TV-Duell der Spitzenkandidaten in Niedersachsen:"Sie glauben selbst nicht an die Ängste, die Sie schüren"

Landtagswahl Niedersachsen - TV-Duell

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann kurz vor dem TV-Duell.

(Foto: dpa)

Im TV-Duell kurz vor der Wahl in Niedersachsen greift CDU-Herausforderer Althusmann an - und verfängt sich im süffisanten Lächeln von SPD-Ministerpräsident Weil.

Von Lars Langenau

Ach, wie wäre die Bundestagswahl wohl gelaufen, wenn es dieses klassische, klare Format eines TV-Duells auf dem Messegelände von Hannover auch in Berlin zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Martin Schulz gegeben hätte: ein Moderator in der Mitte (ein sehr souveräner Andreas Cichowicz, seines Zeichens Chefredakteur des NDR-Fernsehens), links der SPD-Kandidat und rechts die CDU-Amtsinhaberin.

Aber nein, da mussten sich gleich vier Moderatoren profilieren, als stünden sie selbst zur Wahl. Womöglich hätten die Volksparteien auch nicht 14 Prozentpunkte verloren. Aber: Hätte, hätte, Fahrradkette.

Der NDR scheint aus dem Kanzler-TV-Nicht-Duell gelernt zu haben und hat sich ganz konservativ darauf besonnen, um was es wirklich geht: die Unentschlossenen zu erreichen, die noch nicht sicher sind, wem sie die Führung des Landes lieber anvertrauen wollen. Am kommenden Sonntag wird im zweitgrößten Flächenland Deutschlands gewählt und die Kandidaten heißen Stephan Weil, amtierender Ministerpräsident der SPD, und Bernd Althusmann, Ex-Kultusminister und Herausforderer der CDU.

Noch im August lag die SPD in Umfragen weit abgeschlagen hinter der CDU, vergangene Woche hat sie mit einer furiosen Aufholjagd aufgeschlossen (andere sprechen von einem Mitleidseffekt) und in einer Umfrage jetzt sogar die CDU um einen Prozentpunkt überholt. Es wird nun wirklich ein Sprint auf den letzten Metern im Pferdeland Niedersachsen: Wer wird stärkste Partei und stellt somit voraussichtlich den nächsten Ministerpräsidenten? Um es vorwegzunehmen: Nach diesem Duell dürfte es Amtsinhaber Weil sein. Alle Koalitionen bis auf die mit der AfD sind dabei möglich.

Weil, der neue Hoffnungsträger der SPD

Weil und Althusmann stellen sich ein halbes Jahr früher als geplant den mehr als sechs Millionen Wählern. Der Wechsel der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU machte die Mehrheit von einer Stimme für Rot-Grün zunichte - und vergiftete die Stimmung an der Leine. Genau das merkt der Zuschauer auch vor dem Bildschirm. Ein noch immer sichtlich angefressener Weil macht seinem Herausforderer zunächst harsche Vorwürfe ob dieses Wechsels.

Der Jurist Weil war Oberbürgermeister der Landeshauptstadt und gilt als bodenständig, sachlich und gewissenhaft. Bundespolitische Ambitionen werden dem 58-Jährigen nicht nachgesagt - und doch ist er gerade jetzt zum neuen Hoffnungsträger der Sozialdemokraten geworden.

Entsprechend selbstbewusst wirft er seinem 50 Jahre alten Herausforderer vor, dass man so etwas wie den Wechsel der Abgeordneten "nicht macht". Erst hätten sich die Christdemokraten darüber gefreut und nun hänge ihnen das "wie ein Mühlstein um den Hals". Dies habe zur "deutlichen Verhärtung im Verhältnis" der Parteien im Leineschloss beigetragen und dazu, dass eine große Koalition sehr schwierig sein würde. Althusmann kontert, dies sei nun einmal die freie Entscheidung einer Abgeordneten - und außerdem sei in Thüringen ja sogar ein AfD-Mann zur SPD gewechselt.

Hier sind zwei, die sich gar nicht mögen

Gleich startet Althusmann die Gegenoffensive und versucht es (leider) mit einer Neuauflage der Rote-Socken-Kampagne von anno dazumal. Weil, so unterstellt er, würde auch mit der Linken koalieren. Nur haben in der Bevölkerung die Ängste über die Nachfolgepartei der SED inzwischen ziemlich abgenommen. Weil sagt gelassen, dass er sich dafür starkmache, dass die Linke unter fünf Prozent bleibt: "Ich setze mich politisch, nicht formal, mit ihr auseinander." Althusmann antwortet "Sie eiern herum!" und malt den Teufel an die Wand: Mit Rot-Rot-Grün würde es einen Ausstieg aus dem Gymnasium geben und es würden keine Autobahnen mehr gebaut werden. Hier zeigt sich im Kandidaten Althusmann die alte CDU, die der Hasselmanns und Ernst Albrechts, die einst das Land bis zur Ära Gerhard Schröder fest in der Hand hielten.

"Sie glauben selbst nicht an die Ängste, die Sie hier schüren", wirft ihm Weil an den Kopf. Spätestens in diesem Moment ist klar, dass hier - im Gegensatz zu Merkel und Schulz - zwei sind, die sich gar nicht mögen. Althusmann sagt dann beleidigt, er werde sich gar nicht zu Koalitionsfragen äußern und macht damit seine Angriffe im tiefen Timbre auf Weil völlig obsolet. Wie er denn zu einer Jamaika-Koalition in Hannover stehe, fragt da geschickt der Moderator. Doch Althusmann lobt, statt eine Antwort zu geben, Realo-Grüne wie Boris Palmer, Cem Özdemir, Robert Habeck und Winfried Kretschmann.

Unzufrieden mit der Bildungspolitik - von beiden Seiten

Laut Umfragen ist die Schul- und Bildungspolitik das wichtigste Thema in Niedersachsen. Ganz vorne: der massive Stundenausfall. Doch auch hier verfangen die Angriffe des Herausforderers nicht, der einst als Bildungsminister einer schwarz-gelben Regierung das Turbo-Abi eingeführt hat. Weil sagt dann auch mit einem linkischen Grinsen: "Ich habe es wieder abgeschafft!" Er gibt seiner Regierung eine "2-" in der Bildungspolitik, Althusmann hätte "nicht versetzt".

Weiter geht es im Parforceritt der 75 Minuten Sendedauer zum Kita-Ausbau über Haushaltspolitik und zum umstrittenen Umgang mit VW. Immer wieder verweist Weil staatsmännisch auf die Verantwortung der Landesregierung für den größten Arbeitgeber der Region. Er habe wirklich "Angst um die Existenz des Unternehmens" gehabt, an dem mit Zulieferern etwa eine halbe Million Arbeitsplätze hingen. Althusmann solle jetzt nicht alles schlechtreden. Außerdem habe sich die CDU nicht anders gegenüber Volkswagen verhalten als er es getan habe. Debatte beendet.

Althusmann, der 2013 sein Landtagsmandat verloren hatte, wirkt bisweilen steif, seine Sätze spricht er gestanzt, wie auswendig gelernt. Über weite Strecken agiert er nicht souverän, nicht locker, obwohl er ganz CDU-untypisch auf eine Krawatte verzichtet hat. Weil hingegen grinst ein wenig zu oft süffisant über seinen bulligen Herausforderer - und kanzelt den Pastorensohn manchmal zu arrogant ab: "Ich glaube, Sie überblicken nicht, worüber Sie reden!" Der wiederum kommt erst zuletzt noch mal in Fahrt, als er fordert, Glasfasernetze "bis zur letzten Milchkanne" zu verlegen.

Dann versucht er einen weiteren Angriff auf Weil mit der inneren Sicherheit und nennt Niedersachsen ein "Wohlfühlland für Islamisten". Weil aber präsentiert souverän Zahlen, nach denen das Land sicherer geworden sei und verspricht nochmals 1000 Polizisten einzustellen. Außerdem kümmere man sich sehr wohl um "Gefährder" und es habe in Niedersachsen mehr Abschiebungen und Rückführungen als in Bayern gegeben.

Auch habe er der "Flüchtlingspolitik der Kanzlerin äußerst kritisch gegenübergestanden", sagt Weil und verpasst Althusmann damit einen weiteren Kinnhaken. Kleinlaut versucht es der Herausforderer dann noch damit, eine von Rot-Grün eingerichtete Beschwerdestelle über die Polizei wieder abzuschaffen. Doch hier spricht die ganz, ganz alte CDU.

Ganz zum Ende sagt Weil dann noch etwas zu Althusmann, was auch Schulz und Merkel zu denken geben sollte: "Machen Sie nicht den Fehler, Niedersachsen für unsicher zu erklären, damit stärken Sie nur die AfD."

Ach, wäre so ein Duell doch nur auch zwischen Merkel und Schulz zustande gekommen. Nun aber haben wenigstens die Niedersachsen die Wahl.

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