichten". Das könnte angesichts der Mehrheitsverhältnisse vielleicht reichen, um Schwarz-Gelb zu verhindern und den Weg für eine große Koalition freizumachen. Davon hätte Steinbrück in Persona allerdings wenig. Denn er will nur als Kanzler regieren.

Das TV-Duell wird heute Abend um 20.30 Uhr von ARD, ZDF, RTL, Pro Sieben und Phoenix übertragen.

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